Meschede/Oberkirchen. 400 Schlaganfall-Patienten gibt es statistisch im HSK. Wir stellen zwei vor, die weitere Gleichgesinnte suchen - für eine Selbsthilfegruppe.

2. Juli 2013 - 26. Juni 2018: Zwei Tage, die für Annette König (54) und Klaus Hütten (57) die Welt veränderten. Die Daten vergessen beide und ihre Familien nie - der Tag, an dem sie der „Schlag traf“ und sie mit Wucht aus ihrem alten Leben geschleudert wurden. Mit viel Kraft kämpfen sie sich seitdem zurück. „Wir sind empfindlicher geworden“, sagt Gerd König und blickt seine Frau an, die nickt. Ihr Sprachzentrum hat bei dem Schlaganfall gelitten. Im ersten Jahr sprach sie gar nicht. „Im Kopf habe ich die Worte“, sagt sie, und: „Es wird immer noch besser.“

Das Positive

Klaus Hütten war wie sie auch halbseitig gelähmt, konnte aber immer reden. „Ich weiß nun, ich bin mehr, als der Mensch, der Leistung bringt“, sagt er. „Und du lässt Gefühle eher zu“, ergänzt seine Lebensgefährtin Petra Breker. „Ja“, bestätigt er, „ich kann auch Schwächen eher eingestehen.“ Alle vier sind sicher, dass sie mit ihren Erfahrungen anderen helfen können und auch von den Erfahrungen anderer profitieren. „Es gibt rund 400 Schlaganfallpatienten im HSK pro Jahr - wo sind die alle?“, fragt sich Gerd König.

Das Foto zeigt eine Intensivstation - auch Annette König und Klaus Hütten wurden dort medizinisch betreut.
Das Foto zeigt eine Intensivstation - auch Annette König und Klaus Hütten wurden dort medizinisch betreut. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Der Schlag

Beide waren relativ jung, sportlich, ernährten sich gesund, als der Schlaganfall kam - und trotzdem gab es Warnsignale. „Annette hatte oft starke Kopfschmerzen“, erinnert sich ihr Mann. Mit Tabletten ging die Kauffrau resolut dagegen an. Sie und ihr Mann führten das Spiel- und Lederwaren-Geschäft König. Vor sechs Jahren beim Joggen wurde ihr auf einmal übel, sie zog das Bein nach.

Gerd König rief den Hausarzt an, der beide direkt ins Krankenhaus schickte. Von dort ging es zur Stroke Unit, der Schlaganfall-Spezial-Abteilung des Klinikums Hochsauerland, nach Neheim. Ein schwerer Hirn-Infarkt. Not-OP. Der Schädel musste geöffnet werden.

Klaus Hütten hatte zu Hause in Oberkirchen Sand und Zement vom Anhänger abgeladen, als es ihn traf. Mit dem Hubschrauber kam er in die Neurologie des Knappschaftskrankenhauses Bochum. Auch seine Schädeldecke musste geöffnet werden. Eine Lungenentzündung kam hinzu, künstliche Beatmung. „Es ging immer um Leben und Tod“, erinnert sich Petra Breker. „Und niemand war da, der einem ein wenig Hoffnung machte.“

Die Sorgen

Für die Kinder, Königs haben zwei, die 2013 noch Teenager waren, und Klaus Hüttens Tochter, sie war Anfang 20, war das ein Schock. Eine psychische Betreuung für Angehörige? Gibt es nicht. „Die erste Diagnose war in einem solchen Fachchinesisch verfasst, dass ich einen befreundeten Arzt um eine Übersetzung bitten musste“, berichtet Gerd König. Und bis heute bleibt die Frage nach der Ursache und die Sorge vor einer Wiederholung. „Da sagt einem niemand was Genaues.“ Später kamen komplexe Anträge an die Rentenkasse und Ärger mit der Krankenkasse dazu. „Man muss um alles kämpfen“, sagt er. Das Geschäft gab er im vergangenen Jahr auf. „Das ging nicht mehr.“

Die Rückkehr

Annette König war zur Reha in Bad Berleburg, Klaus Hütten in Bad Wünnenberg. Als sie nach Hause kamen, saßen beide noch im Rollstuhl. „Ich hatte ein Pflegebett fürs Erdgeschoss besorgt, weil ich mir nicht sicher war, ob Annette unsere vielen Stufen überhaupt schafft“, berichtet Gerd König und muss schmunzeln. „Das hat sie vom ersten Tag vehement abgelehnt.“

Wie seine Frau sich auch sonst mit einer unglaublichen Kraft und Ausdauer zurückkämpft. „Sie lässt sich nicht hängen und dafür bewundere ich sie“, sagt er, „und ziehe auch selbst Stärke daraus.“ Die ehemalige Hobby-Musikerin übt weiter mit ihrem Basslehrer. Er leiht ihr seine rechte Hand. „Und ich spiele Waldhorn“, sagt sie, „das geht mit links.“ Dafür kommt ihr Orchesterleiter Graham Ellis. Treu ist auch eine Lehrerin, die schon Annette König und später ihre Kinder unterrichtete. Sie kommt wöchentlich und übt das Sprechen. Ansonsten sei es aber ruhig geworden, bedauert Gerd König. „Früher war Annette diejenige, die bei uns vor allem geredet hat.“ Er spürt die ständige Verantwortung.

Auch ein Grund, warum er über eine Selbsthilfegruppe nach Gleichgesinnten suchen möchte. Klaus Hütten hat das in Oberkirchen in den vergangenen Monaten anders erlebt. „Ich habe sehr viel Hilfsbereitschaft im Dorf erfahren, sehr viel Zuspruch.“ Gerade erst hat er eine Dankeschön-Feier für alle Helfer gemacht. Alte Freunde und Familienangehörige hatten in der Wohnung gestanden und Dinge erledigt, die zu tun waren - ohne viele Worte. „Echte Engel“, ist Petra Breker dankbar. Aber sie weiß auch: Dass ihr Partner sprechen kann, macht es für alle einfacher.

Die Wünsche

Bei einem Schlaganfall kommen die meisten Funktionen im ersten Jahr wieder, heißt es, aber auch danach gibt es Fortschritte. Davon sind alle vier fest überzeugt. Deshalb arbeitet Annette König weiter hart dafür, noch besser sprechen zu können. „Ich habe durch die Krankheit gelernt - wie stark ich bin“, sagt sie. Auch Klaus Hütten ist sicher, dass positives Denken hilft. Er hat sich schon mal ein Auto bestellt, das den Blinker rechts hat.

>>> Weitere Informationen

Im HSK gibt es eine Selbsthilfegruppe für Schlaganfallpatienten in Arnsberg. Ihr Spreche r ist Dieter Steinberg, erreichbar unter 02932/4956535.

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Die Gruppe trifft sich jeden zweiten Dienstag im Monat von 17 bis 18.30 Uhr im Johanneshospital - das nächste Mal am 13. August.

Steinberg lädt Referenten ein, die Teilnehmer helfen sich gegenseitig mit Tipps zu Rehas, Therapien, Anträgen an Kranken- und Pflegekassen.

Gerd und Annette König wollen nun die Gruppe besuchen und bieten eine Fahrgemeinschaft aus Meschede an.

Je nachdem, wie viele Menschen aus der Region Interesse haben, wird überlegt, eine Untergruppe in Meschede zu bilden. Allerdings: In einem Krankenhaus wollen sich Gerd und Annette König dann nicht treffen. „Da sind wir ja alle froh, dass wir raus sind.“