Kreuztal. Nach Ansicht von Kreuztaler Pflegefachkräften macht die NRW-Pflegekammer keinen Sinn – zumal der Ton immer harscher wird: „Wurden nicht gefragt“

Die Pflege muss in der Gesellschaft eine wichtigere Rolle spielen. Das will auch das Land NRW. Derzeit arbeitet es an der Errichtung einer Pflegekammer. Sie soll den Beruf weiterentwickeln, Qualitätsrichtlinien ausarbeiten und möchte sicherstellen, dass genug Fachkräfte in der Branche sind. Das Ganze klingt auf den ersten Blick vielversprechend – „doch was sie machen sollen, wird schon gemacht“, sagt Susanne Leyendecker, stellvertretende Geschäftsleiterin und Pflegedienstleitung bei der Stiftung Diakoniestation Kreuztal. „Wir werden seit einem Jahr mit Briefen bombardiert, jetzt wird der Ton harscher“, erzählt sie. „Es gilt eine Zwangsregistrierung für Pflegekräfte, wobei wir nicht gefragt wurden.“

Pflegekammer NRW: Das ist die Situation bei der Stiftung Diakoniestation Kreuztal

Die Stiftung Diakoniestation Kreuztal hätte im Juni 2021 eine Anordnung vom Errichtungsausschuss der Pflegekammer bekommen, dort alle ihre Pflegefachkräfte zu melden. Das habe sie getan. „Seitdem werden wir kontinuierlich mit Post und der Aufforderung zur individuellen Registrierung genötigt. Mit Ordnungsgeldern in Höhe von 2000 Euro bei nicht Registrierung wird gedroht“, heißt es in einem Brief von Susanne Leyendecker, den sie auch an die beiden CDU-Landtagsabgeordneten Jens Kamieth und Anke Fuchs-Dreisbach gerichtet hat.

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Die Stiftung Diakoniestation Kreuztal fühlt sich bedrängt und das in einer Situation, wo alle Pflegekräfte sowieso schon am Anschlag arbeiten. Aufgrund von Corona gab es regelmäßig immer wieder neue Reglungen zu beachten. In einer sowieso schon unterbesetzten Pflegebranche sind alle zusätzlichen Aufgaben weitere Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen. „In diesem Schatten ist das Vorhaben fortgeflochten worden“, kritisiert Susanne Leyendecker.

Kreuztal: Pflegefachkräfte sammeln Unterschriften gegen Pflegekammer

Um sich gegen die Errichtung der Pflegekammer in NRW zu wehren, hat die Stiftung Diakoniestation Kreuztal Unterschriften gesammelt. „Wir fordern eine Urabstimmung über die Frage ,Ja oder nein zur Pflegekammer?’, an der alle Pflegefachkräfte in NRW beteiligt werden“, so Susanne Leyendecker.

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Auch die Gewerkschaft ver.di und weitere Pflegekräfte im diakonischen Bereich im Siegerland teilen die Kritik an der Pflegekammer (siehe Box). Innerhalb der nächsten vier Wochen soll der Beschwerdebrief mit weiteren Unterschriften bei Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann vorliegen, betont Dietmar Braun, Geschäftsleiter der Stiftung Diakoniestation Kreuztal.

Kreuztal: „Die Aufgaben der Pflegekammer sind an den Haaren herbeigezogen“

„Jeder, der das Examen abgelegt hat, soll Beiträge zahlen“, sagt er über die Mitgliedsbeiträge der Pflegekammer. Das gelte auch für examinierte Pflegefachkräfte in Rente. Vom Errichtungsausschuss der Pflegekammer NRW heißt es wiederum, dass er empfehle, dass die Registrierung von Rentnerinnen und Rentnern nicht unmittelbar zur Beitragspflicht, sondern in eine passive und beitragsfreie Mitgliedschaft führen solle. Noch steht die Kammerversammlung nicht fest und damit auch nicht die Beitragsordnung der Pflegekammer. Am 31. Oktober 2022 soll die Kammerversammlung gewählt werden, sie löst dann den Errichtungsausschuss ab.

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Klar ist, viele Pflegekräfte erhoffen sich dank der Kammer bessere Arbeitsbedingungen. Arbeitszeitverkürzungen, mehr Urlaubstage sowie Lohnerhöhungen dürften aber nur Gewerkschaften in Deutschland verhandeln, keine Kammern, betont Susanne Leyendecker. Auch um die Fortbildungen und deren Bezahlung würden sich die Pflegedienste selbst kümmern, dafür brauche es keine Kammer.

„Demokratische Legitimation“ fehlt

In einer repräsentativen Befragung, die von der Landesregierung in Auftrag gegeben wurde, hätte sich die Mehrheit der Pflegenden für die Errichtung einer Pflegekammer ausgesprochen, heißt es auf der Homepage des NRW-Gesundheitsministeriums. 1500 Pflegefachkräfte wurden dafür befragt. In Nordrhein-Westfalen arbeiten rund 220.000 Menschen in der Pflegebranche.

Für die Gewerkschaft ver.di fehlt einer Pflegekammer in NRW die „demokratische Legitimation“, erklärt Landesleiterin Gabriele Schmidt: „Alle Pflegefachkräfte müssen nach ihrer Meinung gefragt werden. Wir fordern deshalb eine Urabstimmung zur Pflegekammer, die noch vor der Kammerwahl stattfinden muss.“ Bereits in Schleswig-Holstein und Niedersachsen wurde eine Pflegekammer eingeführt und wieder aufgelöst.

Im Juni 2020 beschloss der Landtag die Errichtung einer Pflegekammer in NRW. Das Land stellt eine Anschubfinanzierung bis zum Jahr 2027 sicher. Bis auf Weiteres bleibe sie für alle Mitglieder beitragsfrei, heißt es seitens des Errichtungsausschusses der Pflegekammer. Der Ausschuss schlägt der Kommission fünf Euro pro Monat für Vollzeit beschäftigte Mitglieder vor.

Beim Thema Fachkräftemangel sorge die Stiftung Diakoniestation Kreuztal selbst für Nachwuchs, erklärt Susanne Leyendecker. „Die Aufgaben der Pflegekammer sind an den Haaren herbeigezogen“, folgert sie. Ihr hätte man nur etwas abgewinnen können, wenn sie auch wirklich etwas für die Pflegekräfte tun würde, sind sie und Dietmar Braun sich einig.

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Um konkret etwas für die Pflege zu erreichen, brauche man eine bessere Bezahlung, unterstreicht Susanne Leyendecker. „Wir arbeiten zu unmöglichen Zeiten, bei Schnee, Eis, an Silvester.“ Erst so könne man auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken, so Dietmar Braun. „Wir brauchen Menschen, die Verständnis und Empathie für Pflegebedürftige mitbringen.“ Dietmar Braun ist sich sicher, dass man noch auf „schwierigere Zeiten“ beim Fachkräftemangel zusteuere. „Die Situation ist problematisch.“

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