Siegen-Wittgenstein. Alle Scheren gehen auseinander in Siegen-Wittgenstein: Der Bedarf an Altenpflege steigt, aber es gibt nicht genug Personal. Hier sind die Fakten.

Für 14,5 Prozent aller Pflegebedürftigen wird ein Platz in einem Pflegeheim gebraucht. Auf dieser Annahme fußt der neue Pflegebedarfsplan des Kreises, den der Kreistag in seiner letzten Sitzung verabschiedet hat. Wäre das so, müssten bis 2025 noch 74 stationäre Pflegeplätze geschaffen werden.

Neue Einrichtungen in Kreuztal (Alloheim) und Bad Laasphe haben ihren Betrieb aufgenommen. Seit 2018 ist für Siegen eine Einrichtung mit 110 Plätzen anerkannt, die aber nach wie vor nicht gebaut wird. Mit den weiteren geplanten Einrichtungen in Bad Berleburg und Freudenberg (Friedenshort) werden bis 2025 voraussichtlich weitere 275 stationäre Pflegeplätze zur Verfügung stehen. Damit hätten Bad Berleburg und Bad Laasphe, Freudenberg und Kreuztal mehr Plätze als rechnerisch benötigt und der Kreis insgesamt eine „Überdeckung“ von 201 Plätzen.

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Genug Personal?

Voraussetzung dafür sei, dass das „erforderliche Personal gefunden werden kann“, heißt es im Pflegebedarfsplan. Zwar gebe es eine „überdurchschnittlich positive Beschäftigungsentwicklung im Bereich Altenpflege seit 2014“, berichtete Pflegebedarfsplaner Lars Stremmel im Sozialausschuss. Diese reiche bei dem Anstieg der Pflegezahlen jedoch nicht aus. Die Zahl der Auszubildenden im Bereich Krankenpflege sei um 41,23 Prozent gestiegen, in der Altenpflege um 12,28 Prozent. Gleichzeitig vergrößere sich das Ungleichgewicht von jüngeren gegenüber älteren Pflegekräften weiter. Stark gestiegen sei die Zahl geringfügig Beschäftigter. „Sowohl bei Stellenumfang als auch bei der Qualifikation passen Angebot und Nachfrage nicht zusammen.“

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Genug Kurzzeit- und Tagespflege?

86,4 Prozent der Pflegebedürftigen wohnen zu Hause, für 55,3 Prozent werden lediglich Geldleistungen bezogen. Das funktioniert, wenn es ausreichende Kurzzeit- und Tagespflegeplätze zur Unterstützung gibt. Die 33 „solitären“, also nur dafür reservierten, und die 226 „eingestreuten“, also auch für eine Dauerbelegung nutzbaren Kurzeitpflegeplätze reichen aber nicht aus, haben die Anbieter selbst gesagt. 21 Tagespflegen stellen 353 Plätze zur Verfügung, davon rund 45 Prozent allein in Siegen und Kreuztal. Wenn es 2025 für 12 Prozent der Pflegebedürftigen ein Angebot geben soll, wären Bad Laasphe, Burbach, Freudenberg, Hilchenbach, Kreuztal , Bad Laasphe und Netphen hinreichend versorgt; in Bad Berleburg Erndtebrück, Neunkirchen, Siegen und Wilnsdorf würden dagegen Plätze fehlen.

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Genug Pflege zu Hause?

Während der Pandemie konnte häusliche Pflege oft nicht aufrecht erhalten werden. Vermehrt sind jüngere Pflegebedürftige in eine Pflegeeinrichtung gewechselt. 8511 Pflegebedürftige wurden Ende 2019 ausschließlich durch Angehörige versorgt, weitere 4143 mit Unterstützung von Pflegediensten. Rund 26.600 Angehörige leisten diesen Dienst – ihre Zahl werde zurückgehen, sagt die Pflegebedarfsplanung voraus. Auch das könnte die Belegungssituation der Pflegeheime verändern, die in den letzten drei Jahren verändert war: Es gab Leerstände, die Verweildauern wurden kürzer – da, „wo es zu schweren Corona-Ausbrüchen und damit zusammenhängenden Todesfällen in Einrichtungen kam“. Freie Plätze erscheinen deshalb vermehrt in der Statistik, weil „in Zusammenhang mit der Pandemie-bedingten höheren Fluktuation Einrichtungen (...) nicht so schnell nachbelegen (konnten), wie Plätze frei wurden“.

Pflegefälle verdoppelt

Nach der neuen Pflegestatistik ist die Zahl der Pflegefälle seit 2019 von 15.396 auf 19.455 gestiegen, seit 2011 habe sich die Zahl fast verdoppelt. Bisherige Prognosen seien damit überholt, stellen die Planer fest. Bis 2040 sind allein in der Altersgruppe 80+ 2.000 Pflegebedürftige mehr als für 2030 zu erwarten. Um für den bevorstehenden Eintritt der Babyboomer-Generation in die Altersgruppe der über 80-Jährigen in den 2030er Jahren vorbereitet zu sein, müssten schon jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden, „damit Hilfe- und Pflegebedürftige auch zukünftig durch die bereits heute unter Druck stehenden Versorgungssysteme die Unterstützung erhalten, die sie benötigen“, fordert der Pflegebedarfsplan.

„Männer werden häufiger als Frauen zu Hause gepflegt“, heißt es weiter, „Pflege ist weiterhin weiblich: Häusliche Pflege wird ebenso wie professionelle Pflege mehrheitlich von Frauen erbracht, die zugleich die Mehrheit der Pflegebedürftigen bildet.“

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„Aufgrund der Alterung der Bevölkerung ist ein Anstieg demenzieller Erkrankungen sowie Pflegebedürftiger mit einer Behinderung oder einem Migrationshintergrund zu erwarten, weshalb sich verstärkt die Frage nach zielgruppenspezifischen Pflegeangeboten stellt“, heißt es in dem Bericht. Besonderes Thema ist die Entwicklung der Demenz. Betroffen sind im Kreis zu zwei Dritteln Frauen, weil sie auch eine höhere Lebenserwartung haben, und zu einem Drittel Männer. 2020 wurden 3190 Neudiagnosen gestellt, das sind 1,12 Prozent der Bevölkerung. Mit 1,6 Prozent waren die Zahlen in Burbach und Wilnsdorf am höchsten. Am niedrigsten lagen sie in Freudenberg (1,1) und Erndtebrück (1,0).

2040 jeder Dritte über 65

Seniorenanteil: Bis 2040 verliert Siegen-Wittgenstein rund 16.100 Einwohner. 2011 standen 34,3 Einwohner im Rentenalter 1000 Erwerbsfähigen gegenüber, 2021 waren es bereits 37,7. Bis zum Jahr 2040 wird in der Mehrheit der kreisangehörigen Kommunen etwa jede dritte Person mindestens 65 Jahre alt sein. Den höchsten Anteil 65- bis 79-Jähriger stellt dann die Stadt Bad Laasphe, wohingegen Bad Berleburg voraussichtlich den höchsten Anteil über 80-Jähriger Einwohner (10,6 Prozent) verzeichnen wird. Mit 24,15 Prozent wird für die Stadt Siegen bis 2040 der geringste Seniorenanteil vorausberechnet. In Bad Laasphe leben dann 65 Menschen im Rentenalter pro 100 Erwerbsfähige, in Wilnsdorf 62,5, in Bad Berleburg 61,9. Die Bevölkerung der Stadt Siegen hebt sich auch hier wieder mit einem vergleichsweise niedrigen Altenquotienten von 43,3 ab.

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Während die Stadt Hilchenbach 2020 mit 23,58 Prozent den höchsten Anteil über 65-Jähriger insgesamt aufwies, lag der Anteil hochaltriger Menschen (80+) in Bad Laasphe mit 8,23 Prozent noch etwas höher. Die Altersgruppe 65-79 stellte den größten Anteil an der Gesamtbevölkerung in Wilnsdorf. Am niedrigsten lag der Seniorenanteil in der Gemeinde Burbach mit 20,38 Prozent, während der Anteil über 80-Jähriger in Freudenberg mit 6,36 Prozent am geringsten war.

Durchschnittsalter: Betrug der Altersdurchschnitt im Jahr 1987 noch 37,7 Jahre, wird er 2030 ­voraussichtlich bei 45,3 und 2040 bei 46,4 Jahren liegen. Im Jahr 2019 lag das Durchschnittsalter für den Kreis Siegen-Wittgenstein bei 44,4 Jahren. Mit einem Altersdurchschnitt von 42,3 Jahren war Siegen 2019 die jüngste Kommune im Kreis, gefolgt von Burbach mit 42,8 Jahren. Die älteste Bevölkerung lebte 2019 mit einem Durchschnittsalter von 45,2 Jahren in Bad Laasphe sowie mit 45,1 Jahren in Bad Berleburg.

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Am stärksten altert die Bevölkerung der Gemeinde Burbach, die 2019 noch die zweitjüngste war. Im Durchschnitt wird die Burbacher Bevölkerung dann 46 Jahre alt sein. Die Bevölkerung der Stadt Bad Laasphe, die bereits 2019 den höchsten Altersdurchschnitt hatte, altert ebenso stark und wird kreisweit mit 48,3 Jahren im Jahr 2040 auch weiterhin die älteste Kommune in Siegen-Wittgenstein sein. Demgegenüber altert die Bevölkerung in Siegen vergleichsweise moderat um nur 0,5 Jahre auf 42,7 Jahre. Die Stadt Kreuztal wird dann die zweitjüngste Kommune mit einem Altersschnitt von 44,7 Jahren sein.

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