Siegen. Das neue Azubi-Jahr steht an. In Handwerks- und Industriebranchen sind noch viele Stellen offen. Unter der Lage leidet auch die Azubi-Qualität.

Am 1. August beginnt das neue Ausbildungsjahr – für viele Jugendliche bietet sich dann die Möglichkeit, sich nach neuen Stellen umzuschauen. Gleichzeitig werden sowohl im Industrie- als auch im Handwerksbereich händeringend Auszubildende gesucht. Woran das liegt und was sich dringend ändern muss, erklären Sabine Bechheim von der IHK-Siegen sowie Harald Görner von der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd.

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Kurz vor dem Ende des diesjährigen Azubi-Jahres zieht IHK-Mitarbeiterin Sabine Bechheim eine erste Bilanz. Das Urteil: Im Industrie- und Handelsbereich sind in den meisten Branchen aktuell weitere Rückgänge zu verzeichnen. Besonders kleinen regionalen Betrieben fiele es schwer, Auszubildende für sich zu gewinnen. Vor allem der gewerbliche und technische Bereich hätte zu kämpfen, darunter Gastronomie- sowie Metall- und Elektroberufe. „Im Grunde genommen, geht der Mangel quer durch alle Branchen“, berichtet Sabine Bechheim, die bei der IHK-Siegen für den Bereich Berufliche Bildung und Gründung zuständig ist.

Volkswirtschaftlicher Schaden

Bis zur Corona-Krise habe es einen deutlichen Anstieg an Auszubildenden im Industrie- und Handelsbereich gegeben, doch seit der Pandemie konnte sich die Branche nicht mehr erholen. In den kommenden Jahren brauche es daher einen Umschwung, damit viele mittelständische Betriebe wegen Personalmangels in Folge des demografischen Wandels nicht wegfallen. „Der volkswirtschaftliche Schaden ist schon da“, verdeutlicht sie.

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In den letzten Jahr habe sich die Tendenz von Jugendlichen, sich nach ihrer Schulzeit erst einmal anderweitig weiterzubilden oder sich eine Auszeit zu nehmen, weiter verfestigt. „Viele schieben die Entscheidung, ob akademischer- oder Ausbildungsweg, nach hinten.“ Die meisten Schulabsolventen besuchen im Anschluss für zwei Jahre eine Höhere Handelsschule oder leisten ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ab, anstatt sich für eine Ausbildungsstelle zu bewerben – Rekordzahlen belegen dies, so Bechheim. In Handelsschulen könnten Jugendliche zwar im Wirtschaftsunterricht die Fachhochschulreife erwerben, doch in „80 Prozent der Fälle gingen diese dann sowieso in die Ausbildung“, so Sabine Bechheim weiter.

Zu viele Studenten – zu wenige Azubis

Auch der Anstieg von Studenten sei ein Problem für die Industrie- und Handelskammer. „Wenn immer mehr junge Leute mit guten Noten sich dazu entscheiden, sich akademisch weiterzubilden, landen tendenziell eher weniger Qualifizierte in den Betrieben“, spricht sie über steigende Probleme auf dem Ausbildungsmarkt. Bechheim hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es zu einem Umdenken bei den Jugendlichen kommt und Ausbildungsangebote wieder mehr in den Vordergrund rücken. „Immer da, wo Mangel herrscht, geht der Verdienst nach oben. In einer Ausbildung liegen statistisch genau so große Chancen wie in einem Studium.“

Auch in den Handwerksbetrieben hat sich die Personalsituation im vergangenen Jahr nicht verbessert. Vor allem im Bau- und Tiefbaumanagement sowie im Ernährungshandwerk werden für die nächste Saison händeringend neue Auszubildende gesucht. Der Fachkräftemangel ziehe sich jedoch auch hier durch alle Branchen, so Harald Görnig, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd. „Es werden an allen Stellen Auszubildende gesucht. Die Nachfrage ist fast überall gleich groß“, betont er.

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Bedenken über einen Qualitätsverlust bei den neuen Auszubildenden hat der Hauptgeschäftsführer keine. „Ich glaube nicht, dass die Qualität schlechter geworden ist – vielleicht hapert es daran, die Jugendlichen für den Beruf zu motivieren.“ Das begründet er vor allem im heutigen Lebensalltag mit deutlichen Veränderungen zu früheren Zeiten. Auch mangelndes Interesse der Auszubildenden will er nicht gelten lassen. „Die Jugend ist heutzutage nicht fauler geworden – das stimmt so nicht – sie sind anders.“

Kein Patentrezept vorhanden

Das Patentrezept, um mehr Fachkräfte für das Handwerk zu gewinnen, hat der Hauptgeschäftsführer aber auch noch nicht gefunden. Seit 25 Jahren führt Görnig einen eigenen Metallbau-Betrieb. Er weiß daher nur zu gut, wie schwer die Suche nach Auszubildenden in der Branche sein kann. „Die Jugendlichen brauchen zum richtigen Zeitpunkt den passenden Impuls, der ihnen zeigt, was sie eigentlich machen möchten. Wir müssen sie im richtigen Moment erwischen“, verdeutlicht der gelernte Metallbauer. Nach der Schulzeit wüssten viele gar nicht, was die Handwerksbranche zu bieten habe. Er empfiehlt deshalb, sich vorab ein eigenes Bild von den Handwerksbetrieben zu machen und über kurze Praktika oder Schnuppertage in den Arbeitsalltag hineinzuschauen. Oftmals fiele dann das Urteil der Jugendlichen ganz anders aus. Denn: Sowohl ein guter Verdienst als auch die Wertschätzung seien in vielen Handwerkssparten mehr als gegeben, so Görnig weiter.

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Für die nächsten Jahre sieht er im Vergleich zum Industriebereich bessere Zeiten auf die Branche zukommen. „Das Handwerk hat goldenen Boden, in Zukunft mehr denn je“, glaubt er an einen erfolgreichen Strukturwandel. Insbesondere die fortschreitende Technisierung könne für viele Mitarbeiter auf dem Bau von Vorteil sein. Dazu dürfte sich der Lohn in den kommenden Jahren der deutlich erhöhten Nachfrage für alle Handwerksbereiche anpassen. „Im Handwerk werden die Mitarbeiter in Zukunft noch einmal deutlich besser bezahlt werden“, prognostiziert er auch hier einen Anstieg.

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