Siegen. . Die Wissenschaftler am Lehrstuhl für Experimentelle Quantenoptik von Prof. Christof Wunderlich haben einen Erfolg beim Bau von Quantenrechnern erzielt.

  • Revolutionäres Verfahren für neuartigen Rechner-Typ entwickelt
  • Quantenrechnung mit Hilfe von Radiowellen statt Laserlicht
  • Computer basiert auf drei manipulierten Atomen: Qubits

„Quantensprung“ hört Prof. Christof Wunderlich nicht gerne. Der Begriff, der meist genutzt wird um einen großen Fortschritt zu beschreiben, ist eigentlich die „kleinstmögliche Änderung, zum Beispiel der Enerige eines Systems“, sagt der Lehrstuhlinhaber für Experimentelle Quantenoptik im Department Physik der Universität Siegen.

Wenn schon kein Quantensprung – ein großer Fortschritt ist ihm und seiner Arbeitsgruppe dennoch gelungen: MAGIC. Hinter dem ziemlich passenden Namen – der für Magnetic Gradient Induced Coupling steht, zu deutsch Magnetfeldgradientinduzierte Kopplung – steckt ein revolutionäres Verfahren, den Quantencomputer, ein bislang noch eher theoretisches Konzept, zu realisieren. Wunderlich und seine Mitarbeiter haben denn auch gleich einen dieser Rechner völlig neuen Typs im Labor entwickelt – in kleinem Maßstab.

Prof. Christof Wunderlich.
Prof. Christof Wunderlich.

Immer leistungsfähigere Supercomputer versammeln Abermilliarden Bits auf ihren Prozessoren, mehrere hundert Terabyte Arbeitsspeicher haben moderne Superrechner – ein moderner Laptop hat etwa acht Gigabyte, weniger als ein Tausendstel. Der Quantencomputer des Instituts für Experimentelle Quantenoptik hat drei Bits: Quantenbits oder Qubits. Ein herkömmlicher Rechner mit drei Bits Rechenleistung kann quasi: Nichts. Die Siegener können ihren Quantencomputer die durchaus komplexe Fourier-Transformation rechnen lassen, Grundlage vieler Algorithmen.

Was ist ein Bit?

Klassisch: Ein klassisches Bit ist ein Transistor. Der hat zwei Zustände: An und aus. „Strom fließt oder nicht“, sagt Christof Wunderlich. Null und Eins.

Quanten: Ein Qubit kann ein einzelnes Atom sein. „Atome haben seltsame Eigenschaften“, sagt Prof. Wunderlich: „Sie können unendlich viele Überlagerungszustände zwischen Null und Eins annehmen.“ Erklären kann man das mit den Methoden der klassischen Physik nicht – aber die Forscher machen sich diese Eigenheiten nutzbar. Dafür braucht es allerdings völlig neue Algorithmen, Rechenvorschriften, die mit diesem völlig anderen physikalischen Computersystem umgehen können. Denn obwohl sie unendlich viele Zustände haben, können die Wissenschaftler nur zwei davon direkt messen. An oder Aus.

Wozu wird ein Quantencomputer genutzt?

Ein Quantencomputer kann alles, was auch ein klassischer Rechner kann – vor allem schneller. Zum Beispiel gibt es Moleküle, die so komplex sind, dass selbst hochgezüchtete Supercomputer lange rechnen müssen, um die Struktur zu verstehen. Oder Datenverschlüsselung: Jeder Code kann geknackt werden; schwierig, aber nicht unmöglich. Moderne Codes sind aber so ungeheuer kompliziert, dass auch ein Supercomputer Monate für die Entschlüsselung rechnet. Bis dahin ist der Code längst ausgetauscht. Ein Quantencomputer könnte exponentiell effizienter rechnen.

Wie funktioniert ein Computer?

Klassisch: Ein konventioneller Computer nutzt unzählige Bits und ihre ebenso unzähligen Kombinationen von An/Aus-Zuständen, um Informationen zu verarbeiten. Wenn ein Bit zwei mögliche Zustände hat (0 und 1), hat ein aus zwei Bits bestehendes Register vier mögliche Kombinationen: 00, 01, 10, 11. Ein Drei-Bit-Register hat acht: 000, 001, 010, 100, 101 usw. Mit jedem zusätzlichen Bit steigt die Zahl möglicher Zustände exponentiell – aber ein konventionelles Register kann jeweils nur einen davon einnehmen.

Quanten: Ein Quantencomputer mit drei Qubits kann, analog zu diesem Beispiel, ebenfalls acht Zustände haben – aber er kann in jedem dieser Zustände gleichzeitig sein. Er kann so zum gleichen Rechenergebnis kommen, aber auf kürzerem Weg. Weil Qubits so viele Zustände gleichzeitig abbilden können, braucht es gar nicht mehr Abermilliarden Bits. „Mit einer sehr kleinen Anzahl Qubits könnten wir Dinge tun, die ein klassischer Computer nicht mehr tun kann.“

Hat mit einem klassischen Computer, wie wir ihn kennen, nicht mehr viel zu tun: Der Quantenrechner. Drei Atome halten die Siegener Physiker in dem goldfarbenen Plättchen (in dem Glasröhrchen) „gefangen“ und manipulieren sie mit Radiowellen.
Hat mit einem klassischen Computer, wie wir ihn kennen, nicht mehr viel zu tun: Der Quantenrechner. Drei Atome halten die Siegener Physiker in dem goldfarbenen Plättchen (in dem Glasröhrchen) „gefangen“ und manipulieren sie mit Radiowellen. © WP

Ein Durchbruch für die Computertechnik, auch, weil das Aufrüsten von energieverschlingenden Rechenzentren, in denen mehr und mehr Prozessoren zu Supercomputern verschaltet werden – nebst gigantischen Kühlanlagen – ein Ende haben könnte.

Das „Rechenzentrum“ des Quantencomputers bilden im Siegener Fall drei Atome, die in einem elektrodynamischen Käfig gespeichert sind. Elektrische Potenziale halten sie dort fest, wo sie sind. Drei Atome, die nicht wegkönnen sind noch kein Computer. Sie müssen in geeigneter Weise wechselwirken. Bislang hatte man immer gedacht, dass ein Haufen Physiker mit Doktortitel im Labor einen riesigen Aufwand mit Laserlicht betreiben muss, um die eingesperrten Qubit-Atome zu „beschreiben“, sie zu manipulieren, wechselwirken zu lassen.

Der revolutionäre Ansatz der Siegener Forscher: Sie nehmen Mikro- und Radiofrequenzwellen, um den gefangenen Atomen mitzuteilen, was diese tun sollen. „Im Wesentlichen können wir ein Smartphone benutzen“, sagt Christof Wunderlich. „Alles, was wir brauchen – signalerzeugende Generatoren, Verstärker, Antennen – sind in diesem kompakten Gerät untergebracht, das ein Kind bedienen kann.“ Die „Kunst“ dabei: Die unendlich vielen möglichen Zustände, die ein Qubit gleichzeitig haben kann, beherrschbar zu machen, indem die Wissenschaftler sie gezielt mit den Radiowellen präparieren.

Wie kann man ein Atom einfangen?

So sieht ein Atom aus: der helle Fleck in der Mitte. Um es sichtbar zu machen, bestrahlen es die Forscher mit Laserlicht.
So sieht ein Atom aus: der helle Fleck in der Mitte. Um es sichtbar zu machen, bestrahlen es die Forscher mit Laserlicht. © WP

Vereinfacht so: In einem kleinen Ofen erhitzen die Physiker Yterbium, oben fliegen einzelne Atome raus, denen nehmen die Forscher ein Elektron weg, um es über elektrische Ladung einfangen zu können – voilá, Atom fixiert. „Ein Kugelschreiber zum Beispiel“, sagt Prof. Wunderlich, besteht aus etwa 1024 Teilchen, eine Quadrillion. „Wir nehmen ein einzelnes Atom, beobachten es über lange Zeit und ‘dressieren’ es“, erklärt der Physiker: Sie bringen ihm bei, was es tun soll, um als Teil eines Computers zu funktionieren – sie machen es zum Qubit.

Wie funktioniert die Quantenrechnung?

Der Rechenvorgang selbst mit seinen unendlichen Zuständen des Atoms bleibt den Wissenschaftlern verborgen, sie sehen nur das Ergebnis. Per Radiowelle manipulieren die Forscher das Atom, es „rechnet“ – und kommt zu einem Ergebnis: An oder Aus. Das sehen sich die Physiker an, indem sie Laserlicht auf das Atom richten. Insofern: Kein Unterschied zum Transistor. Nur der Weg zu diesem Ergebnis ist viel schneller und effizienter.

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Hintergrund: Wie man Quantencomputer überprüft

Weil Quantencomputer so viel mehr können als klassische Rechner, ist es für die Physiker schwer, die Ergebnisse zu verifizieren. Das Ergebnis ist nicht mal eben überprüfbar – denn ein klassischer Computer rechnet eben sehr viel länger als ein Quantenrechner. Bei einem kleinen Modell wie dem Siegener Quantencomputer geht das noch – aber größere Quantenrechner sind schnell um ein Vielfaches leistungsfähiger.

Zur Verifizierung fangen die Physiker klein an: Sie nehmen eine Rechenoperation, die auch ein klassischer Computern beherrscht, und vergleichen die Ergebnisse. Wenn zwei verschiedene physikalische Systeme zum selben Ergebnis kommen, hat es funktioniert. Dann vergrößern sie die Leistung des Quantencomputers, Stück für Stück. „Wenn es mit sieben Qubits funktioniert, wird es mit acht Qubits auch noch funktionieren“, sagt Wunderlich.

Ein Video, wie die Physiker Ionen einfangen gibt es auf dem Youtube-Kanal der Universität: www.youtube.com/user/UniversitaetSiegen.

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