Siegen. Matthias Brandt und Jens Thomas präsentieren im Apollo Siegen „Die Bergwerke zu Falun“ als umwerfende Kombi aus Lesung, Schauspiel und Konzert.
Die Hauptfrage, die sich die meisten Zuschauer nach atemberaubend spannenden 80 Minuten mit zwei außergewöhnlichen Künstlern im ausverkauften Apollo stellen, ist: War das nun ein Phantasieroman mit traurigem Finale? Oder schimmert am Ende nicht doch ein wenig Hoffnung am Horizont durch, weil die Trauerfeier für beiden Hauptpersonen des Romans genau in der Kirche stattfindet, in der sie eigentlich vor genau 50 Jahren hätten heiraten wollen? Wie die Antwort auch ausfällt: Matthias Brandt und Jens Thomas haben mit „Die Bergwerke zu Falun“ einmal mehr ein sprachliches und musikalisches Meisterstück geboten. So wie schon an gleicher Stelle bei Hitchcocks „Psycho“ und „Die Vögel“ und der Biografie Matthias Brandts über seinen Vater, den Friedens-Nobelpreisträger und früheren Bundeskanzler Willy Brandt.
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„Die Bergwerke zu Falun“ ist die Geschichte von Elis Fröbom und seiner Liebe zu Ulla, der Tochter eines schwedischen Grubenbesitzers. Elis fährt zur See, doch sein wirklicher Wunsch ist es, Bergmann zu werden. Ein alter Mann gibt ihm den Rat: „Geh in ein Bergwerk nach Falun“. Dort gäbe es einen unvorstellbaren Reichtum an wertvollen Erzen. Dort angekommen trifft er nicht nur einen Grubenbesitzer, der ihn sofort einstellt. Elis verliebt sich auch in dessen Tochter, die „holde Ulla“. Nach Umschiffung vieler Klippen wird eine Hochzeit mit allem Prunk vorbereitet. Am Hochzeitstag treibt es Elis noch einmal ins Bergwerk, um dort noch einen besonders wertvollen Stein zu bergen. Ein Bergsturz jedoch begräbt ihn für immer, die Hochzeit fällt aus, Ulla trauert ihr Leben lang um ihren Liebsten.
Apollo Siegen: 50 Jahre nach dem geplanten Hochzeitstag taucht der verschollene Bräutigam auf
Exakt 50 Jahre danach, genau am vorgesehenen Hochzeitstag, finden Bergleute den gut erhaltenen Leichnam eines Jünglings, perfekt konserviert durch Eisenvitriol. Sie bringen ihn ans Tageslicht, doch keiner kennt ihn. Da nähert sich „ein gebeugtes, eisgraues Mütterchen“, die ihren jugendschönen Bräutigam sofort erkennt und deren Herz „voller heißer Liebe ist“. Sie sinkt auf die geliebte Leiche nieder und stirbt, während Elis zu Staub zerfällt.
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E.T.A. Hoffmann hat aus dieser nicht unwahrscheinlichen Geschichte einen Roman geschrieben, der sich teilweise in vielen zusätzlichen Handlungssträngen verliert. Und damit das wirkliche Geschehen, das Johann Peter Hebel acht Jahre vorher als einfache Kalendergeschichte unter dem Titel „Unverhofftes Wiedersehen“ in seiner Zeitschrift „Rheinischer Hausfreund“ veröffentlicht hat, überreichlich mit Psychoanalyse und Fantasie ausgeschmückt.
Apollo Siegen: Matthias Brandt und Jens Thomas machen aus E.T.A. Hoffmann perfektes Kopfkino
Was die Leistung von Matthias Brandt und Jens Thomas um keinen Millimeter schmälert. Ganz im Gegenteil: Was Brandt mit präziser Sprache, Mimik und Gestik aus dem Hoffmann-Text macht, lässt bei allen Besuchern im Apollo Kopfkino der realistischsten Art entstehen. Nie übertreibt er, immer stehen das Wort und seine Betonung im Vordergrund. Matthias Brandt könnte das Telefonbuch vorlesen und alle würden an seinen Lippen hängen. Und wenn dann noch Jens Thomas mit seiner virtuosen Tastenkunst dazukommt, wird aus einem großen ein großartiger Abend. Manchmal scheint er, der auch ein gefragter Jazzer ist, Film- und Fernsehmusik komponiert und Theaterproduktionen namhafter Bühnen wie dem Wiener Burgtheater, den Münchener Kammerspielen und dem Schauspielhaus Bochum, begleitet, fast in den Apollo-Flügel hineinzukriechen. Und nicht selten erzeugt er Klänge, indem er die Klaviersaiten direkt mit seinen Händen anschlägt. Mit seiner leicht angerauten Baritonstimme interpretiert er Perlen des Blues, Balladen oder US-Folk.
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Wie Matthias Brandt und Jens Thomas selbst zu den „Die Bergwerke zu Falun“ stehen? Vielleicht gibt der letzte Musiktitel des Abends eine vorsichtige Antwort: Neil Youngs „Helpless“.
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