Siegerland. Die Gastronomie hat auch in Siegen ein Problem, das früher kaum vorstellbar war: Sie muss zum Teil Gäste wegschicken, weil kein Personal da ist.
Das Hotelgewerbe im Siegerland bekommt das Fachkräfteproblem der Gastrobranche voll zu spüren. Vor allem die Besetzung von Ausbildungsplätzen wird immer schwieriger. Damit steht fest, dass die Lage sich in Zukunft sogar zuspitzen wird: Die fehlenden Azubis von heute sind die fehlenden Fachkräfte von morgen.
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Schwierigkeiten bei der Nachwuchsgewinnung hatte die Gastronomie schon vor Corona. Während der Pandemie und den Lockdowns verschärften sie sich allerdings noch deutlich. Im Jahr 2022 lag die Zahl der Beschäftigten in der Branche nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 11,8 Prozent unter dem Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019. Betroffen sei vor allem der Bereich der geringfügig Beschäftigten – aber eben nicht nur. Ein Problem, das die Gastronomie dabei von anderen Branchen unterscheidet: Wer einmal ausgestiegen ist und während der Pandemie das Tätigkeitsfeld gewechselt hat, kehrt häufig nicht zurück und fehlt somit dauerhaft. Weil in nahezu allen Wirtschaftszweigen Leute gesucht werden und Stellen unbesetzt bleiben, fanden viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktive Alternativen.
Siegen: Personalmangel in der Gastronomie hat auch viel mit alten Vorbehalten zu tun
„Wir haben zum Glück treue feste Mitarbeiter“, sagt Andrea Dielmann, Inhaberin des Hotels Ewerts in Netphen-Deuz. „Aber ich kriege von Kollegen mit, dass vor allem für Minijobs kaum jemand zu finden ist. Wir fragen uns schon: Wo sind die Leute alle hin?“ Sie kenne die Vorbehalte, die gerade junge Menschen gegenüber Jobs in der Gastronomie haben: Schlechte Bezahlung, miese Arbeitszeiten, ein oft rauer Umgangston.
Keine Kapazitäten
Der Personalmangel macht inzwischen auch spontane Ausflüge in Restaurants schwieriger.
Wer nicht reserviert hat, könnte beim kurzentschlossenen Besuch weggeschickt werden, weil keine Kapazitäten frei sind. Früher bezog sich so etwas eher auf die Anzahl der zur Verfügung stehenden Tische. Heute liegt es oft daran, dass nicht genügend Kräfte in der Küche und/oder im Service da sind, um sich angemessen kümmern zu können.
„Aber das stimmt alles gar nicht mehr, da hat sich viel getan“, betont die Hotel-Betreiberin. „Wir verlangen zum Beispiel gar nicht, dass Leute bei uns mehr arbeiten als in anderen Branchen. Die Zeiten sind nur flexibler.“ Chefinnen und Chefs könnten dabei auch entgegenkommend sein. Und der Umgang mit der Belegschaft sei eine Frage des jeweiligen Selbstverständnisses. „Ich bin ein guter Chef, wenn ich meine Mitarbeiter hege und pflege“, sagt Andrea Dielmann. „Außerdem werden meine Gäste nur lächeln, wenn ich meine Mitarbeiter zum Lächeln bringe.“
Blitzumfrage der IHK Siegen: Personalnot belastet mehr als ein Drittel der Gastronomen
38 Prozent der Teilnehmenden stuften in der jüngsten Blitzumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen den Fachkräftemangel als Belastung ein. Die IHK hatte 73 Gastro-Betriebe in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe befragt und die Ergebnisse im August vorgelegt. Hauptsorge ist demnach zwar der angekündigte Wiederanstieg der Mehrwertsteuer auf Speisen: Mit Beginn des Jahres 2024 soll diese wieder 19 statt der während der Pandemie geltenden 7 Prozent betragen. Doch der Mangel an Mitarbeitenden haut schon heute rein. „Insbesondere aufgrund des fehlenden Personals sind vielerorts die Öffnungszeiten längst deutlich eingeschränkt“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener.
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„Wir sind ganz gut aufgestellt“, berichtet Heidi Leyener vom Hotel und Restaurant „Ginsberger Heide“ in Hilchenbach-Lützel. Nach der Pandemie habe es im Haus Mitarbeitermangel gegeben, der sei inzwischen aber behoben. Derzeit bestehe das Team aus zehn Festangestellte und zehn Aushilfskräften. Zwei Auszubildende seien aktuell im jeweils dritten Jahr. In Zukunft „kriegen wir Fachkräfte nur, wenn wir selbst ausbilden“, sagt die Chefin. Vor allem Berufsmessen seien eine gute Möglichkeit, um Kandidatinnen und Kandidaten anzusprechen.
Siegen und Umgebung: Gastro-Betriebe müssen immer öfter Öffnungszeiten verkürzen
Schwierig sei es dennoch, junge Menschen zu erreichen. Ein Grund seien oft Äußerungen innerhalb der Familien. Viele Eltern rieten ihren Kindern von einem Job in der Gastronomie ab, „sagen ihnen: ,Lern mal lieber was Vernünftiges’“, so Heidi Leyener. „Direkt im Anschluss fragen sie dann: ,Wo gehen wir denn Sonntag essen?’“ Das schlechte Image liege dabei teilweise – zumindest, wenn es um Umgangsformen geht – auch in manchen früheren Gepflogenheiten der Branche begründet. Das allerdings hätten die Betriebe selbst in der Hand. „Neue Servicemitarbeiter bei uns sagen manchmal ganz erstaunt: ,Bei Euch schreit ja keiner’“, sagt Heidi Leyener. „Aber bei uns schreit natürlich keiner. Wir sind ein Familienbetrieb und wir wollen es familiär.“
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Negative Entwicklungen beobachtet auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) – und zwar „neue Öffnungszeiten“, wie es in einer Mitteilung heißt. „Immer häufiger stehen Gäste vor verschlossenen Türen“, sagt Isabell Mura, Geschäftsführerin der NGG Südwestfalen. „Wer zum Essen rausfährt oder etwas trinken möchte, sollte sich besser vorher im Internet oder per Anruf erkundigen, ob das Lokal auch offen hat. Und vor allem, wie lange es warme Küche gibt.“ Weil Personal fehle, hätten viele Gaststätten und Restaurants bereits zusätzliche Ruhetage eingelegt. „Einige Häuser streichen den Mittagstisch komplett. Und oft schließt die Küche abends deutlich früher“, so die Gewerkschafterin. „Der Trend ist klar: Die Gastronomie kocht und bedient nur noch auf Sparflamme.“
Gastro-Branche in Siegen-Wittgenstein: Viele Stellen bleiben schon heute unbesetzt
Der Grund sei die Personalnot. Allein für den Kreis Siegen-Wittgenstein habe die Bundesagentur für Arbeit in der Hotellerie und Gastronomie aktuell rund 40 offene Stellen registriert, außerdem seien mehr als ein Dutzend Ausbildungsplätze noch frei. Lösungsvorschlag der NGG: „Höhere Löhne und bessere Arbeitszeiten sind der Schlüssel für mehr Personal“, sagt Isabell Mura.
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Konkret schwebt ihr für die Zukunft ein Gastro-Start-Lohn von 3.000 Euro brutto pro Monat für alle vor, die in der Hotellerie und Gastronomie nach ihrer Ausbildung in einem Vollzeit-Job weiterarbeiten. „Das muss die Branche hinbekommen. Denn wer seine Ausbildung in der Küche, im Service oder im Hotel abgeschlossen hat, braucht eine klare Perspektive.“ Ein Großteil der Gastro-Betriebe zahle noch immer keinen Tariflohn. „Das ist ein Unding, wenn man gute Leute sucht.“
Siegen: Buchungslage gut – doch Hotelzimmer gesperrt, weil Reinigungskräfte fehlen
Was auch immer die Branche tue, um für potenzielle Arbeitskräfte attraktiver zu werden: Es nützt nur dann etwas, wenn die infrage kommenden Menschen es auch mitkriegen, wie Sandra Kahmer-Dach, Geschäftsführerin vom Hotel „Siegboot“ in Eiserfeld, unterstreicht. Vier Ausbildungsplätze gibt es dort, zwei davon sind derzeit offen. „Betriebe müssen bundesweit in die Offensive gehen“, sagt sie und gibt ein Beispiel. „Ich biete unseren Auszubildenden ein Auslandspraktikum in Österreich an. Aber als kleiner Betrieb kann ich das nicht so breit kommunizieren.“ An dieser Stelle seien die Branchenverbände gefragt, um Vorzüge und Benefits in größerem Rahmen bekannt zu machen. Im Hotel Siegboot ist die veränderte Situation zu spüren.
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„Uns fehlen helfende Hände etwa bei der Zimmerreinigung. Ich musste deshalb schon Zimmer sperren, und dabei ist die Buchungslage top.“ Natürlich packe sie als Chefin selbst an und kümmere sich auch um die Reinigung. Doch davon, dass weniger Personal da ist, hat der Tag nicht mehr Stunden – und was ihre täglichen Aufgaben betrifft, „gibt es ja auch noch andere Bereiche“. In „Tommis Restaurant“ – ein separates Haus, dem Hotel aber angegliedert – zeigt sich der Engpass noch klarer. 25 Jahre lang sei an sieben Tagen pro Woche geöffnet gewesen, sagt Sandra Kahmer-Dach: „Jetzt noch an vier Tagen“, weil Mitarbeitende in Küche und Service fehlen. Die Nachfrage stehe dazu im Widerspruch. „Der Bedarf ist da, die Menschen wollen feiern und nach Corona etwas nachholen“, sagt die Geschäftsführerin. Aber selbst machen möchte diese Jobs eben kaum noch jemand.
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