Netphen. In Netphen ist die Martini-Apotheke geschlossen. Wie lange das so bleibt, weiß keiner. Zwei Apotheken fangen den abrupten Ausfall auf.
Die Martini-Apotheke in Netphen ist geschlossen – es ist nicht das erste Mal, dass das von jetzt auf gleich passiert. Kundinnen und Kunden stehen diesmal seit dem 3. November vor verschlossenen Türen. Auf einem Zettel, der an der Apotheke angeschlagen ist, wird auf Krankheitsgründe verwiesen. Die Stadtverwaltung habe nach Bekanntwerden der Schließung umgehend zu dem Inhaber Kontakt aufgenommen, um zu klären, wann absehbar ist, dass sie wieder öffnet. „Dieser ist jedoch seitdem zu keiner Auskunft bereit“, heißt es in einer Mitteilung aus dem Rathaus. Die Kundinnen und Kunden suchen die Alternativen in der Nähe auf: Die Sieg-Apotheke in Dreis-Tiefenbach und die Deuzer Apotheke leisten nun seit Wochen Mehrarbeit.
Dreis-Tiefenbach: Sieg-Apotheke hat „super viel zu tun“
„Wir haben super viel zu tun“, sagt Apothekerin Sylvia Klüsener-Keese, die zusammen mit ihrem Mann Dr. Hansjoachim Keese die Sieg-Apotheke in Dreis-Tiefenbach betreibt. Das war schon so, bevor die Martini-Apotheke in Netphen auf unabsehbare Zeit schloss. Nun ist der Andrang noch einmal deutlich größer geworden. Sylvia Klüsener-Keese ist froh über den Rückhalt in ihrem „ganz, ganz tollem Team“: Denn auch die Mehrarbeit bewältigt es gemeinsam. „Das Team kann man nicht genug schätzen.“
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Der Fahrer, der die Medikamente ausliefert, sei jetzt zum Beispiel häufiger vier Stunden statt zwei Stunden unterwegs, um alle Apothekenkundinnen und -kunden mit ihrer Medizin versorgen zu können. Gerade ältere Menschen, die nicht mobil sind oder Menschen, die niemanden haben, der für sie in die Apotheke geht, sind auf diesen Service dringend angewiesen. „Wir sehen uns als Institution, die die Bevölkerung mit Arzneimitteln versorgt. Wir machen alles, was möglich ist“, betont Sylvia Klüsener-Keese.
Natürlich bedeute die Schließung der Martini-Apotheke Mehraufwand für die naheliegende Sieg-Apotheke, „aber wir gewöhnen uns daran. Das lässt sich alles managen.“
Bei den Kundinnen und Kunden hätte sich durch die Situation auch der Blickwinkel etwas geändert: „Die Wichtigkeit der Apotheke vor Ort wurde in den Vordergrund gerückt.“ Das sei eine positive Entwicklung, denn was eine Apotheke alles leiste, würde nicht immer von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Und Apothekerstreiks wie am vergangenen Mittwoch würden nicht immer verstanden. Dabei gäbe es viele Probleme, beispielsweise die Überbürokratisierung, Personal- und Medikamentenmangel. „Man hat nicht nur beratende Funktion, sondern ist auch oft Vertrauensperson. Das wird nicht ausreichend honoriert.“
Apothekerin aus Deuz: „Situation ist keine Dauerlösung“
Gewöhnlich sind es 380 bis 400 Kundinnen und Kunden, die die Deuzer Apotheke täglich versorgt. Nun waren es an einem Tag auch schon einmal 520, erzählt Apothekerin Britta Hofmann. Derzeit sei es in der Regel ein Drittel mehr Kundschaft als zuvor. Und voraussichtlich wir das auch erstmal so bleiben. Das Team komme an die Grenzen seiner Ressourcen. „Wir helfen gerne weiter und machen das mit Leib und Seele“, betont Britta Hofmann. Auch sie lobt das Engagement ihres Teams ausdrücklich. Dennoch sei die Situation keine Dauerlösung. Es müsse geklärt werden, ob die Martini-Apotheke nur vorübergehend oder dauerhaft schließe.
„Für meine Kollegen ist es sehr anstrengend und auch für die Patienten nicht schön“, erklärt die Deuzer Apothekerin. Mit der Situation würden die Kundinnen und Kunden sehr unterschiedlich umgehen: Die einen hätten Verständnis, andere würden sich über eine Pause in der Apotheke aufregen. Die Lage hat sich so zugespitzt, dass auf einem Schild vor der Deuzer Apotheke am Dienstag bereits darauf verwiesen wird, dass sie für eine Stunde wegen Mittagspause geschlossen hat. „Das Team muss auch Pause machen“, sagt Britta Hofmann. „Es macht einen tollen Job.“
In Zeiten des Apothekensterbens sei die Situation, wie sie jetzt in Netphen vorliegt, eine Perspektive, wie die Zukunft der Apotheken-Versorgung in Siegen-Wittgenstein aussehen könnte: Weniger Apotheken müssen mehr Menschen versorgen. Für die Mitarbeiter von Apotheken bedeutet das mehr Arbeit und Stress, für Kundinnen und Kunden längere Anfahrtswege und mehr Zeitaufwand.
Netphen: „Verlässliche Apotheken sind Grundpfeiler für medizinische Versorgung“
Grundsätzlich läuft es so: Wenn eine Apotheke vorübergehend geschlossen ist, hat ein Apotheker die Schließung bei der Apothekerkammer anzumelden und in der Apotheke einen von außen sichtbaren Hinweis auf die nächste diensthabende Apotheke anzubringen. „Beides ist in Netphen der Fall“, teilt die Stadt Netphen mit. Eine Informationspflicht gegenüber dem Amtsapotheker und dem Gesundheitsamt über die Schließung bestehe nicht, da die Kammer für die Organisation der Dienstbereitschaft zuständig ist. Die Kammer informiere den Amtsapotheker auf dem Postweg über die Schließung. Dem Amtsapotheker würden daher keine Erkenntnisse über eine zeitnahe Wiederöffnung vorliegen.
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Im Notfall gibt es in der Branche bekannte professionelle Vermittler, die sehr kurzfristig eine Vertretung organisieren, heißt es in dem Statement aus dem Rathaus weiter. Hierum müsste sich der Apotheker selbst kümmern.
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Die Stadtverwaltung in Netphen möchte die örtliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger sicherstellen: „Gut erreichbare und verlässliche Apotheken im Einzugsgebiet sind dabei wichtige Grundpfeiler für die medizinische Versorgung. Über die formalen Anfragen hinaus hat die Stadtverwaltung bereits im März 2023, als die Martini-Apotheke bereits für längere Zeit aus Krankheitsgründen geschlossen hatte, die Suche nach einer Lösung aufgenommen.“ Der Bürgerbus Netphen erklärte sich bereit, gesonderte Fahrten zu den Apotheken in Dreis-Tiefenbach und Deuz zu ermöglichen. Da der Verein derzeit mit einem Fahrzeugdefekt kämpft, sei diese Übergangslösung aktuell nicht abbildbar.
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Die Stadtverwaltung sei nicht der Inhaber der Räumlichkeit der Martini-Apotheke und habe deshalb keinerlei Einfluss auf die Pachtsituation. Auch das Gebäude der ehemaligen Rathaus-Apotheke, die bereits seit Jahren geschlossen ist, gehöre nicht der Stadt Netphen. „Auf diese ehemalige Rathaus-Apotheke läuft ein Pachtvertrag, dennoch stehen die Räumlichkeiten leider leer. Die Stadtverwaltung versucht bereits seit Jahren Unterstützungsangebote sowie berufsausübende Apothekerinnen und Apotheker an diesen Verpächter zu vermitteln, bislang sind jedoch alle Mühen vergebens“, heißt es in der Mitteilung der Stadt weiter. Sie dankt der Deuzer-Apotheke und der Sieg-Apotheke in Dreis-Tiefenbach für die „herausragende Unterstützung in dieser Ausnahmesituation“. Die Belastung durch eine zusätzliche Vertretungssituation sei insbesondere in der Wintersaison enorm und nicht selbstverständlich. Den Inhaber der Martini-Apotheke konnte die Redaktion dieser Zeitung nicht erreichen.
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