Siegen. „Stellt Euch vor, bis 1. April läuft nichts“: Stadt Siegen will in jeder künftigen Krise arbeitsfähig sein und tüftelt weiter an Parallelsystemen
Die Stadt Siegen intensiviert nach der Cyberattacke auf die Südwestfalen-IT ihre Bemühungen für eine funktionierende Verwaltung, auch ohne den Dienstleister. Weiterhin sei man damit beschäftigt, „Umgehungen“ zu schaffen, provisorische Lösungen zu professionalisieren, um auch auf lange Sicht unabhängig zu sein von der SIT. Wie Henrik Schumann als Leiter des Krisenstabs („Stab für außergewöhnliche Ereignisse“, SAE) bekräftigt, bereite die Stadt ein paralleles Computersystem und satellitengestütztes Internet-Netzwerk vor, um künftig selbstständig, ohne den Dienstleister, handlungsfähig arbeiten zu können. „Wir kommen relativ weit damit“, so der Stadtbaurat im städtischen Podcast „Flurfunk“.
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Nach wie vor „geht leider noch nicht viel“, so Schumann mit Blick etwa auf das Meldewesen. Gleichwohl gebe es aber Anlass zur Hoffnung, auch hinsichtlich der „regulären“ SIT-Systeme: In diesem Bereich sei die Stadt Siegen als Pilotkommune „sehr hoch priorisiert“, er rechne damit, dass „in wenigen Tagen“ wieder erste Dienstleistungen möglich sein werden. Zuletzt hatte die SIT mitgeteilt, dass Systeme und Dienstleistungsprogramme („Fachverfahren“) anders als zunächst erwartet doch nicht vor Weihnachten wieder hochgefahren und funktionsfähig sind. „Vernünftig“, findet der Stadtbaurat diese Einsicht beim kommunalen Zweckverband, „die erste Mitteilung war deutlich zu optimistisch“, das habe man auch sehr klar zurückgemeldet. Denn Engpässe bei der Bearbeitung von Verwaltungsaufgaben bestehen weiter, selbst wenn die Systeme wieder laufen.
In Siegener Rathäusern denkt man nach Cyberattacke nun in längeren Zeiträumen
Laut Kreisverwaltung und SIT sei insbesondere die Koordination zwischen den mehr als 70 betroffenen Kommunen sehr aufwändig, die alle sehr unterschiedliche Prioritäten hätten, was als erstes wieder funktionieren müsse.
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In den Siegener Rathäusern denke man nun in längeren Zeiträumen, bis die Systeme wieder laufen. Maßgabe: „Stellt Euch vor, bis 1. April läuft nichts – was würdet Ihr anders machen? Welche anderen Partner kommen in Frage?“ Was würde das kosten, welche rechtlichen Hürden gibt es? Das bedeute nicht, dass es tatsächlich so kommen müsse. Aber wenn man sich entscheide, auf die SIT zu warten und es funktioniere zum Stichtag nicht, habe man eine zweite Lösung in der Tasche.
Bei jeder technischen Störung wie dem Telekom-Brand in Siegen schnelle Alternative
Spätestens durch den Cyberangriff und die lahmgelegte IT wisse man nun, wie wichtig Redundanz ist. Die Stadt habe daher entschieden, in das Satelliten-Internet dauerhaft und nachhaltig zu investieren, das in jedem Fall in den Rathäusern verbleiben werde. „Wir können dann bei jeder Krise, die noch kommt, den Schalter umlegen und sehr schnell ein alternatives Internet nutzen.“ Die dazu nötige Hardware treffe derzeit ein, „wir hoffen, dass es noch vor Weihnachten an den Start geht“. Das koste Geld, sei aber angesichts des Nutzens „sinnvoll und wirtschaftlich“ investiert, da man so bei jeder technischen Störung – etwa von der Größenordnung des Telekom-Brands von 2013 – arbeitsfähig sei.
Die Hauptarbeit innerhalb einer vergleichsweise großen Behörde wie der Siegener Verwaltung liege nun darin, das für ihre rund 3000 Dienstleistungen und damit verknüpften Prozesse durchzuspielen. Auch technisch: Nach wie vor ist die „Waschstraße“ in Betrieb, bei der alte oder neu beschaffte Computer für den (Wieder-)Einsatz vorbereitet werden. Allein wegen der Zahl der Geräte – „eine enorme Menge“ – werde das noch wochenlange Arbeit bedeuten, berichtet Schumann. Denn auch hier müsse man entscheiden: Wird ein Rechner auf das in Aussicht gestellte „Notnetz“ der Südwestfalen-IT vorbereitet oder auf das Parallelsystem der Stadt? Beides sei nicht unkompliziert, mit USB-Stick einstecken und eine halbe Stunde warten sei es nicht getan. Vielmehr sei ein gewisses Fachwissen nötig, 20 Arbeitsschritte in der richtigen Reihenfolge abzuarbeiten. „Die Rechner werden nur häppchenweise fertig.“ Und dann komme die Frage: Wer bekommt ihn?
In die Siegener Verwaltung kehrt langsam Arbeitsalltag zurück – „haben alle einen Hauptberuf“
Immer mehr werde deutlich, wie komplex und vielschichtig die Computersysteme der öffentlichen Hand seien und dass sie nicht innerhalb weniger Wochen wieder aufgebaut werden könnten. „Die SIT versteht, dass auch eine größere Behörde Sinnvolles beitragen kann – wir haben auch IT-Sachverstand.“ Das Zusammenspiel zwischen Dienstleister und Kunden sei inzwischen effizienter.
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Währenddessen kehre schrittweise auch wieder so etwas normaler Arbeitsalltag ein, berichtet der SAE-Leiter. Entscheidungen würden vermehrt in den Fachabteilungen getroffen. „Wir haben alle einen Hauptberuf, auch der Job muss erledigt werden“, betont Schumann. Diese Arbeit sei liegengeblieben, nur verschoben worden. „Das kommt jetzt mit Macht auf uns zu“, daher müsse die Stadt dringend für Effizienz sorgen. Gleichwohl habe die Lösung der Krise „absolute Priorität“. Denn eine Sorge, sagt der Stadtbaurat, bleibt: Dass die Dimension des Cyberangriffs und seiner Folgen nur schwer greifbar seien und noch nicht richtig absehbar sei, „was alles an Nacharbeit auf uns zukommt.“