Siegen-Wittgenstein. Chance vertan, Signal an Jugendliche zu senden, kritisiert Bezirksschülervertreter Siegen-Wittgenstein: Derzeit werden Impfwillige gesucht.
Nach der de-facto-Absage der Impfstudie unter jungen Menschen durch das NRW-Gesundheitsministerium (MAGS) herrscht eine gewisse Verständnislosigkeit nicht nur unter den Beteiligten.
Die Auflagen aus Düsseldorf sind so hoch, dass laut Kreisverwaltung eine Durchführung der Studie in der geplanten Form nicht möglich ist. „Wir bedauern das“, sagt André Zeppenfeld, Pressesprecher der Universität Siegen, für die beteiligten Forschungsstellen. Die Projektpartner der beteiligten Hochschulen müssen nun klären, ob und wie die Studie durchgeführt werden kann.
In Siegen-Wittgenstein sollten 30.000 junge Menschen ein Impfangebot bekommen
30.000 junge Menschen ab 12 Jahren aus Siegen-Wittgenstein sollten laut ursprünglicher Planung seit Dienstag, 11. Juli, mit mRNA-Vakzinen im Siegener Impfzentrum in Eiserfeld ein Impfangebot erhalten. Zum einen sollte so das Infektionsgeschehen in der bislang in der Pandemie kaum berücksichtigten Bevölkerungsgruppe gesenkt werden – auch mit dem Ziel, bei fortschreitender Immunisierung eine schnellere und sicherere Rückkehr an Schulen und Unis ermöglichen zu können.
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Zum anderen sollten die begleitenden Fragebögen Daten und Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen und zur Impfbereitschaft liefern. Weil das Impfzentrum derzeit in jeglicher Hinsicht genug Kapazitäten hat, wären die jungen Menschen in die Abläufe integriert worden, so der Plan der Studienleiter.
NRW-Gesundheitsministerium will Studie in Siegen nicht verbieten – hohe Auflagen
Durch diese Rechnung macht das MAGS einen dicken Strich. Auf Anfrage dieser Zeitung hatte es am Dienstagabend zunächst geheißen, dass nach Prüfung der angeblich verspätet eingegangenen Unterlagen die Studie durchgeführt werden könne. Zu berücksichtigen seien die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) zur Impfung Jugendlicher und es müsse gewährleistet sein, dass auf Wunsch eine individuelle ärztliche Aufklärung durch Kinder- oder Jugendmediziner erfolgen müsse. Die Stiko empfiehlt zwar eine Impfung Jugendlicher nicht, lehnt sie aber auch nicht ab. Der Biontech-Wirkstoff etwa ist von der zuständigen EU-Arzneimittelbehörde ab 12 zugelassen.
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Tatsächlich aber gehen die Auflagen weit darüber hinaus. Für 12- bis 15-Jährige sei ein abgetrennter Bereich mit separatem Zugang vorzusehen. Die Impfungen dürfen nicht über das Impfzentrum abgerechnet werden. Ärztliches und medizinisches Personal, das im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung dort tätig ist, darf Unter-16-Jährige nicht impfen – und das ist das einzige Personal, das es gibt. Nur außerhalb ihrer Tätigkeit, in eigener Verantwortung und auf eigenes Haftungsrisiko sei dies möglich. Man wolle die Studie nicht verbieten, hieß es dazu vom MAGS auf Anfrage, man habe „Alternativen aufgezeigt“.
Ohne das Siegener Impfzentrum ist die Aktion nicht umsetzbar
Auch wenn der Impfstoff nebst Zubehör über das Kontingent des Kreises bereitgestellt wird und die telefonische Terminbuchungshotline genutzt werden kann (das Online-Portal nicht), sieht sich der Kreis als Betreiber des Impfzentrums unter diesen Bedingungen nicht in der Lage, die Studie wie geplant durchzuführen, und kippte das Vorhaben am späten Dienstagabend. Ohne bestehende Infrastruktur und Prozesse eines leistungsfähigen Impfzentrums sind zehntausende Impfungen nicht leistbar. „Wir hätten es gern gemacht“, betont Manuel Freudenstein von der Pressestelle der Kreisverwaltung. Aber man könne nicht am Land vorbei arbeiten.
„Eine flächendeckende Impfung von Kindern in einem bestimmten örtlichen Einzugsbereich, wie sie im Studiendesign angelegt ist, wird derzeit auf der Empfehlung der Stiko durch das Land NRW inhaltlich nicht unterstützt“, heißt es im Sondererlass des MAGS an den Kreis Siegen-Wittgenstein, der der Redaktion vorliegt – die de-facto-Absage scheint also politisch motiviert, weniger inhaltlich. Zumal es sich nicht um die Testung eines nicht zugelassenen Wirkstoffs handelt.
So geht’s auch: Niedersachsen impft am Wochenende Jugendliche mit Biontech
Dass es auch anders geht, zeigt aktuell das Beispiel Niedersachsen: Am Sonntag werden sich dort mit Einverständnis der Eltern Kinder ab 12 Jahren mit Biontech impfen lassen, bei entsprechender Nachfrage werde die Aktion fortgesetzt, berichtet der NDR unter Berufung auf Claudia Schröder, stellvertretende Krisenstabsleiterin des Landes Niedersachsen. Kurzentschlossene können noch am Sonntag einen Termin in einem der rund 25 teilnehmenden niedersächsischen Impfzentren vereinbaren.
Viele Jugendliche und Eltern in Siegen-Wittgenstein hätten großes Interesse an der Teilnahme gehabt, sagt etwa Bezirksschülersprecher Jost Hoffmann: Die Impfbereitschaft sei sehr hoch, hier gäbe es die verantwortbare Möglichkeit und dann „grätscht das Land rein – unfassbar enttäuschend“. Wie viele andere Bundesländer auch habe sich NRW nicht mit Ruhm bekleckert, wenn es um Kinder und Jugendliche in der Pandemie gehe, „viele Jugendliche haben das Gefühl, man kümmert sich nicht um sie“.
Siegener Schülervertreter: Land hat seit Monaten versäumt, Schulen sicherer zu machen
In Zeiten, in denen an vielen Stellen Impfwillige gesucht werden, weil die Nachfrage sinke, eine großen Zahl impfwilliger Personen abzuweisen, sei kaum nachvollziehbar. „Wir diskutieren seit anderthalb Jahren, wie die Schulen sicherer werden können, dass wir nicht wieder in den Distanzunterricht müssen – Impfen macht die Schulen sicherer“, sagt Hoffmann. Hier hätte die Politik ein wichtiges Signal an die Jugendlichen senden können, dass sie nicht alleingelassen werden. „Hier wiederholt sich ein Muster. Die Leidtragenden sind erneut die Schülerinnen und Schüler.“
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Der AStAder Universität Siegen findet es sehr schade, dass die Studierenden, die seit anderthalb Jahren Einschnitte hinnehmen müssen, nun großteils noch länger warten müssen, sagt Referent Christopher Weingart von der Juso-Hochschulgruppe. Es gehe immerhin um den Gesundheitsschutz tausender Menschen.