Siegen. Siegen trauert um den Achenbacher, den Kümmerer, den Politiker. Zur Erschütterung tritt der Zorn.
Günther Langer ist tot. In den Online-Netzwerken hat sich die Nachricht am Wochenende immer weiter verbreitet, Trauer und Erschütterung hervorgerufen: bei den Mitgliedern des Rates der Stadt Siegen, in dem er stellvertretender Vorsitzender der UWG-Fraktion und Vorsitzender des Bezirksausschusses West war. Bei den Achenbachern, als deren „Bürgermeister“ ihn viele bezeichnen. Bei den vielen Menschen, die durch seine Anleitung und Unterstützung den Weg in Ausbildung und Beruf gefunden haben. Bei Hunderten von Geflüchteten aus der Ukraine, für die der Heimatverein Achenbach die erste Adresse in Siegen wurde.
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„Manche nennen ihn Spinner“
Günther Langer war vielseitig engagiert – aber wie besonders dieser Mann war, wird vielleicht erst durch den staunenden Blick von außen deutlich: Vor gut einem Jahr widmete die taz, die „Tageszeitung“, dem gebürtigen Berliner, der vor über 30 Jahren Siegener wurde, in ihrer Reihe „Der Hausbesuch“ ein großes Porträt. „Manche nennen ihn Spinner“, war der Beitrag über den Hotel- und Restaurantmeister überschrieben, dessen Beruf es war, jungen Menschen den Weg in die Arbeitswelt zu öffnen. Der sich ehrenamtlich, als Vorsitzender des Heimatvereins und als Stadtverordneter, um seine Mitbürgerinnen und Mitbürger kümmerte – unter ihnen viele, die es nicht leicht im Leben haben. Und mit Heidenberg und Fischbacherberg gehören Stadtbezirke dazu, in denen sich soziale Probleme ballen.
Die Sozialkaufhäuser, das Restaurant Net(t)werk, die gemeinnützige Weiterbildungsgesellschaft Achenbach, der Gemeinschaftsgarten, die Kooperation mit der Uni im „Reallabor Achenbach“, die ehemalige Friedenskirche als Wohnprojekt für Obdachlose: Sie sind mit Günther Langer verbunden und strahlen weit über den Siegener Stadtteil Achenbach hinaus. Im Juni kam Andrij Melnyk, der damalige Botschafter der Ukraine, nach Achenbach, um dem Heimatverein Respekt für dessen Einsatz zu zollen.
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“
Günther Langer war kein Mensch, der auf Distanz ging, taktierte, kühl blieb. Dass ihn das verletzlich machte, wurde vor mehr als zehn Jahren offensichtlich: Mitglieder des Achenbacher Schützenvereins hatten vier Linden und eine Eiche vor dem Heimat- und Schützenhaus aus Sicherheitsgründen gestutzt oder gefällt, worauf die CDU den SPD-Stadtverordneten und Heimatvereinsvorsitzenden Langer zur Mandatsniederlegung aufforderte. Langer traf das und der vermisste Rückhalt aus den eigenen Reihen so stark, dass er die SPD verließ, bei der folgenden Kommunalwahl den Bezirk als Einzelbewerber gewann und sich danach der UWG anschloss.
Aus der zeitlichen Distanz und im Blick auf die Ereignisse der letzten Tage wirkt diese Episode lächerlich. Aber sie zeigt immer noch, das Günther Langer eben nicht routinierter Vereinsfunktionär und Politik-Profi war, der mit der Erfahrung von Jahrzehnten Dinge auch einmal entspannt an sich abperlen lassen kann. Er war ein mitleidender, mitfühlender Mensch, der auch solche Konflikte nicht vermied, bei denen er verlieren musste. Er wurde 60 Jahre alt. Die ihn kannten, wissen, warum er nicht mehr leben konnte. Seit seinem Tod am Freitag zitieren zornige Trauernde den Titel einer Erzählung von Heinrich Böll: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum.“ Ein Bericht über einen anderen Rufmord, der in einer Katastrophe endet.
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