Achenbach. Gut geölte Hilfsmaschine: Wenn ukrainische Flüchtlinge nach Siegen kommen, setzen Freiwillige des Heimatvereins Achenbach alle Hebel in Bewegung.

Mit seinen Kunden und Lieferanten hat er gesprochen, um Zeit zu bekommen. Zeit für die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Täglich kommen Menschen auf Flucht im Siegerland an; viele davon in Achenbach. Der Heimatverein nimmt sie in Empfang, versorgt sie mit Essen, Unterkunft, dem Nötigsten für die ersten Tage. Auch mit Wohnraum. Eine gut geölte Hilfsmaschinerie, ein breites Netzwerk aus Freiwilligen. Gerhard Alfes ist einer von derzeit rund 90 Ehrenamtlern, die diese Maschine am Laufen halten. „Generalstabsmäßig“, sagt er grinsend.

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(Aus der internen Whatsapp-Gruppe): Waschmaschine für Netphen ist für morgen am Start. Habe noch keine Details. Aufgabe wird dann: Dort abholen – hinfahren, anschließen, Waschmittel nicht vergessen.

Flüchtlinge aus Ukraine eine Stunde vor Siegen – die WhatsApp-Lawine rollt an

Vorsitzender Günther Langer hat den Heimatvereins bei der Mission für Süd-Ost-Europa (MSOE) gemeldet, die Außenstellen unterhält in Kiew, Warschau. Die MSOE fragt an, wenn Geflüchtete unterwegs sind, dann setzt sich die Maschinerie in Gang. Gerhard Alfes erhält Nachricht von Günther Langer oder Tamara Schmidt aus dem Sozialkaufhaus am Heidenberg, oft noch vage, „acht Personen – aber wir wissen nicht ob Babys, Kinder, Eltern. Das wird erst im Lauf des Tages konkreter“. Alfes benachrichtigt die „Willkommensgruppe“ bei WhatsApp. Hier sind die Freiwilligen vernetzt, die Geflüchtete am Heimathaus oder am Sozialkaufhaus in Empfang nehmen, auch mal vom Bahnhof abholen. Im Lauf des Tages wird immer präziser, wer da wann ankommt, „wenn sie eine Stunde vor Siegen sind, melden sie sich bei unserer Rufbereitschaft“, erklärt Alfes.

Generalstabsmäßig mit Laptop, Handy, Zettel und Stift: Gerhard Alfes ist für die Koordinierung der vielen Freiwilligen zuständig.
Generalstabsmäßig mit Laptop, Handy, Zettel und Stift: Gerhard Alfes ist für die Koordinierung der vielen Freiwilligen zuständig. © Hendrik Schulz

Achtung: Heute kommen 11 Personen in 2 Schüben: #1: 6 Personen, ca. 17/18 Uhr Ankunft. #2: 5 Personen, nachts, Ankunftszeit unbekannt, ggf. nimmt #1 die in Empfang. Bekomme ca. 1 Stunde vorher Nachricht wenn die Ankunftszeit präziser wird. Eine Frau ist hochschwanger, es ist z. Zt. noch unbekannt ob sie in #1 oder #2 ist. Sobald ich Details weiß, melde ich das hier. Es macht vielleicht Sinn, dass tatsächlich jemand von uns da ist, wenn #2 kommt. Würde jemand eine Art Rufbereitschaft übernehmen?

Im Heimathaus Siegen-Achenbach dampft immer eine warme Suppe

Dann die „Verpflegungsgruppe“: Jemand fährt zum Heimathaus und guckt, ob noch genug Nahrungsmittel da sind, was noch gekauft werden muss. Abends soll grundsätzlich eine warme Suppe nach der langen, schweren Fahrt bereitstehen, dazu Verpflegung für die nächsten Tage. Irgendjemand findet sich immer, der helfen kann. Alles, was in der Übergangs-Unterkunft des Heimathauses ist, haben die Neuankömmlinge zur Verfügung. „Da wurden schon viele Suppen mit Tränen in den Augen in Empfang genommen“, sagt Alfes lächelnd. „Als die den Deckel vom dampfenden Kochtopf hob, fiel mir eine Frau weinend in die Arme.“ Dabei hatte er gar nicht gekocht.

Das Heimathaus Achenbach ist die „Erstunterkunft“ - hier bekommen die Neuankömmlinge erstmal ein Dach über dem Kopf und Verpflegung, bevor die nächsten Schritte unternommen werden.
Das Heimathaus Achenbach ist die „Erstunterkunft“ - hier bekommen die Neuankömmlinge erstmal ein Dach über dem Kopf und Verpflegung, bevor die nächsten Schritte unternommen werden. © Hendrik Schulz

Bin ab 18 Uhr verfügbar!

Ich kann ebenfalls fahren und auch gegebenenfalls Rufbereitschaft übernehmen.

Hallo, bist Du noch in der Bäckerei? Wir brauchen Wurst, Käse, Marmelade/Nutella, Butter. Brot evtl? Hat jemand Zeit zum Einkaufen? Und kann sich jemand um eine warme Mahlzeit kümmern, nur für 6 Personen. Die Erfahrung zeigt, dass nachts nicht gegessen wird, die Leute wollen einfach schlafen.

Ich koche eine Suppe mit Rind oder Geflügel.

Wir können gerne noch was backen und später runter bringen.

Die Menschen in Siegen-Wittgenstein rücken für Geflüchtete aus der Ukraine zusammen

Die Geflüchteten sind ein, zwei Tage beim Heimatverein untergebracht. In dieser Zeit kümmern sich die Ehrenamtlichen um Wohnraum. Die Aktivitäten haben sich herumgesprochen, sagt Günther Langer, Aufrufe über die Sozialen Medien, Hörensagen, Weitererzählen. Da melden sich ganz viele verschiedene Menschen, die Obdach anbieten: Wenn die Oma gestorben ist und die Wohnung noch leer steht. Firmen, die Büros renovieren wollten, aber nun zusammenrücken und eine Etage freiräumen für die Geflüchteten. „Das ist meistens kein vermietbarer Wohnraum“, sagt Langer. Aber es ist ein Dach über dem Kopf. Die Ehrenamtlichen fahren hin, entrümpeln, machen sauber, streichen, inzwischen oft mit Unterstützung der Ukrainer, die schon hier sind. „Die wollen unbedingt helfen“, betont der Vorsitzende. Die Betten nehmen sie aus dem Heimathaus mit – dafür aktiviert Gerhard Alfes die „Fahrergruppe“, Helfer für den Transport. Die Ehrenamtlichen der „Bettengruppe“ kümmern sich da schon um Nachschub für die nächste Gruppe. Alle brauchen neue Betten, neue Bettwäsche, neue Handtücher.

Die sind wg Autoschaden in Wien hängengeblieben, Rechnung per Blitzüberweisung bezahlt – sie fahren wieder. Schreibe gleich ein Update.

Update: Die hochschwangere Frau kommt mit #2 in der Nacht.

Wenn die Ukrainer in Siegen ankommen, liegen da auch ein paar Euro für die ersten Tage

Das Netzwerk wächst immer weiter. Bis Netphen, Olpe und Wenden vermittelt der Heimatverein die Ukrainer. Am Dienstag wurden ihm drei Wohnungen angeboten und zwei Fahrzeuge zum Transport, erzählt Günther Langer. Vom Spendengeld, das die Ehrenamtlichen auch noch sammeln, kaufen sie Kühlschränke, Reisebetten, Herde, durchforsten Online-Anzeigen. Viel mehr steht dann erstmal nicht in den Wohnungen. Aber es ist ein Anfang. Und wenn die Familie in die neue Wohnung kommt, sagt Gerhard Alfes, liegen da auch ein paar Euro, um über die nächsten Tage zu kommen. In einer Unterkunft in Geisweid hatten sie kein Licht. 15 Minuten nach dem Aufruf standen da zwei Stehleuchten. Dabei helfen die Sozialkaufhäuser des Heimatvereins; vieles muss gar nicht erst neu gekauft werden, weil es dort schon verfügbar ist; die Geflüchteten können sich dort versorgen. Und für das, was es nicht gibt, gibt es Lagerflächen. Zumindest einige.

Küche in einer hergerichten Wohnung: Die Ehrenamtlichen des Heimatvereins Achenbach durchforsten auch Kleinanzeigen oder veröffentlichen Aufrufe, wenn etwas benötigt wird.
Küche in einer hergerichten Wohnung: Die Ehrenamtlichen des Heimatvereins Achenbach durchforsten auch Kleinanzeigen oder veröffentlichen Aufrufe, wenn etwas benötigt wird. © Privat | Heimatverein Achenbach

Der erste Teil der Großfamilie kommt zwischen 19 und 20 Uhr an. Kann ich da eine Kontaktnummer haben?

Ich kann gerne heute gegen Abend oder morgen früh Brot/Brötchen vorbeibringen

Dann gerne morgen früh Brötchen/Brot fürs Frühstück! Für 11 Personen

Getränke stehen vorm HH.

Morgen früh wäre ich auch am Start, wenn was ist.

Am wichtigsten ist WLAN: Von Siegen aus Kontakt zu den Lieben im Kriegsgebiet halten

Am Wichtigsten, sagt Vorsitzender Langer, ist WLAN. Von den Spendensammlungen kauft der Heimatverein Mobilfunk-Router, damit die Geflüchteten Kontakt halten können zu ihren Angehörigen in der Ukraine; Vätern und Brüdern, die gegen Putins Armee kämpfen. „Was man da für Geschichten hört...“, sagt Gerhard Alfes. Ein Familienvater durfte mit ausreisen, weil er viele kleine Kinder hat. Er berichtete, wie der Boden bebte, als das russische Militär den Flughafen Hostomel unter Beschuss nahm, wo sein Haus in der Nähe steht. Günther Langer war dabei, als Frau und Tochter die Nachricht bekamen, dass ihr Mann, ihr Vater erschossen wurde. „Das Schicksal kann diese Menschen jede Sekunde treffen“, sagt Alfes.

In den meisten Wohnungen, in die Geflüchtete vermittelt werden, stehen leer – der Heimatverein Achenbach sorgt dafür, dass sich das ändert.
In den meisten Wohnungen, in die Geflüchtete vermittelt werden, stehen leer – der Heimatverein Achenbach sorgt dafür, dass sich das ändert. © Privat | Heimatverein Achenbach

Also die Leute müssen nicht am Bahnhof abgeholt werden, sondern kommen mit dem eigenen Auto direkt zum HH? Ich kann auf jeden Fall dort sein und sie in Empfang nehmen.

Ich habe noch ein Mischbrot mitgebracht, soll ich die Sachen unten vor die Tür stellen?

Ukraine organisiert Online-Unterricht für Kinder auf der Flucht – Laptops im Heimathaus

Günther Langer erzählt, dass der ukrainische Staat Online-Unterricht für Kinder organisiert, die aus dem Land fliehen mussten. Umgehend stellten sie Laptops ins Heimathaus. Für jede Anfrage finden sich in Windeseile Freiwillige, Gerhard Alfes muss sich zwischendurch zwingen, auch mal seinem eigentlichen Broterwerb nachzugehen – irgendwo wird immer jemand oder etwas gebraucht. „Ständig auf Standby“, sagt er, „das ist maximaler Stress. Aber das geht jetzt vor.“ Denn es motiviere unheimlich. Sie alle, die täglich fast rund um die Uhr hilfsbereit sind. Die Freude der Flüchtlinge, der Zusammenhalt im Ort. Er arbeitet an einer Willkommens-Homepage, auf Ukrainisch natürlich, mit allen Infos für die ersten Tage in Siegen. Und richtet eine neue Whatsapp-Gruppe ein; diesmal für Handwerker. „Das wird alles von Tag zu Tag besser, die Abläufe spielen sich immer mehr ein“, sagt er. Alle Helfer haben ja ihren Alltag und trotzdem findet sich immer jemand. Immer.

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Ich bringe gleich noch ein bisschen Gemüse und Obst runter.

War drüben, alles im Lot. Notfall-Hebamme mit am Start. Die nächsten kommen vermutlich zwischen 2 und 3.

Weiter Flüchtlinge aus der Ukraine nach Siegen – Heimatverein Achenbach ist vorbereitet

Der Heimatverein ist sich bewusst, dass das noch einige Zeit so gehen wird. Flüchtlinge in Empfang nehmen, versorgen, Unterkunft organisieren und Möbel, Umzüge und WLAN-Router. Kaum ist eine Gruppe vernünftig untergebracht, kommt die nächste – oft genug überschneidet sich das auch. „Wir haben das von Anfang bis Ende im Griff“, sagt Gerhard Alfes und ist sichtlich stolz auf sein Dorf und die Ehrenamtlichen, die er noch tief in der Nacht fragen kann und die sofort alle Hebel in Bewegung setzen. So viel WhatsApp wie in den vergangenen zwei Wochen habe er seit der Erfindung von WhatsApp nicht geschrieben. Alfes hat allen eingeschärft: Kurz und knapp, kein „Danke“, kein „Guten Morgen“, die Nachrichtenflut muss beherrschbar bleiben. „Anfragen so präzise und einfach wie möglich, damit Rückfragen gar nicht erst nötig werden.“ Eine Weile wird er also noch das Nachrichtenstakkato am Schreibtisch ordnen, mit Laptop, Handy, Zettel, Stift. Generalstabsmäßig eben.

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Voralarm: Familie mit 5 Erwachsenen und einem Kind sind ca. 150 km vom HH entfernt. also vermutlich werden diese zwischen 3 und halb 4 eintreffen. Die andere Familie ist auch noch dort.