Netphen. Mit in ihrem Namen erinnert die Sekundarschule an ein jüdisches Mädchen aus Netphen, das nur 14 Jahre alt werden durfte. Wer war Ruth Faber?

Das Geheimnis ist enthüllt: „Ruth-Faber-Sekundarschule“ ist der neue Name der Sekundarschule Netphen. Erinnert wird an ein jüdisches Mädchen aus Netphen. Ruth Anita Faber wurde nur 15 Jahre alt. Der Stolperstein in der Lahnstraße, da, wo die Metzgerei ihrer Eltern stand, berichtet über das Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft: „Deportiert 1942 Theresienstadt. Ermordet 29.1.1943 Auschwitz.“ Bekanntgegeben wurde der Name am Samstagmorgen beim Schulfest zum zehnjährigen Bestehen.

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Ruth Anita Faber: Ein jüdisches Mädchen aus Netphen

Der aus Netphen stammende Historiker Dr. Peter Vitt hat die Geschichte der jüdischen Bürger im Netpherland erforscht: Gustav Faber, Metzger und Viehhändler aus der Eifel, heiratete 1923 Klara Hony, die er in der Metzgerei ihres Vaters Meier Hony kennen gelernt hatte – dort arbeitete Gustav Faber nach dem 1. Weltkrieg. „Gustav und Klara Faber hatten es zu einem gewissen Wohlstand gebracht, denn sie besaßen einige Grundstücke in Netphen“, schreibt Peter Vitt.

Am 2. Juli 1927 wurde Anita Ruth, das einzige Kind des Ehepaars, in der Klinik Stähler in Siegen geboren.

Überliefert ist, dass Ruth Anita Faber und Lori Schäfer, die Schulfreundin von Anita, oft die Kühe der Fabers auf die Weide in der „Enke“, der heutigen Talstraße, getrieben haben. Auch Weiden und Felder in Richtung Frohnhausen gehörten der Familie. „Von der Zeitzeugin Eleonore Schmallenbach wissen wir, dass es selbstverständlich war, dass die Nachbarskinder miteinander spielen und die Eltern auch untereinander Kontakt hatten.“ Eleonore Schmallenbach, „Schöfers Lori“, verdanken die Netphener viele Berichte über Anita Ruth Faber – sie hat bewirkt., dass die Familie Faber nicht vergessen wurde.

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1933 wurden Lori Schäfer und Ruth Anita Faber in der katholischen Grundschule Niedernetphen eingeschult – auch die Mutter und zwei Tanten von Ruth Anita waren dort schon zur Schule gegangen. Anita Ruth war die Jüngste in ihrer Klasse – und zugleich die Größte. „Man merkte keinen Unterschied zwischen den katholischen Schülerinnen und Schülern und ihr“, berichtet Peter Vitt. Ruth Anita nahm auch am katholischen Religionsunterricht teil. „Später muss wohl ein Lehrer öfter zu ihr gesagt haben, dass sie froh sein könne, noch in die Schulen gehen zu dürfen.“

Vor der von der Dorfjugend erbauten
Vor der von der Dorfjugend erbauten "Villa Sorgenfrei" in der Schmellenbach um Ostern 1941:Anita Ruth Faber mit ihren Freundinnen Eleonore Schäfer, Ida Göbel und Rosa Schneider (von rechts) © Privat | Privat

1937 muss Ruth Anita Faber die katholische Volksschule Niedernetphen verlassen

Als Anita Ruth eingeschult wurde, wehte die Hakenkreuzfahne auf dem Schornstein der Ziegelei, gehisst worden war sie von der SA. Als die SA-Leute bei einer Versammlung waren, holte die Dorfjugend die Fahne wieder herunter. Von Lori Schmallenbach sind Erzählungen überliefert, wie die Freundinnen von Anita bei Fabers ein- und ausgingen, wie dort der Sabbat dort begangen wurde. Am 14. November 1937 musste Ruth Anita Faber – wie alle jüdischen Kinder – die Volksschule in Netphen verlassen, da war sie im 7. Schuljahr. Sie zog ins israelitische Kinderheim nach Köln, absolvierte dort die 8. Klasse und schloss eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester an.

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„Ich denke fast täglich an das, liebe Lori", schreibt Anita – sie gebrauchte diesen ihrer beiden Vornamen – 1940 in einem Brief nach Netphen. Ins Poesiealbum schreibt Maria Molsberger aus Netphen: „Liebe Anita, denk an mich, ewig, ewig lieb ich dich, wenn ich auch nicht bei dir bin, steh ich doch im Album drin.“ Eleonore Schmallenbach berichtet auch von einem Sonntag in Netphen, als Anita zu Besuch war: Sie stand am Fenster, als die Freundinnen an Fabers Haus vorbeigingen. Keine hatte mehr den Mut, sie anzusprechen.

Schulfreundinnen in Netphen: Anita Ruth Faber (ärmellos, am linken Treppengeländer), Klassenkameraden
Schulfreundinnen in Netphen: Anita Ruth Faber (ärmellos, am linken Treppengeländer), Klassenkameraden © Peter Vitt | unbekannt

Im Weylandstift sind NSDAP und SA zu Hause

Unweit der Faberschen Metzgerei, neben dem Petersplatz hatte die SA ihr Parteiheim: Im Haus Weyland, dem heutigen Weylandstift, das die NSDAP erst einmal zu ihrem „Kulturzentrum“ machte. Nachts vernagelten SA-Männer die Ladentür der Metzgerei. Gustav Faber, der sein Geschäft 1936 schließen musste, versuchte Grundstücke zu verkaufen, um die „Judenabgabe“ bezahlen und ausreisen zu können – was die Gemeinde ihm untersagt. Gustav Faber arbeitete nun bei der Firma Berg in Dreis-Tiefenbach. 1938 wude er ins KZ Sachsenhausen gebracht, dort wurde ihm ein Bein amputiert. 1941 zogen Verwandte aus Plettenberg – Klara Fabers Schwester Bertha Lennhoff, ihr Mann Julius und ihr Sohn Heinz – mit in das Haus ein. Am 27. Juli 1942 wurde die Familie Faber deportiert – die Tafel auf Bahnsteig 4 des Siegener Hauptbahnhofs erinnert an diese Fahrt in den Tod.

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Erinnerungskultur in Netphen: Stolpersteine seit 2012

1985 wurde im Neubaugebiet Wellerseifen in Netphen die Gustav-Faber-Straße benannt. 2003 wurde auf dem Petersplatz ein Gedenkstein aufgestellt. 2011 fand dort am 27. Januar, am Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, eine Gedenkstunde statt, an der auch die 84-jährige Eleonore Schmallenbach-Schmitz noch einmal teilnehmen konnte, die ihren Jugendfreundin nie vergessen hat. Dabei waren Schülerinnen und Schüler der Realschule am Kreuzberg, die bereits „Schule ohne Rassismus --Schule mit Courage“ war – so wie nun auch ihre Nachfolgerin, die Sekundarschule.

Die neue Ruth-Faber-Sekundarschule ist nun auch „Schule ohne  Rassismus – Schule mit Courage“.
Die neue Ruth-Faber-Sekundarschule ist nun auch „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Im Dezember 2012 setzte Gunter Demnig in der Lahnstraße sechs Stolpersteine für die Familien Faber und Lennhoff. Schülerinnen und Schule von Hauptschule, Realschule und Gymnasium befassten sich in eigenen Projekten mit den Schicksalen der Familien und gestalteten auch die Gedenkstunde am 27. Januar 2013. Die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule haben den Staffelstab des Gedenkens übernommen, mit der Pflege der Stolpersteine und einer Ausstellung über die Familie Faber im Heimatmuseum, die ein Religionskurs der 9. Klasse zu Beginn dieses Jahres erarbeitet hat.

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