Netphen. Netphen hat die erste Sekundarschule im Regierungsbezirk. Jetzt wird sie 10. So wird gefeiert – und dieses Geheimnis wird am Samstag gelüftet.
Auf dem Schulhof wird gesprüht. Nicht aufs Gebäude, sondern auf Holzpaletten. „No Racism“, haben die Jugendlichen geschrieben. „Respect!“ fordert ein anderes Graffito. Und „Peace!“ Und dann hat die Gruppe von Lehrer Christian Staudt auch noch den neuen Namen der Sekundarschule farbenfroh gestaltet – der wird aber erst am Samstag um 10 Uhr verraten, wenn der Tag der offenen Tür mit einer Feier zum 10-jährigen Bestehen der Schule beginnt.
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Das gibt’s zum Geburtstag
Drei Geburtstagsgeschenke bekommt die Sekundarschule: den neuen Schulnamen, den eine Jury aus 17 Vorschlägen ausgewählt hat, die aus dem Wettbewerb der ganzen Schulgemeinde übrig geblieben sind. Das Berufswahlsiegel, das die Wirtschaftsjunioren der Schule zum ersten Mal verleihen. „Wir haben guten Kontakt zu den umliegenden Firmen“, sagt Schulleiterin Andrea Benito, „und haben die Möglichkeit, Kinder in passgenaue Praktika unterzubringen.“ Wofür auch der längst pensionierte Lehrer Burkhard Wagener sorgt, der in seiner aktiven Zeit schon in Hilchenbach Pionier der Berufsorientierung war. Wagener schaue fast jeden Vormittag einmal vorbei, berichtet Andrea Benito: „Er ist für uns Gold wert.“
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Das dritte Geschenk ist zugleich Arbeitsauftrag: Die Sekundarschule wird „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Elke Büdenbender, die aus Netphen-Salchendorf stammende Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat die Patenschaft übernommen und eine Videobotschaft übermittelt. 27 verschiedene Sprachen werden zu Hause bei den derzeit rund 360 Schülerinnen und Schülern gesprochen – da liegt das Thema auf der Hand.
Das Interesse an der Geschichte ihres Heimatortes haben sie von den Schülergenerationen vor ihnen geerbt, als in dem Gebäude noch die Realschule Am Kreuzberg war: Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule polieren die Stolpersteine, die an Juden in Netphen erinnern, die von nationalsozialistischen Gewaltherrschern ermordet wurden.
Im Heimatmuseum haben sie die Ausstellung zu jüdischem Leben im Netpherland ergänzt und sich besonders mit Ruth Anita Faber beschäftigt, der Tochter des jüdischen Metzgers, die in Netphen zur Schule ging, hier Freundinnen hatte – und, wie ihre ganze Familie, nicht überlebte. Andrea Benito findet es wichtig, dem Rassismus im alltäglichen Umgang entgegenzuwirken, der bei Jugendlichen bei unbedachten Äußerungen beginnt: „Das erschreckt mich manchmal – dabei ist es meistens gar nicht so gemeint.“
So lebt man Vielfalt (1)
In der Mensa wird bei Lehrerin Barbara Schmidt Theater gespielt. Mehrere Gruppen haben Szenen entwickelt, in denen es um Mobbing geht – und die immer zwei Mal gespielt werden. „Ihhh, eine 80er Hose“, pirschen sich zwei Mädchen an eine Mitschülerin heran, die nicht mehr lange auf einer Bank sitzt. Sie wird zu Boden geworfen und getreten. Zwei andere Mädchen sitzen dabei, richten den Blick angestrengt aufs Handy. Zweiter Durchgang: Die Mädchen stehen auf, „ich rufe die Polizei.“ „Stop Mobbing“, ist die Botschaft, die auch bei der Probe schon Beifall bekommt.
„Gemeinsam ankommen“ ist das Schulmotto – um gemeinsames Da-Sein geht es in vielen der 20 Projekte, die sich am Samstag vorstellen werden: internationale Gesellschaftsspiele selbst herstellen, Lapbooks zu Weltreligionen herstellen, Künstler aus aller Welt mit ihren Arbeiten vorstellen – das machen gerade die Jungen und Mädchen bei ihren Lehrerinnen Christin Henrich und Tanja Knuth. Mexikanische Totenmasken sind schon entstanden, „jetzt geht’s weiter nach Australien“, sagt Christin Henrich. Auf dem Boden liegen lauter Buchstaben, die gerade noch farbig verziert werden. Wenn man die richtig zusammenlegt, wüsste man jetzt schon, wie die Sekundarschule ab Samstag heißt.
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So spannend war der Anfang
Es war am 1. Dezember 2011, als der Netphener Rat sich einstimmig für die Errichtung einer Sekundarschule ausgesprochen hatte. Hauptschule und Realschule wurden dafür aufgelöst, mit ihren letzten Jahrgängen zog die Realschule ins Gymnasium und die Hauptschule von Deuz nach Netphen zur künftigen Sekundarschule. Es war die Zeit, als auch Burbach und Hilchenbach ihre Hauptschulen aufgaben, Burbach eine Gemeinschaftsschule eröffnete, aus der später die Gemeinschaftliche Sekundarschule Burbach-Neunkirchen wird, und Freudenberg aus Haupt- und Realschule eine Gesamtschule machte. Die Zitterpartie, ob in Netphen tatsächlich mindestens 75 Kinder für drei Klassen des ersten 5. Jahrgangs an der Sekundarschule angemeldet werden, war am Ende gar keine.
Schon zehn Tage vor dem Ende der Anmeldefrist hatte Netphen die Hürde genommen – die Stadt schaffte es, die erste Sekundarschule im Regierungsbezirk Arnsberg zu bekommen. Am Ende wurde es sogar noch am anderen Ende eng: Nach den Sommerferien 2012 begrüßte Schulleiterin Julia Cruz Fernandez schließlich 101 Fünftklässler. Mit einer Sondergenehmigung durfte die neue Schule eine vierte 5. Klasse bilden.
Das ist die Sekundarschule heute
Die Sekundarschule als kleine Gesamtschule, ohne eigene gymnasiale Oberstufe, aber mit dem Gymnasium auf dem Nachbarhügel als Partner: Das hat nicht alle Elterngenerationen in den letzten zehn Jahren gleich stark überzeugt, trotzt Ganztagsangebot, das dann oft lieber an der nächstgelegenen „richtigen“ Gesamtschule auf dem Siegener Giersberg wahrgenommen wird. Inzwischen sind an der Sekundarschule Netphen schon fünf 10. Klassen entlassen worden: 20 Prozent sind zum Gymnasium gewechselt, etwa ein Drittel in eine berufliche Ausbildung, um die 45 Prozent ins Berufskolleg und ein paar zunächst einmal in den einjährigen Bundesfreiwilligendienst.
„Wir sind auf einem richtig guten Weg“, sagt Andrea Benito, die die Schulleitung vor zwei Jahren von Julia Cruz Fernandez übernommen hat. Die neue 60-Minuten-Taktung im Stundenplan „bringt Ruhe in den Alltag", die Digitalisierung kommt vor allem auch mit Elternunterstützung voran: Die Jahrgänge 6 und 7 sind komplette Tablet-Klassen, „elternfinanziert“, wie die Schulleiterin betont, die auch eine ganz spezielle eigene Note mit nach Netphen gebracht hat: Die Yoga-AG am Mittag hat sie tatsächlich eingeführt – so, wie sie sich das von Anfang an vorgenommen hat.
So lebt man Vielfalt (2)
Bei Jens Sens und Simone Oft im Technikraum werden Musikinstrumente gebaut. Bis jetzt gibt es Regenmacher, zylinderförmige, mit Reis gefüllte Rasseln, und Tamburine. Zwischendurch haben die Jugendlichen sich bei Piano Kaiser angesehen, wie ein Klavier restauriert wird, und in einem Film etwas über den Trompetenbau erfahren.
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Draußen auf dem Parkplatz übt Sportlehrer Roman Hochhalter mit seiner Gruppe Bogenschießen. „Auflegen, ankern, lösen“, sind die Kommandos, und dann: „Pfeil frei!“ Beim Blick auf die Scheibe ist der Lehrer diplomatisch: „Die Höhe ist gut, die Richtung musst du verändern.“ Max nimmt’s sehr gelassen: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Worauf der Bogentrainer Bescheidenheit beweist: „Das hast du auch vorher schon gewusst.“ Man lernt halt eine Menge bei diesem Geburtstagskind.
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