Bad Berleburg/Siegen. Kann Vergrämung durch Bienensummen eine Chance für das Wisent-Projekt sein? Prof. Dr. Witte glaubt, ja – und stellt sich der deutlichen Kritik.
Ein virtueller Zaun, der die Wisente am Rothaarsteig mithilfe von Bienen- und Hornissensummen von Tabuzonen fernhält – mit dieser Idee will die Siegener Professorin Dr. Klaudia Witte dem gescheiterten Wisent-Projekt am Rothaarsteig eine neue Chance geben.
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Wisentgegner sehen diesen Vorschlag als „Aprilscherz“ (wir berichteten) – der Biologe Uwe Lindner, selbst an der Umsetzung des Wisent-Projekts beteiligt, hat jetzt mehrere Kritikpunkte dazu formuliert: „Der Einsatz eines solchen Lautsprechersystems mit Sensor und Sendehalsband ist aus zeitlichen, technischen, finanziellen und rechtlichen Gründen äußerst fragwürdig. Ein solches System könnte auch keinen 100-prozentigen Schutz für bestimmte private Waldflächen im Sauerland gewährleisten. Mit diesem Vorschlag wird man bestimmt nicht die Akzeptanz des Wiederansiedlungsvorhabens fördern und die Zustimmung der Waldbauern im Sauerland gewinnen.“
Prof. Dr. Witte ordnet die einzelnen Kritikpunkte Lindners ihrerseits auf unsere Nachfrage ein:
1: Uwe Lindner: „Ein Lautsprechersystem mit Sensor und Senderhalsband existiert nicht. Das heißt, es muss entwickelt und getestet werden. Man weiß auch nicht, ob es überhaupt bei Wisenten funktioniert. Und selbst wenn die Wisente allergisch auf Bienengesumm reagieren, würde es viele Monate, wenn nicht Jahre dauern, um ein solches Lautsprechersystem einsatzfähig zu machen. Haben wir oder die Wisente noch diese Zeit?“
Prof. Dr. Klaudia Witte: „Inzwischen ist es Stand der Technik, dass in einem System zwei Komponenten miteinander über Funkwellen korrespondieren können, z. B. bei RFIDs (radio-frequency identification) wird ein gechiptes Produkt oder Tier von einer Antenne erkannt. RFIDs sind passive Sender, d.h. sie senden erst und erhalten auch nur dann die dafür notwendige Energie, wenn sie im Empfängerbereich der Antenne sind. Ein solches System gibt es inzwischen auch für weite Distanzen (bis mehrere Kilometer, z. B. LORA). Die Vorteile von LORA sind der niedrige Energieverbrauch des Übertragungsverfahrens und die damit verbundene hohe Batterielaufzeit und die große Funkreichweite. Durch unsere engen Kontakte zu Senorikern ist ein kommerzieller Lautsprecher schnell um eine Kommunikationsfunktion erweitert. Ob dies bei Wisenten funktioniert, wird ja gerade getestet. Wir erwarten die ersten Ergebnisse im Januar 2023. Ich hoffe, dass den freilebenden Wisenten noch diese Zeit gewährt werden wird.“
2: Lindner: „Vorausgesetzt, man hätte so ein funktionierendes Lautsprechersystem, wo ist die Wildnis in Wittgenstein und im Sauerland, wohin die Tiere zurückgedrängt werden könnten?“
Prof. Dr. Witte: „Die Tiere sollen nicht aus dem gesamtem Gebiet ,zurückgedrängt’ werden, sondern sie sollen nur daran gehindert werden, bestimmte Flächen (die Flächen der Klagenden) zu betreten. Es bleibt ihnen noch genügend Lebensraum übrig.“
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3: Lindner: „Für die Absperrung einer ,Pufferzone’ soll alle paar Meter eine Box mit Sensor aufgehängt werden. Soll das gesamte Sauerland mit Lautsprechern ausgestattet werden? Zu berücksichtigen ist auch, dass solche Lautsprecherboxen für bestimmte Menschen eine gewisse Attraktivität besitzen und somit kann ein Abhandenkommen einzelner Boxen nicht ganz ausgeschlossen.“
Prof. Dr. Witte: „Falls die Versuche zeigen, dass sich Wisente durch das natürliche Summen von Bienen-, Wespen- und/oder Hornissenstaaten von einem für sie attraktiven Bereich (Futterstelle) vertreiben lassen, würden wir alle hundert Meter um die „Tabuzonen „ Lautsprecher aufhängen. Da das System auf großen Reichweiten funktioniert, ist dies realistisch. Es geht ja nur um die „konfliktträchtigen“ Flächen. Wir müssen daher nicht das gesamte Sauerland „beschallen“.“
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4: Lindner: „Die Leitkuh und einige andere Tiere sollen mit einem Senderhalsband ausgestattet werden. Dies bedeutet, dass bei kleinen Gruppen, in denen kein besendertes Tier vorhanden ist, dass System auch nicht funktioniert. Einzelne umherstreifende Jungbullen ohne Sendehalsband könnten auch weiterhin die Region frei erkunden. Nicht zu vergessen ist, dass eventuell die Batterien bei den Senderhalsbänder gewechselt bzw. defekte Geräte ausgetauscht werden müssen. In beiden Fällen ist ein Einfangen der Tiere erforderlich. Dies hat der Trägerverein schon bei den GPS-Halsbändern nicht gewährleisten können.“
Prof. Dr. Witte: „Wisente sind sehr sozial und leben in Gruppen. Es werden die Leitkuh und mehrere weitere dominante Tiere besendert. Wenn sich diese abwenden und eine andere Richtung einschlagen, folgen die Rangniedrigen automatisch. Falls es zu einer Aufspaltung der Herde kommen sollte, müsste die zweite Leitkuh besendert werden. Einzelne umherstreifende Jungbullen ohne Sendehalsband könnten auch weiterhin die Region frei erkunden. Da sie ein großes Streifgebiet nutzen, sind sie selten lange an einem Ort. Ein möglicher Schälschaden durch einen einzelnen Bullen ist daher sehr gering. Wie bereits zu Frage 1 erläutert haben die neuen passiven Systeme einen sehr geringen Energieverbrauch, sind daher sehr langlebig und zuverlässig.“
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5: Uwe Lindner: „Nehmen wir an, die Wisente dürfen im Rothaargebirge bleiben, weil sie herrenlos und dem Bundesnaturschutzgesetz bzw. dem Europäischen Artenschutzrecht unterliegen, dann dürften sie aufgrund der Gesetzeslage auch nicht mit Lautsprecherboxen vergrämt werden.“
Prof. Dr. Witte: „Ein Management der Herde war und ist vorgesehen. Eine nicht-invasive Lenkung ist eine Form des Managements. Auch die freilebenden Wisentherden in Polen und anderen Ländern werden gemanagt, siehe IUCN European Bison (Bison bonasus) Strategic Species Status Review 2020.“