Siegen. Die Stadt Siegen fürchtet enorme Probleme bei der Unterbringung von Geflüchteten: Schon jetzt sind die Zahlen so hoch wie 2015 – „mindestens“.

Wie das alles bezahlt werden soll, darüber macht sich die Siegener Stadtverwaltung später Gedanken. Erstmal müssen die Geflüchteten menschenwürdig untergebracht werden – und das werde immer problematischer. Denn die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft, Siegen ist quasi voll. Was das Land NRW nicht daran hindert, der Stadt weiter Menschen zuzuweisen; ohne Rücksicht darauf, dass Siegen seine Quote zu fast 100 Prozent übererfüllt hat, kritisiert Bürgermeister Steffen Mues.

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Siegen hat mit dem Kredenbacher Krankenhaus eine städtische Übergangseinrichtung an den Start gebracht, die gar nicht in Siegen liegt. Trotzdem dürfte auch diese Reserve zum Jahresende voll sein. „Dann können wir Turnhallen nicht ausschließen“, sagt Mues.

Siegen hat die Aufnahmequote zu fast 200 Prozent erfüllt

Die Gemengelage ist ohnehin problematisch. Corona ist nicht vorbei, die Energiekrise schon gar nicht, jetzt steigen die Flüchtlingszahlen. Schon ohne den Ukraine-Krieg seien die Zahlen bei denen, die Asyl beantragten, prozentual deutlich höher als in den Vorjahren, sagt Sozialdezernent Andree Schmidt. 2020 waren es 37 Zuweisungen über das Land nach Siegen, 2021 dann noch 12, 2022 bereits wieder 95, ein Großteil davon erst in den vergangenen Wochen. „Wir rechnen mit mehr.“

Appell: Siegen sucht Wohnraum

„Wir haben im Frühjahr gesehen, was noch an Wohnraum auf den Markt kommen kann“, sagt Bürgermeister Steffen Mues – hunderte Wohnungsangebote für Geflüchtete aus der Ukraine hätten der Stadt sehr geholfen, die Situation zu meistern.

Die Verwaltung erneuert diesen Appell: Die Stadt benötigt dringend Wohnraum, für Flüchtlinge aus der Ukraine und auch alle anderen Personengruppen, die nach Siegen kommen. Ohne Unterstützung der Bevölkerung werde es schwer.

Wer Wohnraum zur Verfügung stellen kann: .

Das wäre für sich nicht weiter dramatisch. Auch die 26 besonders schutzbedürftigen Personen nicht, vor allem afghanische Ortskräfte, die Siegen sich als „Sicherer Hafen“ bereiterklärt hat aufzunehmen. Und das grundsätzlich nach wie vor gern tue, betonen Bürgermeister und Sozialdezernent. Gewaltige Probleme macht der Stadt, dass Bund und Land unabhängig voneinander Geflüchtete nach Siegen schicken und dabei vor allem das Land ignoriere, dass Siegen schon sehr viele Menschen aufgenommen hat und diese auch zum großen Teil weiter unterbringen und betreuen muss.

Siegen kann bei weiter steigenden Zahlen Belegung von Turnhallen nicht ausschließen

Und auch aus der Ukraine, die vom Bund zugewiesen werden, dürften mehr Menschen fliehen, jetzt wo der Winter bevorsteht und Russland gezielt Zivilisten und Versorgungsinfrastruktur angreift. Gleichzeitig beobachtet Bürgermeister Mues eine „bröckelnde Solidarität“ in Deutschland: Bis auf drei Bundesländer, darunter NRW, hätten sich alle sperren lassen für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge. Ähnlich ungleich sei es innerhalb der EU verteilt. „Wir tun was wir können“, betont Mues, „aber wir haben so dramatische Probleme bei der Unterbringung, dass wir die Belegung von Turnhallen nicht mehr ausschließen können.“ Und nach zwei Corona-Jahren ohne Schul- und Vereinssport wären solche Massenquartiere ohne wirkliche Privatsphäre nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für die einheimische Bevölkerung schlimm.

Bereits 2015 wurde das ehemalige Gebäude der Albert-Schweitzer-Grundschule am Rüsterweg als Flüchtlingsunterkunft hergerichtet – und nie bezogen. Bisher. (Archiv)
Bereits 2015 wurde das ehemalige Gebäude der Albert-Schweitzer-Grundschule am Rüsterweg als Flüchtlingsunterkunft hergerichtet – und nie bezogen. Bisher. (Archiv) © Hendrik SChulz

Gleichzeitig stehen NRW-weit im Winter 2022 insgesamt 45.000 Plätze weniger als im Sommer 2015 in den landeseigenen Unterkünften zur Verfügung. Was sich in den Kommunen schnell bemerkbar mache: Zunehmend würden Menschen mit unklarem Aufenthaltsstatus zugewiesen. Der Ernst der Lage für die Kommunen werde in Düsseldorf offenbar nicht wirklich wahrgenommen, so Mues’ Eindruck.

Zuweisungen nach Siegen werden nicht aufgerechnet – und das ist das Problem

3700 Geflüchtete – gerundet – bringt die Stadt Siegen derzeit unter. 1335 davon wurden vom Land zugewiesen (FlüAG), darunter 1066 Ukrainer, wobei sich diese Zahl auf die Aufnahmen bezieht, unabhängig von Rückreise oder Umzug – Quote zu 95,28 Prozent erfüllt, Aufnahmeverpflichtung 66 Personen. 2392 Personen wurden per Bundesregelung zugewiesen – Erfüllungsquote 192,26 Prozent, 1148 Personen „zu viel“. Beide Quoten, und das ist das Problem für Siegen, werden nicht gegeneinander aufgerechnet. In NRW gibt es fünf Kommunen, die eine noch höhere Quote haben als Siegen, sagt Steffen Mues.

Drei Übergangseinrichtungen betreibt Siegen bislang, Im Wiesental (Geisweid), Am Dreesch (Hengsbach) und Tiergartenstraße (Innenstadt), dazu kommen sechs weitere städtische und 48 angemietete Objekte im ganzen Stadtgebiet, von der Kleinwohnung bis zum Haus für 30 Personen. Von 513 Plätzen sind aktuell 424 belegt.

Siegen bringt zwei weitere Unterkünfte für Geflüchtete an den Start

Zwei neue Unterkünfte kommen hinzu: Einmal das ehemalige Schulgebäude am Rüsterweg im Geisweider Wenscht, das schon 2015 als Flüchtlingsunterkunft hergerichtet und dann nicht benötigt wurde. Die rund 50 Plätze werden „dieses Mal ziemlich sicher“ benötigt, so Schmidt. Außerdem das ehemalige Krankenhaus Kredenbach, das der Kreis im Frühjahr als „Pufferunterkunft“ für die Region hergerichtet hatte. 200 von 300 Plätzen werden seit Oktober in Kreuztal für die Menschen vorgehalten, die der Stadt Siegen zugewiesen werden (wir berichteten) – was schon formaljuristisch eine Herausforderung gewesen sei. Aktuell leben dort 54 Personen, 47 davon „aus Siegen“. Die Stadt hat Personal, Verpflegung, Betreuung vor Ort aufgebaut, als wäre es eine Einrichtung in Siegen, „organisatorisch ist da sehr viel zu leisten“, lobt Andree Schmidt die Verwaltung. Und auch das Ehrenamt, das nach wie vor nach Kräften unterstützt.

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Sechsstellig, im höheren Bereich dürfte das daraus folgende Defizit für die Stadt Siegen sein. Die Gesetzeslage sei deutlich besser als 2015, betont der Bürgermeister, aber die Situation sei nach wie vor teuer. Nicht alle Kosten würden abgedeckt, Erstattungen von Bund und Ländern reichten nach wie vor nicht.