Siegen. Mit ein paar Kunstgriffen befreit sich Siegen im letzten Moment aus der Haushaltssicherung. Und mit einer Steuererhöhung.

Die Stadt Siegen gleicht ihren Haushalt 2022 aus – so, wie sie es nach ihrem Haushaltssicherungskonzept tun muss, um nicht dauerhaft in den Nothaushalt abzurutschen. „Denkwürdig“ nennt Bürgermeister Steffen Mues dieses Datum – immerhin wirtschaftet die Stadt, mit einer Unterbrechung, seit 1994 in den roten Zahlen.

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Wie die Null zustande kommt

Die schwarze Null, eigentlich ein Überschuss von knapp einer halben Million Euro, hat allerdings ihren Preis:

µµDie Grundsteuer wird um 60 Punkte auf 585 Prozent erhöht. Im Vergleich mit den anderen Kommunen des Kreises liege Siegen damit „im oberen Mittelfeld, aber immer noch nicht an der Spitze", sagt Bürgermeister Steffen Mues. Die Anhebung wäre nicht nötig geworden, wenn der Kreistag der Forderung der Bürgermeister gefolgt wäre und den Hebesatz für die Kreisumlage gesenkt hätte. „Da zeigt sich die fehlende Solidarität des Kreises“, sagt Kämmerer Wolfgang Cavelius. Der Kreis erwirtschafte Überschüsse und fülle damit seine Rücklagen auf, stellt Bürgermeister Steffen Mues fest, „und er erfüllt Aufgaben, für die er gar nicht zuständig ist.“

Kinder, Jugend, Familie

Rund 80 Millionen Euro wendet die Stadt für Kinder, Jugend und Familie auf, davon allein für Kitas 45,3 Millionen Euro. Dem stehen 1,4 Millionen Euro an Einnahmen durch – so der Bürgermeister – „sensationell günstige“ Elternbeiträge gegenüber.

Der Großteil der Aufwendungen für Kitas sind Zuschüsse zu den Betriebskosten der Einrichtungsträger. Eingeplant sind aber auch Baukosten, aktuell zum Beispiel für den insgesamt 823.000 Euro teuren Umbau der ehemaligen Hüttentalschule zu einer DRK-Kita.

Nur mit einem Kunstgriff holt die Stadt aus ihrem Haushalt 3,7 Millionen Euro heraus: Diesen Anteil Kreisumlage für 2022 verbucht sie noch 2021 als „Rückstellung“ und verschlechtert damit das 2021er Ergebnis, das sich sonst von fast 4 Millionen auf 1 Million Euro Defizit verbessert hätte. Denn auch der Kreis profitiert von einer, so Mues, „atypisch hohen Gewerbesteuernachzahlung“ eines Unternehmens an die Stadt. Insgesamt, so der Bürgermeister, liegen die Gewerbesteuereinnahmen „fast wieder auf Vor-Corona-Niveau“.

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Auch in diesem Jahr „isoliert“ die Stadt fast 12 Millionen Euro Pandemie-Belastungen. Nach 2024 werden geschätzt um die 60 Millionen Euro Einnahmenverluste und Kosten durch Corona aufgelaufen sein, die die Stadt dann abzutragen haben wird.

Ohne diese Kunstgriffe und ohne Steuererhöhung hätte der Kämmerer für 2022 einen Etat mit 17,4 Millionen Euro Defizit vorgelegt.

Wofür die Stadt investiert

Siegen investiert viel in diesem Jahr: rund 40 Millionen Euro, hinzu kommen rund 20 Millionen aus Vorjahren, die noch nicht umgesetzt werden konnten. Die Stadt nehme dafür Kredite auf, sagt Bürgermeister Steffen Mues, „mehr, als uns lieb ist“. Die Verschuldung steigt um rund 12 Millionen Euro. Das liegt an den Eigenanteilen, die die Stadt aufbringen muss, um Fördermittel in Anspruch zu nehmen. Die wiederum fließen derzeit reichlich, stellt der Bürgermeister fest, „alles auf einmal“. Kämmerer Wolfgang Cavelius: „Die Betrachtung der Folgekosten kommt mir zu kurz.“

Hallenbad Weidenau: Ein Projektsteuerer hat die Arbeit aufgenommen, einen Termin für die Fertigstellung von Umbau und Erweiterung des mit 19,8 Millionen Euro kalkulierten Vorhabens nennt der Bürgermeister nicht – vor 2025 wird es kaum sein. Die Uni werde am Löhrtor so lange warten, hofft Steffen Mues: „Ich gehe davon aus, dass wir einen vernünftigen Zeitplan hinbekommen.“ Kritischer sei die marode Technik des zum Abbruch vorgesehenen Stadtbades: „Im Grunde dürfte das Löhrtorbad längst nicht mehr funktionieren.“

Schulen und Sport: Im Arbeitsprogramm stehen die Erweiterung der Jung-Stilling-Grundschule (insgesamt 7,1 Millionen Euro), der Container-Übergangsbau der Albert-Schweitzer-Grundschule (1,5 Millionen Euro), die Sanierung des Hofbachstadions (Gesamtkosten: 5 Millionen Euro) und der Abschluss der 2019 begonnenen Sanierung der Rundturnhalle auf der Morgenröthe (5,9 Millionen Euro).

Stadtentwicklung: „Rund um den Siegberg“ geht mit Schlossparkerweiterung und Neubau des Musikpavillons in die letzte Phase, auch die Stadtmauersanierung soll 2023 abgeschlossen sein. Für die Dependance des Siegerlandmuseums in den Burgstraßen-Bunkern werden Planungskosten veranschlagt; die Finanzierung der insgesamt benötigten 14 Millionen Euro steht noch nicht. Schließlich der Bürgerpark Herrengarten, ein Projekt für 11,1 Millionen Euro: Der Bau beginnt nach dem Abriss des Einkaufszentrums.

Verkehr: Eingeplant werden der Bau der Radwege ins Leimbachtal, an der Hainer Hütte, zwischen Langenholdinghausen und Oberholzklau sowie im Siegtal bei Niederschelden – wobei dieser mit dem Schicksal des maroden „Insel“-Deichs zusammenhängt. Die Großbaustelle am Schleifmühlchen kommt: Etwa drei Jahre lang wird an 2022 an dem insgesamt 6,6 Millionen Euro teuren Kreisel gebaut.

Gewerbegebiet: Planungskosten stehen für die Erschließung des Gewerbegebietes Martinshardt 2bereit, die mit insgesamt 25 Millionen Euro kalkuliert wird.

Bevölkerungsschutz: Rund 2,5 Millionen Euro investiert die Stadt in Fahrzeuge für die Feuerwehr, Gerätehäuser und 30 neue Sirenen. Neu gebaut werden muss außerdem eine zusätzlich Rettungswache für das südliche Stadtgebiet in Niederschelden. Bürgermeister Steffen Mues: „Es ist schwierig, dort etwas zu finden.“

Was der Stadt Sorgen macht

Die Verwaltung braucht mehr Personal. 29 zusätzliche Stellen sind eingeplant – ob die alle besetzt werden können, ist offen. „Es gibt zwischen den Kommunen einen fast schon unschönen Wettbewerb um die Köpfe“, so Bürgermeister Steffen Mues. Da zudem ab 2025 eine Pensionierungswelle auf die Stadt zuläuft, werden Nachwuchskräfte über den aktuellen Bedarf hinaus ausgebildet und gehalten. Konkret werden zusätzliche Stellen in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Personalsachbearbeitung, Vergabestelle, Überwachung des ruhenden Verkehrs (allein zehn Stellen), Bäderverwaltung, Veranstaltungstechnik, Mobilitätsmanagement, Hochbau (drei Stellen „zur Erreichung der Klimaziele“), Stadtplanung und Bauaufsicht eingeplant.

Besonders problematisch ist der Baubereich, in dem die Stadt mit Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft konkurriert. Nach wie vor ist daher eine Neustrukturierung der technischen Gebäudewirtschaft Thema, bestätigt der Bürgermeister. Mit einer Ausgliederung in die Kommunale Entwicklungsgesellschaft (KEG) könnte die Bindung an die Tarifvorgaben des öffentlichen Dienstes, die mit den Gehältern in der Wirtschaft nicht standhalten, umgangen werden. „Es gibt keine Denkverbote.“ Um Nachwuchs für die Bauaufsicht zu gewinnen, hat die Stadt selbst einen Ausbildungsgang für Stadtbauinspektoren und -inspektorinnen eingerichtet.

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