Siegen. Kaputte Möbel, versiffte Wäsche: Das Sozialkaufhaus am Heidenberg in Siegen erhält immer mehr Müllspenden. Teilweise ist es richtig widerlich.
Den Spitzenplatz im Rennen um die größte Unverschämtheit belegen wahrscheinlich die mit Urinflecken übersäten Matratzen. Die Unterhosen voller brauner Flecken sind aber auch heiße Anwärter auf den Titel. Wenn Tamara Schmidt erzählt, was vor den Sozialkaufhäusern der Gemeinnützigen Weiterbildungsgesellschaft Achenbach mbH alles als „Spende“ abgestellt wird, wird schnell klar: Nichts ist so abwegig oder so absurd, dass sie es nicht schon einmal gesehen hätte. Und weil es alles andere als Einzelfälle sind, muss sich der Heimatverein um die teure Entsorgung kümmern – mit Geld, das eigentlich Menschen innerhalb sozialer Projekte helfen sollte.
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Neben dem Sozialkaufhaus am Siegener Heidenberg steht ein knitterhagelkaputtes Schränkchen. Darauf liegt mehr als ein Dutzend nackter Barbiepuppen, fast allen fehlt der Kopf. Alles völlig unbrauchbar. Auch das ist so eine „Spende“, wie Maßnahmeleiterin Tamara Schmidt berichtet – es stand morgens vor der Tür. „Wir bekommen auch viele sehr gute und schöne Spenden, für die wir dankbar sind“, betont sie. Doch schon die Art und Weise, wie die brauchbaren Sachen zum Heimatverein gelangen, unterscheidet sich in aller Regel von dem Weg, den die Schrottspenden nehmen.
Siegen: Sozialkaufhäuser müssen Geld für Entsorgung von Müllspenden ausgeben
Im Idealfall würden Menschen im Sozialkaufhaus anrufen oder eine Mail schreiben, sagen, was sie haben, und fragen, ob es gebraucht wird. Manche kommen auch während der Öffnungszeiten und bringen etwas vorbei. Das Team kann dann schauen und abwägen, ob die Dinge benötigt werden. Und benötigt wird Vieles. „Wir freuen uns immer über gut erhaltene Kleidung“, sagt Tamara Schmidt. „In der momentanen Situation mit den Flüchtlingen aus der Ukraine brauchen wir auch Geschirr, Töpfe und Pfannen, Handtücher, Bettdecken.“
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Dabei ist es übrigens keineswegs so, dass nur Bedürftige das Angebot der Sozialkaufhäuser – außer dem Standort am Heidenberg hat die Weiterbildungsgesellschaft noch Läden in Geisweid, Kreuztal, Büschergrund und Neunkirchen – nutzen dürfen. Es ist vom Einkommen völlig unabhängig. „Wir verkaufen Dinge für kleines Geld. Damit finanzieren wir unsere Projekte“, beschreibt Tamara Schmidt das Konzept. Einiges wird aber auch verschenkt: Gerade in jüngster Zeit kämen immer wieder Menschen, die sich nicht einmal mehr die Sozialkaufhauspreise leisten können.
Siegen: Leute entsorgen Müll und Schrott vor Sozialkaufhäusern – getarnt als „Spende“
Wenn „Spenden“ ohne vorherige Absprache und außerhalb der Öffnungszeiten vor dem Haus landen – kein gutes Zeichen. Was Tamara Schmidt aufzählt, klingt wie aus dem Drehbuch einer schrägen Comedyserie: Gartentische mit drei Beinen, Waffeleisen ohne Kabel, einzelne Schuhe, eine kaputte Fritteuse. Sie kann Bilder zeigen von demolierten Möbeln mit offensichtlichen Wasserschäden, von aufs widerlichste versifften Herdplatten, Textilien mit unübersehbaren Blut- oder Fäkalienflecken. „Diese Dinge lassen mich am menschlichen Verstand zweifeln. Wenn ich das Freunden erzähle – die glauben das nicht“, sagt sie.
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Die Motivation, die hinter solchen „Spenden“ steckt, variiert. Beim Karton voller VHS-Videokassetten mit Kinderfilmen etwa könnte man sich noch vorstellen, dass wirklich jemand davon ausging, anderen damit noch eine Freude machen zu können, räumt Tamara Schmidt ein; auch wenn das jemand sein müsste, dem das viele Jahre zurückliegende Ende des Videorekorders entgangen ist. Dann gibt es die Gruppe derer, die tatsächlich davon auszugehen scheinen, dass Sachen in (nach allgemeinem Empfinden) unzumutbarem Zustand anderen Menschen durchaus noch guten Gewissens zuzumuten seien.
Siegen: Sozialkaufhäuser wollen Menschen in Not helfen – aber nicht mit Schrott
„Der Standardsatz hier ist ,Das ist zu schade zum Wegwerfen’. Den höre ich hier 1000 Mal am Tag“, sagt die Maßnahmeleiterin. Oft sei diese Einschätzung auch zutreffend. Gehe es aber beispielsweise um ein jahrzehntealtes Sofa aus einem Kettenraucher-Haushalt mit dem Originalbezug von anno Tobak, sieht die Sache anders auch. Auch wertlose Bücher, „die 100 Jahre lang im Regal standen, oder 83 Jahre alte Deko“ sind nicht für reißenden Absatz prädestiniert. Häufig höre sie dann von den spendenwilligen Zeitgenossinnen und -genossen, selbst diese Sachen seien „besser als nichts“ und Bedürftige sollten froh sein, „dass sie überhaupt etwas bekommen“.
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Während sich bei direkten Kontakten immerhin noch einiges über Inaugenscheinnahme live oder per digitalem Bildmaterial abwehren lässt, ist das Sozialkaufhausteam bei den anonymen „Gaben“ vor der Ladentür chancenlos. Tamara Schmidt ist sicher, dass es dabei meist nicht um Fehleinschätzungen bezüglich der Brauchbarkeit der Sachen geht – „darum passiert das ja außerhalb der Öffnungszeiten“.
Siegen: Manche Menschen missbrauchen die Sozialkaufhäuser bewusst als Müllkippe
Tatsächlich missbrauchen manche Menschen den Heimatverein bewusst und gezielt als Müllkippe, um kostenlos unliebsamen Unrat loszuwerden. Bei vielen Kartons sei deutlich zu erkennen, dass Leute den Keller aufgeräumt oder vor einem Umzug ausgemistet hätten, dass ihnen Mülltrennung und der Weg zur Müllkippe oder zur Elektroschrottannahme aber zu viel Aufwand waren. Andere wiederum hätten offensichtlich den Sperrmüll verpasst. Und dann gibt es noch die Expertinnen und Experten, die den Heimatverein anrufen, damit das Team Schrottmöbel bei ihnen daheim abholt. Auch das kommt unter dem Deckmäntelchen der „Spende“ vor.
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Anderen Menschen, Einrichtungen oder Institutionen anonym Müll vors Haus zu stellen, ist in Deutschland natürlich verboten. Verhindern können die Geschädigten das aber kaum. Der Heimatverein hat einen Warnhinweis am Kaufhaus auf dem Heidenberg angebracht, dass der Bereich videoüberwacht sei. Der Erfolg ist überschaubar. Manchmal, erzählt Tamara Schmidt, durchforste Geschäftsführer Günther Langer auch mal Kisten oder Säcke, um Hinweise auf die Besitzerinnen und Besitzer zu finden. Das Problem besteht übrigens nicht nur in Achenbach, sondern auch an allen anderen Standorten. Am Heidenberg sei es aber besonders ausgeprägt, merkt Tamara Schmidt an, „weil wir hier so bekannt sind“.
Siegen: Entsorgung von Müllspenden kostet Sozialkaufhäuser viel Geld
Vom Ärger abgesehen sei es frustrierend, dass für logistischen Aufwand und Entsorgung Kosten entstehen, die Geld aus den eigentlichen Aufgaben des Heimatvereins abziehen. Dessen Anspruch ist es schließlich, Menschen in Not zu helfen – und das eben nicht „nur“ durch das Sortiment der Sozialkaufhäuser, sondern ganz entscheidend über Hilfsangebote, Beratung, Anlaufstellen, Workshops und Weiterbildung. Das Team appelliert deshalb an die Vernunft: Auch dadurch, dass man die Sache mit den Müllspenden sein lässt, kann man dem Heimatverein helfen.
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