Siegen. Die Lebenswissenschaftliche Fakultät nimmt den Lehrbetrieb auf. Wie die Universität Siegen auf Herausforderungen im Gesundheitssystem reagiert:

Die Lebenswissenschaftliche Fakultät V der Universität Siegen (LWF) hat den Betrieb aufgenommen. Mit dem deutschland- und europaweit einzigartigen Studiengang „Digital Biomedical and Health Sciences“ soll die personelle Speerspitze für die Herausforderungen im Gesundheitssystem ausgebildet werden.

Ziel ist es, eine Art Schnittstelle zwischen den zahlreichen im Gesundheitswesen tätigen Berufen zu schaffen. 91 Studierende, 73 Frauen und 18 Männer, etwa ein Drittel aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein, haben im Wintersemester ihre Ausbildung begonnen.

Was genau ist der Zweck des Studiengangs?

Das stecke schon im Titel, sagt Prof. Rainer Brück, Studiendekan der LWF: Digitale, biomedizinische Gesundheitswissenschaften. Hier sollen die verschiedenen Aspekte des Gesundheitssystems ganzheitlich betrachtet werden, sowohl was technische und biologisch-medizinische Entwicklungen betrifft als auch soziologische, politische, administrative und kommunikative Aspekte.

Die Kooperationen

Der neue Studiengang ist im Rahmen des Projekts „Medizin neu denken“ in Kooperation mit der Uni Bonn und der damit verbundenen Landarztausbildung an den vier Siegener Kliniken entstanden. Manche Seminare finden in den Krankenhäusern statt. Die Studierenden profitieren auch von der Zusammenarbeit mit dem Erasmus Medical Center in Rotterdam.

Der Studiengang könne verstanden werden als eine Ergänzung zu den Heilberufen, mit besonderem Augenmerk auf der Digitalisierung. „Es gibt auf all diesen Feldern hervorragende Spezialisten“, sagt Brück – aber die müssten sich gegenseitig auch verstehen. In der Praxis klagten Ärzte beispielsweise oft über die Funktionsweise medizinischer Geräte, die in der Logik der Entwickler entstanden sind.

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„Hier gibt es ein Kommunikationsproblem – Techniker denken nicht wie Ärzte.“ Ähnliches gelte für viele Berührungspunkte der Disziplinen im System; Absolventen des neuen Studiengangs sollen diese verschiedenen Aspekte verstehen und zusammenführen können. Alleinstellungsmerkmal sei die Kombination.

Welche Fächer werden studiert?

Ein gemeinsames Grundlagenstudium bildet die relevante Fächer und Fragestellungen ab: Medizinische, technische Aspekte, Struktur des Gesundheitssystems beispielsweise. Die Studierenden sollen Konzepte, Methoden und Herausforderungen verschiedener Akteure in der Gesundheitsversorgung kennenlernen. Darauf aufbauend muss ein Schwerpunkt mit spezifischen Fachkompetenzen gewählt werden.

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Der naturwissenschaftliche Bereich „Biomedical Technology“, ist der am stärksten nachgefragte Schwerpunkt mit dem Fokus auf Biomedizin; es geht etwa um Gen-, Enzym- und Zellkulturtechnik aber auch Informatik oder digitale Bildgebung, so Koordinator Prof. Hans Merzendorfer.

Im gesundheitssoziologischen Schwerpunkt „Digital Public Health“ geht es um Gesundheits- und Entwicklungspolitik, Gesundheitsförderung und -prävention oder gesundheitliche Ungleichheit. „Es geht darum, Prozesse zu betrachten, die dazu führen, dass die Bevölkerung gesund wird“, so Koordinator Prof. Claus Wendt – beispielsweise hätten Menschen mit einem hohen Einkommen auch eine hohe Lebenserwartung. „Jede Stufe auf der sozialen Leiter nach unten bedeutet auch, dass es um die Gesundheit schlechter bestellt ist.“ Hier oder beim Zusammenhang von Gesundheit und Berufstätigkeit sollen universelle Methoden entwickelt werden, um dieses Gefälle zu verringern.

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Praktischer ausgerichtet ist der ingenieurwissenschaftliche Schwerpunkt „Digital Medical Technology“: Absolventen können „digitale medizintechnische Systeme entwickeln, aufbauen, betreiben und für alle im Gesundheitswesen tätigen Personen nutzbar machen“, erläutert Prof. Brück. Entwickelt wurde beispielsweise bereits ein Diagnostik-Werkzeug, dass über eine Manschette lokale elektrische Widerstände im Muskel misst und darüber eine individuelle Bildgebung ermöglicht. Einsatzmöglichkeit sei etwa im Reha-Bereich. Zusammen mit dem Marien-Krankenhaus ist eine App entstanden, die Patienten bei der Dokumentationspflicht komplexer Medikationen unterstützt und den Medizinern gleichzeitig wichtige Daten zurückspielt.

Wie läuft das praktisch ab?

Sitz der LWF ist das Artur-Woll-Haus am Haardter Berg, hier werden im Lauf der kommenden Monate auch noch Labore für die erforderlichen Praxisanteile in der Forschung eingerichtet.

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Welche Berufe kann man damit ergreifen?

„Ich möchte in die Forschung, aber mein Notendurchschnitt war nicht gut genug“, erzählt Studentin Milena Grützmann. Kommilitone Christian Jung reizte das vernetzte Arbeiten, die Interdisziplinarität des Studiengangs. „Man kommt ans Machen, macht nicht nur sein eigenes Ding“, sagt er. Neruna Yugarajah reizt es, die Kommunikationslücke zwischen den Professionen, etwa im Krankenhaus, zu überbrücken.

Angesichts fortschreitender – insbesondere digitaler – Veränderungen im Gesundheitswesen werden wohl auch völlig neue Berufe entstehen. „Wir schließen eine Lücke am Markt“, sagt Studiendekan Rainer Brück. „Der Markt muss auch wissen, dass das Angebot da ist.“

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