Netphen. .

Sechs weiße Rosen liegen auf den sechs Stolpersteinen vor dem „Kapitänshaus“, wie das Haus an der Lahnstraße 4 auch einmal hieß. Gunter Demnig hat die Bronzetafeln blank geputzt, Kelle und Mörtel weggeräumt. Und sich ganz an den Rand der großen Gruppe von alten und jungen Netphenern gestellt, die an die Familie Faber und ihre aus Plettenberg zu ihnen geflüchteten Verwandten, die Familie Lennhoff erinnern.

Schülerinnen und Schüler von Hauptschule, Realschule und Gymnasium erzählen, was sie ­herausgefunden haben: Dass man bei Metzger Gustav Faber anschreiben lassen konnte. Dass es die unbeschwerten Tage mit Ausflügen an den Rhein und zum Drachenfels auch gab. Dass der 20-jährige Heinz Lennhoff sich in Anita Fabers Cousine Inge Frank in Weidenau verliebte — und dass beide sich, was tatsächlich aber unwahrscheinlich ist, noch am Vorabend von Inges Deportation verlobt haben sollen.

Dass Anita Faber am 14. November 1938 zum letzten Mal mit ihren Freundinnen in die katholische Grundschule Niedernetphen gehen durfte und danach in einem israelitischen Kinderheim in Köln wohnte. „Liebe Anita, denk‘ an mich, ewig, ewig lieb ich dich“, schrieb eine Mitschülerin zum Abschied ins Poesiealbum.

„Unbekannt verzogen“: Mit diesem Eintrag hat das Einwohnermeldeamt die jüdischen Bürger der Stadt verabschiedet Im Feuerwehrhaus berichtet der Historiker Peter Vitt der großen Versammlung, wie dieser Umzug aussah: Ein Netphener Fuhrunternehmer brachte sogar das Mobiliar der Fabers an den Bahnhof nach Siegen, wo es in den letzten Waggon des Zugs auf Gleis 4 verladen wurde. Der Zug mit den Deportierten lief ohne diesen Waggon aus. „Da wusste eigentlich schon jeder, dass das Mobiliar nicht mehr gebraucht würde.“ Nicht von denen, denen es gehörte. Denn „Raffgier“, stellt Vitt fest, „um an das Vermögen der jüdischen Mitbürger zu gelangen“, trieben Städte, Staat und nichtjüdische Nachbarn gleichermaßen um.

Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist, zitiert Bürgermeister Paul Wagener ein Wort von Gunter Demnig. „Das soll hier nicht geschehen.“ Das Erinnern an „unermessliches Leid“, sagt Wagener, „bleibt ständige Verpflichtung“. Peter Vitt nutzt die Gelegenheit, einen „Herzenswunsch“ öffentlich zu machen: An der Kronprinzenstraße, unweit der Restbrücke, steht das Haus der ehemaligen Metzgerei Hony, die vier Generationen lang zu Netphen gehörte „Dieser Name ist verloren gegangen“ — mit der Verheiratung seiner drei Töchter Clara Faber, Bertha Lennhoff und Emmi Sternheim, die alle von den Nazis ermordet wurden. „Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, den Namen Hony nicht zu vergessen.“

Es ist kalt und nass. „Sauwetter“, sagt Peter Vitt, wie an jenem Februartag vor fast 70 Jahren, als die Familie Lennhoff deportiert wurde. Eine Schneedecke legt sich über die glänzenden Erinnerungstafeln. Sie wird auch wieder wegtauen.