Siegen. Der Start der Impfstudie unter Kindern und Jugendlichen ab 12 in Siegen-Wittgenstein steht wegen politischen Wirrnissen plötzlich in den Sternen.

Die von vielen Forschern und Politikern mit Spannung erwartetet Impfstudie unter Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren in Siegen-Wittgenstein (wir berichteten) droht offenbar an politischen Wirrnissen zu scheitern. Eigentlich sollten bereits Dienstag, 13. Juli, die ersten Impfungen in diesem Rahmen im Siegener Impfzentrum durchgeführt werden. Dann hieß es aber, es fehlte noch eine Sonder-Genehmigung des NRW-Gesundheitsministeriums (MAGS). Die lag schließlich am Dienstagabend vor. Also hieß es: Es kann losgehen.

Am späten Abend die neuerliche Volte: Der Kreis Siegen-Wittgenstein teilte auf seiner Homepage mit: Das Projekt könne nicht wie geplant im Siegener Impfzentrum des Landes NRW stattfinden. Der am Abend eingegangene Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums mache dies durch diverse organisatorische Auflagen faktisch unmöglich: Etwa durch ein Verbot, das medizinische Personal des Impfzentrums für die Studie einzusetzen bis hin zur Aussage, dass das Land NRW eine flächendeckende Impfung von Kindern aufgrund der Empfehlung der STIKO inhaltlich nicht unterstütze.

Im Ergebnis müsste eine vollständige örtliche, organisatorische, finanzielle und personelle Trennung zwischen Impfzentrum und der Impfung im Rahmen der Studie erfolgen. Da dies nicht zu leisten sei, könne die Studie nicht am Impfzentrum durchgeführt werden. Nun ist unsicher, wie die Beteiligten Wissenschaftler und Projektpartner weiter verfahren. Das Forschungsprojekt solle wichtige Aufschlüsse darüber erbringen, unter welchen Voraussetzungen zum Beispiel ein Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen am besten organisiert werden soll.

Doch bei der Vorbereitung der Studie scheint es zu kommunikativen Problemen gekommen zu sein. Das MAGS verweist auf Anfrage auf mangelnde Abstimmung. Und auch vom nur indirekt beteiligten Märkischen Kreis gibt es Kritik. Nun scheinen alle Seiten auf stur zu stellen.

Kreis Siegen-Wittgenstein stellt lediglich sein Impfzentrum bereit

Rund 30.000 Schüler, Berufsschüler und Studierende sollen in den kommenden Wochen und Monaten ein Impfangebot erhalten – nebst Erziehungsberechtigten übrigens – und können begleitend dazu Fragebögen ausfüllen rund um die Impfbereitschaft und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf sie persönlich. Daraus und aus dem Vergleich mit dem Märkischen Kreis, wo Kinder und Jugendliche nicht prioritär geimpft werden, sondern wie überall sonst auch lediglich „normal“, erhoffen sich die beteiligten Forschungsstellen Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Maßnahmen zum Infektionsgeschehen – auch für künftige weitere pandemische Lagen.

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Der Kreis Siegen-Wittgenstein selbst ist eigentlich nicht an der Studie beteiligt. „Sie soll hier stattfinden“, sagt Manuel Freudenstein von der Pressestelle der Kreisverwaltung – das macht durchaus Sinn, weil mit dem Impfzentrum die für die Durchführung nötige Infrastruktur vorhanden und derzeit auch nicht ausgelastet ist. Für die zusätzlichen Impfungen gibt es in Eiserfeld genug Kapazitäten – sowohl räumlich als auch personell und bei den Impfstoffen.

NRW-Gesundheitsministerium: Zu spät von Impfstart in Siegen erfahren

Zwischenzeitlich kam die Bürokratie ins Spiel: Der Kreis als Betreiber des Impfzentrums kann nicht entscheiden, was dort passiert. Er handelt im Auftrag des Landes. Dessen Impferlass regelt, dass Unter-16-Jährige nicht in Impfzentren geimpft werden und nur von Haus- und Kinderärzten, wenn sie Vorerkrankungen haben oder Kontaktpersonen von Risikopatienten sind. Dazu ist medizinische Aufklärung und Abwägung nötig. Das Land folgt damit der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Generelle Probleme bei Impfungen junger Menschen sind dem Ministerium nicht bekannt.

Bei ersten Informationen über die Studie war die Impfstoffmenge sehr begrenzt, so das MAGS. Seither hat sich das geändert – aber eine erneute Abstimmung sei nicht erfolgt. „Erst Ende letzter Woche hat das MAGS erfahren, dass am Dienstag die Impfungen dieser Personengruppen im Impfzentrum starten sollte. Die notwendigen Informationen zur Prüfung sind erst am Wochenende beim MAGS eingegangen“, heißt es dazu aus Düsseldorf. Die Prüfung ist abgeschlossen, der Sondererlass wurde dem Kreis mitgeteilt, die Studie kann durchgeführt werden. Wenn auf Wunsch ein Kinder- oder Jugendarzt abwägt und aufklärt.

Ausnahme für U16-Impflinge im Impfzentrum Siegen nötig

Aus dem Märkischen Kreis wurden unterdessen Stimmen laut, die sich über den Status als Vergleichsregion beklagen. Offenbar fürchtet man im Lüdenscheider Kreishaus negative Effekte aufs Image: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass man Kinder und Jugendliche nicht impfe, um für die Studie valide Zahlen zu erzielen, sagte Dr, Gregor Schmitz, Leiter des MK-Impfzentrums, dieser Zeitung.

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Das allerdings hatten die Wissenschaftler auch nie angestrebt oder verlangt – der Märkische Kreis hätte einfach nichts weiter tun müssen, als weiter zu impfen wie bisher, mit Empfehlung der Stiko auch – wie geplant – Kinder und Jugendliche. „Wenn er viel impft, impft er viel“, sagt Prof. Thorsten Lehr, Lehrstuhl für klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes und einer der Designer der Studie. Das sei für die Studie überhaupt kein Problem, könne man rechnerisch berücksichtigen – zumal es primär darum gehe, einer Bevölkerungsgruppe ein Impfangebot zu machen, die bislang überhaupt keines erhalten hat und in der die Inzidenz aktuell am höchsten sei. Allein aus Daten darüber, wer sich überhaupt impfen lassen würde, könne man schon wertvolle Erkenntnisse ziehen.

„Kommunikation ist oft eine schwierige Balance in der Corona-Krise“, sagt Prof. Lehr – anscheinend habe man es nicht allen Recht gemacht, es seien bei einem so umfangreichen Vorhaben viele Beteiligte an Bord, offenbar habe man nicht jeden erreicht oder eingebunden. Dies sei nicht aus böser Absicht geschehen; er hoffe, dass sich die Gemüter wieder abkühlen.

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