Netphen. .
Sie würden so gern einmal gemeinsam ins Kino gehen. Inge Frank, die 20-jährige Krankenschwester aus Weidenau, und Heinz Lennhoff, der gleichaltrige Cousin ihrer Freundin Anita Faber aus Netphen, der nicht als Schweißer in der Fabrik arbeitete, sondern Medizin studiert hätte,wenn die Nazis ihn gelassen hätten. Er wird in ein Kohlebergwerk bei Auschwitz deportiert; sein letztes Lebenszeichen ist eine Postkarte vom Dezember 1944, gerichtet an Willi Fries, den nachbarlichen Freund der Franks.
Brücken in die Gegenwart
An Heinz Lennhoff erinnert der Stolperstein vor dem alten Kapitänshaus an der Lahnstraße — und an diesem Nachmittag, dem 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, auch das Junge Theater Siegen mit einigen Szenen aus seinen „Stolpersteinen der Erinnerung“. 350 Schülerinnen und Schüler sahen das ganze Stück am Morgen im Gymnasium, viele weitere werden es bei zwei weiteren Schulvorstellungen im Lyz sehen und bei einer letzten Abendvorstellung am 24. Februar. „Wir spielen das, solange die Leute es sehen wollen“, verspricht Regisseur Lars Dettmer.
„Wir kannten das Thema aus dem Geschichtsunterricht“, sagt Fynn Engelkes, der gleich in der Rolle des NSDAP-Kreisleiters Paul Preußer auf die Bühne kommen und den Franks ihr Modegeschäft abpressen wird, „aber wir wollten auch sehen, was bei uns vor der Haustür passiert ist.“ Zwei Jahre schon befassen sich die Jugendlichen, die aus verschiedenen (Schul-)Theaterprojekten kommen, mit dem Stoff. „Einige gingen verloren, ganz viele sind dazu gekommen“, berichtet Lisa Gotthardt. „Wir haben eine Möglichkeit gesucht, wie man die jungen Leute erreicht“, berichtet Klaus Merklein vom Vorstand des Aktiven Museums über die Zusammenarbeit mit dem Jungen Theater.
Stellvertretende Bürgermeisterin Annette Scholl hat gemeinsam mit Lothar Groos, Leiter des städtischen Kulturbüros, den Kranz am Gedenkstein auf dem Petersplatz niedergelegt. „Niemals in Vergessenheit geraten“ dürfen die Verbrechen der Nazis, fordert sie und schlägt den Bogen zu dem Hass, der heute Geflüchteten und Asylsuchenden entgegenschlägt: „Die Saat ist gelegt.“ „Das waren keine Monster, das waren Menschen“, stellt Fynn Engelkes klar, als er aus der Rolle des Paul Preußer heraustritt, „Monster gibt es nur im Märchen. Seid offen, steht auf, seid mutig und seid neugierig.“
Die jungen Darsteller geben mit ihren Körpern Inge, Heinz und ihren Familien „in unserer Gegenwart einen Platz in unseren Herzen“, beschreibt Peer Ball, Vorsitzender des Jungen Theaters, das Anliegen des Projekts. „Für uns alle wird es wichtig sein, dass diese aktiven Jugendlichen da sein werden, wenn die letzten Zeitzeugen nicht mehr da sind.“
Mutter Frank hat den Brief lange zurückgehalten. Schon am nächsten Morgen, am 28. April 1942, wird die Familie deportiert. Heinz und Inge verloben sich spontan — so anrührend wie unrealistisch, bedauert Hartmut Prange, der die Geschichte der jüdischen Familien erforscht hat: Vermutlich hätten die jungen Leute dieses letzte Treffen gar nicht mehr gewagt. Den neuen Tanzfilm mit Marika Rökk haben sie nie gesehen.