Wilnsdorf. Alle Steuern, die Wilnsdorf einnimmt, muss die Gemeinde komplett an den Kreis Siegen-Wittgenstein überweisen. Und dann reicht es immer noch nicht
Die Gemeinde erhöht die Steuern nicht, weder für Gewerbe, noch für Grundbesitzer. Das war‘s dann aber auch schon im Großen und Ganzen mit den positiven Nachrichten: Wilnsdorf steht, wie eigentlich alle Kommunen in NRW, mit dem Rücken zur Wand. Hätte 2022 nicht massiv Geld in die Gemeindekasse gespült, von denen die Verwaltung heute noch zehren kann, Bürgermeister und Kämmerer hätten wohl die Kontrolle über ihre Finanzen im Rahmen eines Haushaltssicherungskonzepts weitgehend abtreten müssen. Die Rufe Richtung Düsseldorf und Berlin, endlich dafür zu sorgen, dass die Städte und Gemeinden halbwegs auskömmlich ihre Aufgaben erfüllen können, werden immer lauter und drängender.
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3,7 Millionen Euro beträgt das Defizit für 2024 in dem 53,5-Millionen-Etat der Gemeinde. Ausgeglichen ist der dennoch, zumindest „fiktiv“ – was ausreicht, um nicht in die Haushaltssicherung zu müssen. Denn 2022 flossen einige Millionen mehr Gewerbesteuern als erwartet, insgesamt 8,4 Millionen wurden in die Ausgleichsrücklage gesteckt, aus der sie 2024 und wohl auch noch 2025 und 2026 wieder herausgeholt werden, um die Defizite aufzufangen, erklärt Kämmerer Daniel Denkert. „Wäre 2022 nicht so positiv gelaufen, hätte es uns sehr weh getan.“ Denn man habe bereits „alles ausgeschöpft, was möglich ist“. Aus eigener Kraft, sagt Bürgermeister Hannes Gieseler, schaffe Wilnsdorf das nicht mehr – zumindest nicht, ohne Bevölkerung und Gewerbe noch mehr finanziell abzuverlangen. „Da ist irgendwann die Grenze erreicht“. Oder: Was die Gemeinde „lebens- und liebenswert“ macht, aufgeben. Sport, Kultur, Freizeit – Dinge, die Kosten verursachen, aber nicht viele Einnahmen bringen. So etwas zu streichen, würde vielen Vereinen und Initiativen „den Todesstoß versetzen“, so Gieseler, und damit letztlich auch der Gemeinde. „Das wäre grundweg falsch!“
Wilnsdorf droht permanent Abwanderung von Unternehmen nach Hessen – „blutet uns aus!“
Wie alle Kommunen, nicht nur im Kreis Siegen-Wittgenstein, ächzt Wilnsdorf auch unter „externen“ Problemen, oft seit vielen Jahren, mitunter Jahrzehnten, verschleppt. „Bund und Land machen ihre Hausaufgaben nicht“, sagt Hannes Gieseler bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs am Donnerstag, 18. Januar. Die Art und Weise, wie sich Kommunen in NRW finanzieren müssen, sei „äußerst ungünstig“.
Da wäre etwa die Gewerbesteuer, die regelmäßig einen Gutteil der Gemeindeeinnahmen ausmacht. Gleichwohl ist die überaus schlecht planbar. Im einen Jahr noch ein dickes Plus, im nächsten Jahr ein hoher zweistelliger Verlust – im Burbacher Rathaus kann man ein Lied davon singen. „Das kann uns echt in die Miesen reißen“, warnt auch Wilnsdorfs Bürgermeister, auch wenn in diesem Jahr gut 1,1 Millionen Euro mehr als gedacht eingenommen werden dürften. Zum Glück gebe es in Wilnsdorf nicht die eine große Firma, von deren Wirtschaftslage die Steuerzahlungen erheblich abhängen. Davon wiederum kann man im Hilchenbacher Rathaus ein Lied singen. Und alle Kommunen in Siegen-Wittgenstein wissen nur zu gut, dass im nahen Hessen die Gewerbesteuer auf einem erheblichen niedrigeren Niveau liegt – gefühlt die Hälfte des Industriegebiets Kalteiche ist von ehemaligen Siegerländer Unternehmen bevölkert. Die Gefahr der Abwanderung zahlungskräftiger Firmen droht permanent. „Das lässt uns ausbluten.“ Das Land Hessen stelle seine Kommunen hier deutlich besser als NRW es tue, mit den Nachbarn könne man gar nicht konkurrieren, was „zutiefst ungerecht“ sei.
Wilnsdorf investiert – um das zu erhalten, was bereits da ist. Neues schaffen: Schwierig
Dann wäre da der Umstand, dass Land und Bund den Kommunen immer mehr Aufgaben zuschustern, das Geld für deren Bewältigung aber nur auf Zeit bereitstellen. Schulsozialarbeit, Klimaschutz, das ganze Thema Asyl – jeweils für eine gewisse Zeit bezahlt, dann alleingelassen, schimpft der Bürgermeister. Als Gemeinde daran einfach nicht mehr weiterarbeiten, sei aber angesichts der Bedeutung dieser Themen auch nicht zielführend. Anstatt das vorhandene Geld vertrauensvoll den Kommunen zu geben, verlange die Landesregierung höchst aufwändige Förderanträge, was wiederum Zeit und Geld kostet und keineswegs sicher Geld bringe. So werde das Defizit immer größer.
Das Infrastrukturproblem. Straßen und Gebäude, sagt Gieseler, seien alle vor so langer Zeit entstanden, dass sie nun baufällig werden. „Würden wir jetzt nicht investieren, gäbe es in Zukunft noch mehr Schulden“, sagt der Verwaltungschef, man könne die Misere nicht einfach kommenden Generationen aufbürden. Also investiert Wilnsdorf, auch 2024 – in den Erhalt dessen, was da ist. Schulen, Straßen, Feuerwehr, bezahlbare Bauplätze. „Leuchtturmprojekte“ seien so nicht möglich. „Aber täten wir es nicht, wäre Wilnsdorf in zehn Jahren deutlich abgehängt.“ Das, was nicht baufällig ist, muss unterhalten werden, zu gestiegenen Preisen. Von Personal, das – zu Recht, wie Gieseler betont – besser bezahlt wird. Um die Inflation aufzufangen, um als Arbeitgeber mit der freien Wirtschaft mithalten zu können. Wilnsdorf mache sehr gute Erfahrungen damit, sich den eigenen Nachwuchs durch verstärkte Ausbildung im Haus selbst heranzuziehen. Angesichts von Altersstruktur und Personalknappheit dringend nötig: „Es steht eine größere Pensionierungswelle vor der Tür.“
Alle Steuern, die Wilnsdorf einnimmt, an Kreis überweisen – und das reicht immer noch nicht
Die Kreisumlage. Alle kommunalen Steuern zusammen reichen nicht aus, dass Wilnsdorf die Forderung des Kreishauses bezahlen kann. Diese Einnahmeposten „gehen komplett an den Kreis“. Der Bürgermeister kritisiert die Kreistagsmehrheit für die Verschiebung des Haushalts wie seine Amtskollegen scharf: „Sie hatten alles was sie brauchten.“ Nicht nachvollziehbar, dass der Landrat den Kreishaushalt reduzieren wollte und das für viele Fraktionen „auf einmal ein großes Problem“ war, da sie es vorher stets mitgetragen hätten.
Man gehe also ganz bewusst ins Defizit, da nun auch die Buchungstricks der Corona- und der Ukrainekrise nicht mehr angewendet werden können – aber noch, ohne an die Grundsubstanz zu gehen. Hannes Gieseler fordert nachdrücklich eine Altschuldenlösung, wie in anderen Bundesländern. Die Zinsen: „Die tun wirklich weh“, bekräftigt der Verwaltungschef. Auch hier sei Hessen ein gutes Beispiel: Dort seien die Kommunen finanziell zumindest so ausgestattet, dass sie keine neuen Kredite mehr aufnehmen müssen. Wilnsdorf plant mit 15,3 Millionen Euro neuen Schulden. Fast 10 Millionen davon sind immerhin für Investitionen vorgesehen. Der Rest, erläutert Kämmerer Denkert, „halten die Gemeinde am Laufen. Das Geld ist letztlich weg.“ Auf eine Altschuldenlösung – auf die in NRW derzeit wenig hindeutet – sei man inzwischen „dringend angewiesen“.
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„Wir sind das letzte Glied in der Kette“, sagt der Bürgermeister. „Wir müssen nehmen, was man uns gibt.“ Offensichtlich gehe es ja anders, siehe Hessen. Und wenn sich weiter nichts tut? „Dann ist die Kommune irgendwann am Ende.“