Obersdorf. Die Dorfgemeinschaftshäuser können noch nicht zurückgegeben werden, auch wenn die Geflüchteten aus der Ukraine dort nicht mehr untergebracht sind
Forsthäuser liegen oft sehr idyllisch, das ehemalige Forstamt Siegen-Süd ist da keine Ausnahme. Es ist halt sehr abgelegen, ein gutes Stück unterhalb von Obersdorf. Zunächst 32 Menschen, Geflüchtete aus der Ukraine, finden hier in den kommenden Tagen ein neues Zuhause – mit eigenen Zimmern, festen Wänden und Decken, nachdem sie teils monatelang in provisorisch zu Unterkünften umgebauten Dorfgemeinschaftshäusern hatten wohnen müssen.
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Für die Gemeinde Wilnsdorf entspannt sich die Flüchtlingssituation damit aber nur ein kleines bisschen: „Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen“, sagt der 1. Beigeordnete Johannes Schneider.
Hausgemeinschaften in Dorfgemeinschaftshäusern – dort leben Frauen und Kinder
Zustand des Gebäudes: „Super“, sagt Bürgermeister Hannes Gieseler, „wir mussten kaum was machen.“ Das Forstamt, in den 1960er Jahren zusammen mit dem unterirdischen Fernmeldebunker der Bundeswehr gebaut (wir berichteten), war ein Verwaltungsgebäude, mit Büros, Sitzungszimmern, Konferenzräumen, WCs auf dem Flur. Nachdem die Gemeinde die 14.000 Quadratmeter große Liegenschaft 2022 gekauft hatte, wurden Reparaturen und Modernisierungsarbeiten durchgeführt: Hier und da zusätzliche Wände in die größeren Räume einziehen, zusätzliche Toiletten auf den beiden Wohn-Trakten einbauen, Küchen und Gemeinschaftsräume einrichten, im Kellergeschoss neue Duschanlagen bauen. Interieur hatte die Verwaltung teils noch auf Lager – die ehemalige Lernküche der Realschule zum Beispiel –, teils wurde zugekauft. 125.000 Euro hat Wilnsdorf in Umbau und Herrichtung gesteckt, inklusive neuer LED-Beleuchtung und Brandschutzanlagen.
Überwiegend Frauen mit Kindern und ein paar Senioren ziehen in die 13 Wohnräume ein, von denen jeder mit zwei bis acht Personen belegt werden kann. Sie kommen alle aus der Ukraine: Aus Erfahrung wisse man, Nationalitäten und Religionen besser nicht zu mischen, um Konflikte zu vermeiden. In Rinsdorf und Wilden lebten sie, teils schon seit Monaten, notgedrungen in Spanplatten-Parzellen, ohne Decken. „Hier gibt es abschließbare Türen, eigene Heizung, große Fenster“, so Gieseler, „sie sind sehr glücklich über diesen qualitativen Unterschied“. In den umgebauten Dorfgemeinschaftshäusern seien bereits richtige Hausgemeinschaften entstanden, man habe sich zusammengerauft, berichtet Beigeordneter Schneider, das Zusammenleben funktioniere gut: So seien etwa Babysitten, Fahrgemeinschaften oder Einkäufe gut innerhalb der Gruppen organisiert. „Die meisten Ukrainer sind mobil und haben Autos“, sagt Giesler.
Die Verpflegung übernehmen die Bewohnerinnen und Bewohner, die Gemeinde sorgt für eine hauptamtliche Betreuung. „Sie kennen sich noch nicht so gut aus, sind teils traumatisiert“, so Hannes Gieseler. Aufgrund der Entfernung zum Ort hat der Bürgerbusverein angeboten, das Forstamt Siegen-Süd regelmäßig anzusteuern, die Haubergsgenossenschaft könnte einen Fußweg ins Dorf wieder ertüchtigen.
Flüchtlingssituation in Wilnsdorf: Prekärstes Wohnen für Ukrainer – bisher
194 Menschen sind aktuell in Unterkünften der Gemeinde Wilnsdorf untergebracht: Die 32 Ukrainer, noch in den dafür umgebauten Dorfgemeinschaftshäusern Rinsdorf und Wilden, 162 in den alten Grundschulen – die Flüchtlingsunterkünfte der Gemeinde, die schon vor dem Krieg bestanden. Deren Bewohner stammen vor allem aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran. Das Zusammenleben untereinander und in den Ortschaften funktioniere überwiegend gut, sagt Johannes Schneider, die meisten würden mitarbeiten, der Verwaltung keinen Ärger machen. Leider gebe es aber auch in Wilnsdorf eine kleine Minderheit von „Querschlägern“, die das doch tue. „Die fressen 75 Prozent unserer Kapazitäten.“
Die prekärste Wohnsituation ist die der Ukrainer, betont der Bürgermeister, daher bekommen sie im alten Forstamt eine bessere Bleibe – Rinsdorf und Wilden bekommen ihre Dorfgemeinschaftshäuser aber noch nicht zurück. Zwar hatte die Gemeinde das vor, aber die Zuweisungen steigen wieder, aktuell seien es fünf bis zehn pro Woche. Der Bürgermeister rechnet mit mehr in den kommenden Monaten, nach wie vor gebe es kaum noch zusätzlichen Wohnraum. „Geld nehme ich gerne“, schimpft Gieseler auf den Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern, „aber damit kann ich von heute auf morgen keine Unterkunft zimmern.“ Das Forstamt sei zumindest baulich ein Glücksfall, aber eben auch weit ab vom Schuss. „Das ist nicht das Ziel“, betont Gieseler, „wir möchten nicht, dass die Menschen hier vereinsamen.“ Die Gemeinde habe aber keine Räume, „wir müssen nehmen, was wir kriegen können“ und ist weiter auf der Suche nach bezahlbaren Immobilien in vernünftigem Zustand.
Zahlen
431 Geflüchtete leben zur Zeit in Wilnsdorf, 45 sind der Gemeinde seit Jahresbeginn zugewiesen worden.
252 davon wurden aufgrund des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) zugewiesen – darunter 194 Ukrainer –, 124 mit Wohnsitzauflage nach Aufenthaltsgesetz sowie 55 mit Duldungs-Status.
Wie viele seiner Amtskollegen fordert Hannes Gieseler eine grundlegende Reform des Einwanderungsrechts: „Es kann nicht sein, dass wir erstmal alle aufnehmen und dann jahrelang keine Entscheidung über Bleibeperspektiven getroffen wird“, kritisiert der Bürgermeister. Zumal es auch kaum Rückführungen gebe: Man müsse am Anfang entscheiden ob eine Bleibeperspektive da ist und wenn nicht, schnell abschieben – so wie derzeit werde das Problem nur bei den zunehmend damit überforderten Kommunen abgeladen. „Wenn wir nur aufnehmen, können wir den Menschen nicht gerecht werden.“
Bürgermeister: Wilnsdorf muss ausbaden, was andere entscheiden
Mehrere Dutzend Obersdorfer sind gekommen, um sich das ehemalige Forstamt vor der Belegung noch einmal anzusehen, Fragen zu stellen, Bedenken zu äußern. Einige bieten Hilfe an, fragen ob und was sie tun können, andere sorgen sich, dass nach den Ukrainern auch hier alleinreisende Männer aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum untergebracht werden, wie in den Grundschulen. Dazu könne er keine Aussagen treffen, sagt Johannes Schneider – niemand wisse wie lange der Krieg noch dauere. Aber in der Tat seien „durch die Bank“ – und nicht nur Wilnsdorf – seit dem Jugoslawienkrieg den Kommunen Flüchtlingsfamilien angekündigt worden, gekommen seien dann aber alleinreisende Männer. „Irgendwann wussten wir uns keinen Rat mehr und nahmen die Räume, die wir haben.“ Die Gemeinde habe keinen Einfluss darauf, wer kommt, betont der Bürgermeister: „Wir müssen an der letzten Stelle das ausbaden, was andere entscheiden.“
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