Siegen. „Gewollte Missverständnisse, Wortklaubereien, rhetorische Giftpfeile“: Debatte um Denkmal für arbeitende Frauen zwischen peinlich und amüsant.
In den Zuschauerreihen, real wie digital, herrschte eine gewisse Verwunderung: Was war das denn für eine Debatte gewesen in diesem sonst oft so farblosen Siegener Rat? Und dann bei diesem Thema – historische Verdienste angemessen zu würdigen. Würdig war das über weite Strecken nicht, die Reaktionen reichten von wortlosem Kopfschütteln über gehässige Onlinekommentare bis zur Einschätzung, dass man hier gerade einer „erinnerungspolitischen Blamage“ beigewohnt habe. Was war passiert?
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Die Kommunalpolitik stritt in der Sitzung am 22. November weiter über Denkmäler (wir berichteten); wollte einander offenbar gezielt falsch verstehen und konnte sich aber auch gleichzeitig nicht so recht erklären. Dazu eine gute Portion Ideologie und Grundgereiztheit. Los geht‘s.
Aufwärmen: Walter Krämer ist kein Thema für eine Kampfabstimmung im Siegener Rat
Volt-Antrag: Walter Krämer beim Stadtjubiläum zusammen mit VVN-BdA, CJZ, oder Aktivem Museum besonders ehren. Der „Arzt von Buchenwald“, im KZ ermordet von den Nazis und in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als einziger Siegener als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt, sei wohl der „größte Siegen-Wittgensteiner“, verdiene daher im Jubiläumsjahr auch besondere Würdigung, so Fraktionsvorsitzender Samuel Wittenburg. Krämer sei das Gesicht des Widerstands gegen die Nazis in der Region, findet auch Martin Heilmann (Grüne): „Er sticht heraus.“
Es gebe viele verdiente Persönlichkeiten, zeigt sich Marc Klein (CDU) skeptisch – da jemanden herausgreifen obliege eher dem Stadtfest-Orga-Team. Das nur noch aus anderthalb Personen besteht, wendet der Bürgermeister ein – mit diesem Personalstand seien zusätzliche Programmpunkte kaum machbar.
Für Ingmar Schiltz (SPD) könne der Volt-Antrag verstanden werden als „Schlag ins Gesicht“ derer, die sich für ein „würdevolles Denkmal“ für Krämer und die Benennung des Platzes in Weidenau engagiert hatten. Volt möge doch besser auf die Wortwahl achten. Eine Platzbenennung verhindere allerdings keine weitere Ehrung, sagt Martin Heilmann.
Die AfD zetert über die Beteiligung des VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), der vom Verfassungsschutz beobachtet werde, was Steffen Mues deutlich zurückweist: „Wir haben in Siegen keinerlei Berührungsängste.“ Henning Klein (Linke) will sich zu den „Verbalinjurien der Rechtsradikalen“ nicht weiter äußern und findet, ein Stadtfest sei „nicht nur zum Essen, Trinken und Karussellfahren da“.
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Samuel Wittenburg sieht es hochkochen und merkt an, dass es nur um eine Veranstaltung gehe, „mehr ist es nicht, wir wollen keine Straße benennen.“ Michael Groß (Grüne) will sich nicht an „unglücklichen Formulierungen“ festhalten, Gedenken müsse immer wieder aktuell gehalten werden.
Aber der Ton ist gesetzt.
Losschlagen: Kunstwerk oder Denkmal - egal, die Debatte im Siegener Rat kocht
Denkmal oder Kunstwerk, das ist hier die Frage. Über eine mögliche Skulptur, die arbeitende Frauen der Siegerländer Geschichte zeigt, vielleicht ähnlich wie Henner und Frieder, vielleicht auch nicht, wurde schon erbittert politisch gestritten. Die SPD lehnt das vehement ab, die CDU irgendwie auch. Die Grünen sind total dafür, alle anderen auch irgendwie. Samuel Wittenburg versucht gleich zu Beginn zu vermitteln: „Kunstwerk“ statt „Denkmal“. Das wird es am Ende auch, aber vorher wird eine knappe Stunde vorbereitetes Gezanke verlesen.
Die SPD erklärt sich, etwas umständlich mitunter: Man wolle keine Personen, kein Standbild wie vor 120 Jahren, bekräftigt Sibylle Schwarz. Frauen seien in der Siegerländer Geschichte „fast überall“ ins Arbeitsleben eingebunden gewesen, natürlich gelte es das zu würdigen. Erzengel und Haubergfrauen symbolisierten aber nicht in diesem Ausmaß prägende Arbeitszweige wie Bergmann und Hüttenmann – so einen Effekt würden weibliche Figuren in diesem Stil nicht erzielen können, dafür gebe es sicher gerechtfertigte, andere Formen. „Analog zu Henner und Frieder kann‘s nicht sein“, die gehörten in eine andere Zeit. Der Arbeitskreis Straßennamen solle mit mehr Frauen besetzt werden und sich das Themas annehmen.
Angela Jung (Grüne) holt zur Breitseite gegen die SPD aus: Sie sei entsetzt über Aussagen, verstehe nicht, warum man „den Frauen kein Denkmal gönnt“ – sorge sich die SPD, die „berufliche Leistung Henners und Frieders“ würde geschmälert? Wenn ein Denkmal nicht mehr zeitgemäß sei – warum stimme sie dann für das Denkmal für den von Neonazis ermordeten Bruno Kappi? Ein starkes Zeichen für Anerkennung, Wertschätzung und Respekt für Frauen sei wichtig. „Schön, dass es mal so viel um Frauen geht“, kommentiert Isabelle Schmidt (CDU). Henner und Frieder stünden nicht für einzelne Männer, sondern eine historische Epoche. Weibliche Pendants könnten dagegen nicht widerspiegeln, „was Frauen geleistet haben“. Man solle respektvoller und „nicht so hitzig“ diskutieren, dann werde es auch was mit dem Kunstwerk.
Martin Heilmann (Grüne) fragt sich, wie die SPD auf ein „Gegendenkmal“ zu Henner und Frieder komme, „es geht darum zu prüfen, wie sowas auszusehen hat?! Jeder Stolperstein ist ein Denkmal!“ Silke Schneider (Linke) versteht es auch nicht. Die SPD habe aber anscheinend ihr Herz für Frauen wiedergefunden, bemerkt sie süffisant.
Hier zeigten sich „ein sehr kapitalistisches Verständnis von Erwerbsarbeit“ und die „Verachtung von weiblicher Arbeit“ („Tätigkeit“ oder „Beruf“?), empört sich Julia Shirley (Grüne). „Nicht zeitgemäß ist der Frauenhass“, der aus Wortwahl und Diskussion im Kulturausschuss spreche. Sie beginnt aus einem Buch vorzulesen, bis es dem Bürgermeister zu lang wird und er sie zur Sache ruft: „Hören Sie auf mit der Vorlesestunde! Es hat hier noch niemand festgestellt, was das mit der Sache zu tun hat!“ Shirley protestiert, letztlich vergeblich. Ihr Angebot, ihm das Buch auszuleihen, lehnt Steffen Mues ab. „Ich lese gerade einen sehr guten Krimi.“
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Man sei sich doch eigentlich einig, seufzt Marc Klein – ob es nicht auch ohne „gewollte Missverständnisse, Wortklauberei und rhetorische Giftpfeile“ gehe? Man könne doch im Arbeitskreis eine unideologische Lösung finden. Das wiederum bringt Michael Groß (Grüne) auf die Palme: Das sei die Flucht in die Nichtöffentlichkeit, „so können wir mit den Bürgerinnen nicht umgehen.“ Bestätigt prompt Eva Bialowons-Sting, GfS, Mitglied des Frauenforums und Unterzeichnerin des Bürgerinnen-Antrags: „Kunstwerk oder Denkmal egal“, aber „dass das schon wieder in einem Arbeitskreis landen muss, ist nicht nachvollziehbar.“ Der Rat sei aber offenbar nicht der richtige Raum, so etwas zu beschließen, stellt Isabelle Schmidt fest. Welcher Ort denn besser wäre als der Rat, fragt Lisa Bleckmann (Grüne) zurück.
Als aller Dampf abgelassen ist, beschwert sich Detlef Rujanski (SPD), dass nach „heftiger Diskussion“ und Mehrheitsentscheid im Kulturausschuss Politiker von anderen „verbal angegangen“ worden seien.