Siegen. Der Mangel ist spürbar und es besteht eine Unterversorgung. Sechs Hebammen aus dem Siegerland geben Tipps, worauf werdende Mütter achten sollten.

Sie betreuen werdende Mütter während der Schwangerschaft, begleiten sie bei der Geburt und unterstützen die Mütter im Wochenbett. Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung von Frauen. Aber wie gut ist Siegen bei der medizinischen Betreuung für Schwangere aufgestellt?

Natascha Bellinger (26) und Barbara Birk (37) kommen beide aus Hilchenbach und sind als Hebammen im St. Marien-Krankenhaus Siegen tätig. Sie stehen den Frauen während der Entbindung im Kreißsaal und nach der Geburt auf der Wochenbettstation zur Seite. „Wir können aber überall Kinder holen, egal ob im RTW oder im Familienauto. Das kann jederzeit überall passieren“, betont Barbara Birk. Vom ersten Kennenlernen kurz vor der Entbindung bis zur Geburt – die Arbeit im Krankenhaus werde nie langweilig: „Jede Geburt ist anders und wir freuen uns jedes Mal mit“, erzählt Natascha Bellinger. „Wir wollen den Frauen vor allem Sicherheit geben und für sie da sein.“ Außerdem helfen die Hebammen in der Stillambulanz Müttern mit Stillproblemen.

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Rebecca Stähler (41) und Sarah Lange (36) aus Siegen versorgen zusammen Frauen in ihrer „Hebammenpraxis am Wellersberg“. Sarah Lange ist gleichzeitig in einem Krankenhaus angestellt. Andrea Groos (39) aus Netphen-Deuz arbeitet rein freiberuflich als Hebamme und bietet in Kooperation mit den Frauenärzten in zwei gynäkologischen Praxen Vorsorgetermine für Schwangere an. Auch in der Praxis am Wellersberg gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Schwangerschaftsvorsorge. Nach der Geburt betreuen alle drei Hebammen die Frauen und ihre Kinder im Wochenbett weiter. Für die Nachsorge besuchen sie die Familien zu Hause. Das Wochenbett sei bei jeder Familie anders. „Das macht unsere Arbeit ziemlich spannend und facettenreich“, sagt Groos. Sie sieht sich am Wochenbett als beratende Schnittstelle. „Der Gynäkologe kümmert sich um die Frau, der Kinderarzt versorgt das Kind und man selbst ist irgendwo dazwischen.“

Siegen: Die Betreuungsmöglichkeiten für Schwangere

Meistens sprechen die schwangeren Frauen die selbstständigen Hebammen direkt an. „Bei jeder Anfrage machen wir in unserer Praxis ein unverbindliches Vorgespräch und klären die Frauen über die vollumfänglichen Leistungen auf, die ihnen zustehen“, erzählt Rebecca Stähler. Das Problem: Viele Schwangeren wissen nicht, dass die Möglichkeit besteht, die Vorsorge mit den vorgeschriebenen regelmäßigen Kontrollen anstatt beim Gynäkologen von Hebammen durchzuführen zu lassen.

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Welche Untersuchungen bei Kind und Mutter notwendig werden, richtet sich nach der Schwangerschaftswoche. Der Fokus der Hebammen orientiert sich an den individuellen gesundheitlichen Bedürfnissen der Frauen. „Die medizinische Versorgung steht bei unserer Arbeit nicht im Vordergrund. Wir nehmen eher eine stärkende Begleitfunktion ein“, sagt Stähler. Häufig seien es Kleinigkeiten, die den Frauen auf der Seele brennen. Von der Mutterpassanlage bis zum ersten Jahr Stillen begleiten die Hebammen die Mütter insgesamt fast zwei Jahre. „Wir sind enge Vertraute für eine ziemlich lange Zeit und dadurch entsteht eine richtig enge Verbindung zu den Familien“, erzählt Sarah Lange.

Die selbstständig tätigen Hebammen (von links) Sarah Lange (36), Andrea Groos (39), Julia Kähleberg (30)und Rebecca Stähler (41) in den Räumen der
Die selbstständig tätigen Hebammen (von links) Sarah Lange (36), Andrea Groos (39), Julia Kähleberg (30)und Rebecca Stähler (41) in den Räumen der "Hebammenpraxis am Wellersberg" in Siegen.  © Verena Schlüter

Siegen: Der Mangel an Hebammen ist enorm

Nicht jede Schwangere im Siegerland bekommt auch eine Hebamme. „Wie an vielen Standorten gibt es auch hier einen spürbaren Mangel an Hebammen“, so Natascha Bellinger. Rebecca Stähler fügt hinzu: „Es besteht eine ganz klare Unterversorgung in Siegen. Wir können längst nicht alle Schwangeren abdecken.“ Immer mehr Schwangere finden keine Hebamme. Für sie und ihre Kolleginnen ist das nur schwer hinnehmbar. „Es tut uns weh, wenn wir verzweifelte Frauen abwimmeln müssen, weil unsere Kapazitäten so ausgeschöpft sind, dass wir sie nicht mehr aufnehmen können“, schildert Lange.

Aber wie viel früher sollte sich die werdende Mütter kümmern? „Am besten so früh wie möglich. Die Frauen sollten sich gleich bei einem positiven Test mit ihrer Wunschhebamme in Verbindung setzten“, empfiehlt Barbara Birk. Auch die selbstständigen Hebammen raten, direkt zu Beginn der Schwangerschaft bei ihnen anzufragen. Viele würden immer noch die 12. Schwangerschaftswoche abwarten und sich dann erst melden. „Dann kann es aber schon zu spät sein, denn freie Plätze sind bei vielen Hebammen Mangelware“, so Birk. Und auch, wenn es zu einer Fehlgeburt kommen sollte, haben die Frauen Anspruch auf eine vollumfängliche Wochenbettversorgung. „Auch in solch schwierigen Situation stehen wir den Frauen unterstützend zur Seite“, erklärt Andrea Groos.

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Bei den Frauen, die sie annehmen, schränken sich die freiberuflichen Hebammen bewusst ein. Sie bieten in einem Umkreis von circa 20 Kilometern Hausbesuche an. „Ich schaffe es einfach nicht, alle, die anfragen, im Wochenbett zu besuchen“, erzählt Andrea Groos. Sie kommt aus Deuz und möchte eigentlich nicht bis nach Siegen fahren, macht es aber trotzdem: „Ab und zu kümmere ich mich um Akutfälle, die niemanden finden konnten und dringend eine Hebamme benötigen.“ Das Einzugsgebiet der Entbindungsstation im St. Marien-Krankenhaus ist sehr weitläufig und wachse immer weiter. „Die Frauen kommen inzwischen aus Hessen und teilweise sogar aus Rheinland-Pfalz“, erzählt Natascha Bellinger.

Siegen: Die beruflichen Möglichkeiten für Hebammen

Hebammen haben in Ihren Beruf viele Möglichkeiten: „Man kann in der Klinik und freiberuflich tätig werden oder sich auf verschiedensten Wegen weiter qualifizieren“, sagt Birk. Bei der Arbeit im Krankenhaus sind Hebammen hauptsächlich in der Geburtshilfe tätig und begleiten Entbindungen. „Wir haben ungefähr 1.200 Geburten im Jahr“, erzählt sie. Wohingegen selbstständige Hebammen überwiegend Kurse geben oder die Betreuung während der Vor- und Nachsorge übernehmen. „Ich genieße an meiner Freiberuflichkeit vor allem die flexible Arbeitseinteilung “, so Andrea Groos. „Man arbeitet eigenständiger als im Klinikum, kann selbst Entscheidungen treffen und hat viel Gestaltungsfreiheit.“

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Selbstständig tätige Hebammen bieten kaum private Geburtshilfe an, wie beispielsweise die bei einer Hausgeburt. „Das ist, nachdem die Summe für die Haftpflichtversicherung für uns derart gestiegen ist, für viele von uns nicht mehr möglich“, sagt Rebecca Stähler. Das könnte sich in Siegen aber bald ändern -- Julia Kuhlenberg (30) aus Wilnsdorf ist Mitglied in einem mehrköpfigen Hebammen-Team, das plant, ein Geburtshaus in Siegen zu gründen (wir berichteten). Dadurch hätten Schwangere eine weitere Option zur außerklinischen Geburtshilfe im Siegerland.

„Die meisten Familien, die wir betreuen, sind sehr dankbar für unsere Arbeit und würdigen das auch“, so Rebecca Stähler. „Wir sind in der Position, der Mensch zu sein, der hautnah bei dem Start ins Leben dabei sein darf.“ Für die Hebammen ist es ein echtes Privileg, bei so vielen intimen Familienmomenten dabei sein zu dürfen. Ihre Arbeit ist für sie alle ihr absoluter Traumberuf: „Es gibt keine Alternative für uns.“

Studium vs. Ausbildung: Ein Beruf im Wandel

Seit Anfang 2020 gilt in Deutschland: Wer nun Hebamme werden möchte, muss studieren. Das Berufsfeld der Hebamme verändert sich gerade. Aufgrund einer Reform des Hebammengesetzes wurde die Ausbildung durch ein vierjähriges duales Studium ersetzt: Die neue Ausbildungsform verbindet das wissenschaftliche Studium mit beruflicher Praxis. Die Ausbildungsstandards werden so europaweit angeglichen.

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Die Hebammen befürchten dennoch, dass der praktische Bezug im Studium vernachlässigt wird, da viel an Fallbeispielen erklärt werde und das echte Umfeld in der Klinik fehle. „Ich persönlich bin froh darüber, dass ich noch die Möglichkeit einer Ausbildung hatte, weil ich ein Mensch bin, der Theorie direkt mit der praktischen Anwendung verknüpfen muss. Und das stell ich mir bei dem Studium schwieriger vor“, sagt Sarah Lange. Während ihrer Ausbildung seien sie und ihre Kolleginnen von Hebammen unterrichtet worden und haben das Handwerk unter größerem Praxisbezug in den Kliniken erlernt. Diese Art des Unterrichts falle im Studium weg, da nun die Lehrstühle der Universitäten verantwortlich sind.

Neue Perspektiven für Hebammen in der Forschung

Rebecca Stähler hält den neuen wissenschaftlichen Schwerpunkt für sehr wichtig. „Der wissenschaftliche Bezug hat mir damals in der Ausbildung gefehlt. Im Studium lernen die jungen Hebammen nun wissenschaftlich zu arbeiten und können in die Forschung gehen.“ Denn für all die neuen Dinge, die in der Geburtshilfe aufkommen, brauche es Hebammen, die forschen können. „Das ist ein neues Teilgebiet, in dem wir bis jetzt noch nicht aktiv waren“, ergänzt Stähler. Sie ist überzeugt, dass diese neue Kompetenz das Berufsfeld erweitern und bereichern wird. Außerdem könne so der Beruf der Hebamme im Hinblick auf die Hierarchien im Krankenhaus gestärkt werden. Sie hofft, dass die Arbeit in den Kreißsälen trotz Studium für die Kolleginnen attraktiv bleibt. „Unsere Tätigkeit ist auf Nachwuchs angewiesen.“

Andrea Groos sieht es kritisch, dass für das Studium ein bestimmter Abschluss vorausgesetzt wird: „Vor der Reform konnte man mit dem Realschulabschluss Hebamme werden, jetzt braucht man das Abitur. Dadurch wird eine große Personengruppe ausgeschlossen und ein Quereinstieg unmöglich.“ Ihrer Meinung nach sagt ein Abschluss nicht viel darüber aus, wie gut eine Person arbeitet. Gross wäre es lieber, wenn weiterhin beide Ausbildungsformen möglich wären: Die reine Ausbildung für diejenigen, die direkt praktisch auf der Entbindungsstation arbeiten wollen und das Studium für Hebammen, die in die Forschung gehen möchten. Denn, ob einem ein Studium oder eine Ausbildung besser liegt, sei immer auch eine Typ-Frage.

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