Siegen. Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt: Wegen Steuerhinterziehung, Betrug, Schwarzarbeit. Aber nicht gegen den Heimatverein Achenbach.

Seit mehreren Wochen ist der Heimatverein Achenbach mit Vorwürfen konfrontiert: Es geht um angeblichen Betrug, um Schwarzarbeit, um Steuerhinterziehung. Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt in der Sache – aber nicht gegen den Verein, sondern Verantwortliche der „Gemeinnützigen Qualifizierungs- und Weiterbildungsgesellschaft des Heimatvereins Achenbach UG“ (WBG), so der Firmenname. Der Heimatverein ist Gesellschafter, hat aber eigenen Angaben zufolge keinen Einfluss auf das operative Geschäft.

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Ermittelt wird nicht gegen die WBG selbst, sondern zwei Personen, so die Staatsanwaltschaft auf Anfrage (siehe unten). Da die Verantwortlichen bislang keine Akteneinsicht erhalten haben, die Vorwürfe aber nicht abebben, möchten sie nun öffentlich dazu Stellung nehmen: Um weiteren Schaden für das Ansehen des Heimatvereins abzuwenden. „Unser guter Ruf hat sehr gelitten. Die Betriebsfähigkeit der WBG ist massiv gefährdet. Diese Machtlosigkeit macht uns sehr zu schaffen“, sagt einer von ihnen*.

Angeblicher Bufdi-Betrug entschieden zurückgewiesen: Anschuldigung von einer Person

Zentrale Anschuldigung: Die Weiterbildungsgesellschaft „verleihe“ Bufdis, die in den Sozialkaufhäusern eingesetzt werden, an Unternehmen oder Privatleute, kassiere somit doppelt ab. Das weisen die Verantwortlichen entschieden zurück. Die WBG beschäftige Menschen, etwa für Hausmeisterdienste oder Reinigung und Pflege öffentlicher Grünflächen. Aber das seien keine Bufdis, vielmehr Teilnehmer sogenannter AGH- oder 16i-Maßnahmen, in Absprache mit und gefördert vom Jobcenter. Bundesfreiwilligendienstleistende (BFD, „Bufdis“) sind in den Sozialkaufhäusern der WBG eingesetzt, mit Vollzeitstellen seien diese Einrichtungen nicht finanzierbar.

Für Verträge, Bescheinigungen, Seminare, Anwesenheitskontrolle, Auszahlungen, Kontakt zum zuständigen Bundesamt, Einsatz an den Dienststellen zuständigen seien demnach zwei Personen gewesen: Der verstorbene Vorsitzende Günther Langer sowie eine weitere Person, die genau für diese Aufgaben als Maßnahmenleitung angestellt war und die WBG inzwischen verlassen hat. Auf ihre Aussage stützen sich die Vorwürfe maßgeblich; auf ihre Aussagen hin nahm die Justiz die Ermittlungen auf, bestätigt Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss.

Einem WBG-Beschäftigten wird zudem persönlich Abrechnungsbetrug vorgeworfen. „Ich habe nie auch nur eine Abrechnung gemacht“, sagt er. Dafür habe man einen externen Lohnbuchhalter.

Nicht alle, die für die Achenbacher Weiterbildungsgesellschaft arbeiten, sind Bufdis

Die Personenkreise, so die Verantwortlichen, würden durcheinandergeworfen: Die WBG habe einerseits Menschen von der Straße geholt, sie mit den Maßnahmen in geförderte Arbeit als Stadtteil- und Grünflächenpflege gebracht. Dass diese Leute zusätzlich für Senioren im Ort die Hecke geschnitten haben, könne nicht ausgeschlossen werden – man kenne sich eben in Achenbach, „wir wissen davon aber nichts!“ Auch die ehemalige angestellte Person nicht, denn die sei nicht auf der Straße unterwegs gewesen: „Sie saß ja hier im Büro.“

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Die Bufdis sind zwar auch über die WBG beschäftigt, aber auf anderer Rechtsgrundlage und für andere Tätigkeiten. Dass die WBG hunderte Bufdis eingesetzt und damit in großem Stil den Staat betrogen habe, stimme so nicht, betonen die Verantwortlichen: 20 bis 30 Bufdis seien gleichzeitig angestellt. Über die Jahre komme da natürlich eine deutlich höhere Zahl zusammen. Es handle sich aber eben nicht um junge Leute, die nach dem Schulabschluss ein soziales Jahr einlegen: Etwa drei Viertel seien Menschen mit sozialen Schwierigkeiten, mit Flucht- und Migrationshintergrund, die – außer als Bufdi – überhaupt keine Möglichkeit auf Integration und Beschäftigung hätten. Häufig beginne etwa ein Familienvater, später folgten dann Frau und Kinder seinem Beispiel. Darauf aufbauend könne man sie in andere Maßnahmen vermitteln. „Wir qualifizieren und bilden sie weiter – wir sind eine Weiterbildungsgesellschaft“, sagt ein Mitarbeiter.

Schock und Enttäuschung über Vorwürfe: „Wir sind keine Betrüger!“

Dass ein Bufdi mal seine Dienststelle verlassen habe, könne man nicht ausschließen – etwa um Möbel oder Kleidung fürs Sozialkaufhaus abzuholen. Das geschehe immer freiwillig, niemand werde gezwungen – vielmehr würden die Bufdis solche Hilfen oft von sich aus anbieten.

Ein Bufdi, Dienststelle Sozialkaufhaus am Heidenberg, sei in der Tat – mit dessen Einverständnis – an den Umsonstladen in Siegen „ausgeliehen“ worden, mit dem eine Kooperation besteht. Das war nicht korrekt, geben die Verantwortlichen zu – aber der Mann sei auch dort einer ähnlichen, sozialen Tätigkeit nachgegangen, das zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAfZA) habe hier auch keine schwere Verfehlung erkannt. „Wir sind keine Betrüger“, betont die Geschäftsleitung. Wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler, das streiten sie auch hier nicht rundheraus ab.

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Zur Einordnung: Die Verträge liefen über zwölf Monate, die Bufdis erhalten für fünf Stunden tägliche Arbeit im Monat 200 Euro, die WBG rund 100 Euro für Sozial- und Krankenversicherung. „Wir sind gemeinnützig“, betont ein Verantwortlicher, „wir sind nicht auf Gewinn aus.“ Selbst wenn Geld unterschlagen worden sei: „Wo soll es sein, es ist doch alles da!“ Man habe auch keine Unterlagen verschwinden lassen, was völlig sinnlos gewesen wäre, weil es alles in mehrfacher Ausfertigung gebe und auch bei den Behörden vorhanden sei. Man sei schockiert und enttäuscht, dass der Eindruck erweckt werde, man setze sich in der WBG abends zusammen und überlege, wie man mit ein paar hundert Bufdi-Euro im großen Stil betrügen könne.

Prüfungen in Siegen-Achenbach: Bufdis bekommen ihr Geld, sind zufrieden

Für ihre Betriebsstruktur muss die WBG eng mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten: Für Bufdis mit dem BAfZA, für Maßnahmenteilnehmer mit dem Jobcenter. In allen Fällen handelt es sich um Personen, die für diese Tätigkeiten Betreuung und Beratung benötigen und dem regulären Arbeitsmarkt zunächst nicht zur Verfügung stehen. Seit Jahren werde die WBG regelmäßig durchleuchtet und geprüft, auch von Krankenkassen, Rentenversicherung, Finanzamt, betonen die Verantwortlichen. Nie seien Unregelmäßigkeiten aufgefallen.

Auf die Vorwürfe hin habe man noch vor der Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft um Sonderprüfung gebeten: Ein BAFzA-Prüfer habe vor Ort 21 von aktuell 27 Bufdis an ihren Dienststellen angetroffen, drei waren im Urlaub, drei weitere krank. Die Angetroffenen bekämen alle pünktlich ihr Geld, würden gut behandelt, seien zufrieden mit ihrer Tätigkeit, hätten keine Beschwerden, so die WBG, die Behörde habe keine Beanstandungen gefunden.

Hintergrund: Heimatverein Achenbach ist nicht gleich Weiterbildungsgesellschaft

Dass im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Heimatverein (HV) bezichtigt wird, ärgert Vorstand, Mitglieder, Achenbacher. Alle Vorwürfe beziehen sich auf das operative Geschäft der WBG, betonen sie: „Wir sind der Heimatverein – wir wissen gar nicht, worum es konkret geht.“ Denn mit diesen Vorgängen seien sie so nie befasst gewesen; selbst prüfen könnten sie das auch nicht – Akten und Computer sind bei der Staatsanwaltschaft.

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Die WBG sei auf Verlangen des Finanzamts seinerzeit aus steuerlichen Gründen ausgegliedert worden, um unter anderem die Sozialkaufhäuser zu betreiben. Es gibt personelle Überschneidungen, aber wenige. Der Staatsanwalt bestätigt, dass zunächst auch gegen den verstorbenen Vorsitzenden ermittelt wurde, derzeit würden noch zwei Personen als Beschuldigte geführt.

Kritik an Staatsanwaltschaft Siegen: Ohne beschlagnahmte Rechner kaum arbeitsfähig

Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte vor einigen Wochen in den WBG-Büros Akten und Computer, um die Vorwürfe prüfen zu können. Darunter auch Geräte von Vorstandsmitgliedern, die nicht als Beschuldigte geführt werden. Das sei ein massiver Eingriff in Betriebsstruktur der WBG und in die Persönlichkeitsrechte der Mitglieder des Heimatvereins, kritisieren die Verantwortlichen, denn man habe nichts zurückerhalten. Arbeitszeiterfassung und Abrechnungssysteme der WBG liefen über diese Rechner, was nun händisch und mit erheblichem Mehraufwand erledigt werden müsse. Derzeit könne man kaum korrekt abrechnen, „die Staatsanwaltschaft fördert quasi den uns vorgeworfenen Abrechnungsbetrug“, sagt einer. Man könne die Festplatten doch für die Ermittlungen kopieren und die Geräte dann zurückzugeben.

Dies sei technisch möglich, komme dann aber nicht in Betracht, wenn die Computer beispielsweise als Tatwerkzeug eingezogen wurden oder aus anderen Gründen nicht herausgegeben werden könnten, so Patrick von Grotthuss. Durchsuchungen bei Dritten seien nicht unüblich und in der Strafprozessordnung geregelt. Es habe den Vorwurf gegeben, dass Laptops mit WBG-Geschäftsunterlagen mit nach Hause genommen worden und in den WBG-Betriebsräumen nicht aufzufinden gewesen seien.

Die Staatsanwaltschaft Siegen erklärt: Durchsuchung heißt nicht „Vorwurf stimmt“

Grundsätzlich, so Oberstaatsanwalt von Grotthuss, müsse die Behörde Straftaten aufklären: Ermittlungen werden aufgenommen, wenn ein begründeter Anfangsverdacht besteht, wie hier die Aussagen einer Zeugin aus dem Mitarbeiterkreis. Durchsuchungen seien dabei ein Ermittlungswerkzeug und „nicht erst dann zulässig, wenn ein dringender Tatverdacht besteht“, erklärt der Staatsanwalt. „Es genügt der Anfangsverdacht einer Straftat.“ Das bedeute auch: Aus Durchsuchungen könne nicht geschlossen werden, dass Vorwürfe zutreffend seien – sondern nur, dass die Geschäftsunterlagen ausgewertet werden müssen, um die Sache aufzuklären. Bevor Beschuldigten konkrete Vorwürfe zur Last gelegt werden können, müssen Daten ausgewertet, Zeugen vernommen werden. Patrick von Grotthuss: „In Anbetracht der Komplexität und des Umfangs der Vorwürfe wird dies noch einige Zeit dauern.“

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*Mit Blick auf die öffentliche Diskussion möchten die Verantwortlichen nicht namentlich zitiert werden. Sie sind der Redaktion bekannt.