Siegen. . Eine Ärzteausbildung der anderen Art ist geplant: Zwar soll auch Nachwuchs gewonnen werden, aber die Informationstechnologie wird immer wichtiger
- 1. Säule: Kooperation mit den Universitäten Bonn, Mainz und Rotterdam
- 2. Säule: Versorgungsforschung an der Lebenswissenschaftlichen Fakultät
- Medizinischen Nachwuchs an die Region Südwestfalen binden
Für das Projekt „Medizin neu denken“ soll Medizin wortwörtlich neu gedacht werden. Ärzte in Siegen auszubilden ist ein Schwerpunkt, die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen. Dazu braucht es mehr Ärzte – einerseits. Aber vielleicht ist ein Landarzt in jedem Dorf künftig auch nicht mehr nötig – das jedenfalls will die neue Lebenswissenschaftliche Fakultät erforschen.
Die Vorgeschichte
Dr. Michael Klock war vermutlich der erste, der die Idee zu einer Ärzteausbildung in Südwestfalen hatte. Und dass es so schnell gehen würde, hätte vor zwei Jahren, als eine Kerngruppe um Prof. Labenz und Rektor Holger Burckhart über Chancen und Möglichkeiten nachdachte, auch niemand gedacht. „Sowas dauert sonst zehn Jahre“, sagt Prof. Joachim Labenz, Medizinischer Direktor Diakonie-Klinikum Jung-Stilling.
„Die Koalitionsverhandlungen waren weiß Gott nicht einfach“, sagt der Europaabgeordnete Peter Liese, selbst Mediziner. Der FDP war der Plan zu teuer, sie wollte lieber die bestehenden Hochschulen stärken. Aber schließlich klappte es doch, die Liberalen ließen sich überzeugen.
Der Stand heute
Das Konzept der Medizin in Siegen fußt auf zwei engmaschig verknüpften Bereichen.
Die Kooperation der Siegener Kliniken mit den medizinischen Fakultäten Bonn und Mainz wäre streng genommen auch ohne die Uni möglich. Es gibt an der Hochschule kein eigenes Curriculum zum medizinischen Examen oder keine Vorlesung im Anatomie-Hörsaal. Bonn und Mainz entsenden Studenten nach Siegen, die hier deutlich angenehmere Studienbedingungen vorfinden. „Bis zum 6. Semester werden die Studenten in Bonn oder Mainz gut ausgebildet“, sagt Liese, „und dann wird’s eng, weil zu viele Studenten um ein Krankenbett herumstehen.“
Weil außer den vier Siegener Kliniken auch niedergelassene Ärzte eingebunden werden, ergäben sich hier ganz neue Möglichkeiten – und Qualitäten – in der praktischen Ausbildung, sagt Dr. Joachim Klock, Vorsitzender des Ärztevereins Siegerland, der als Lehrbeauftragter an der Ruhr-Uni-Bochum mit ähnlichen Modellversuchen gute Erfahrungen gemacht hat: „Zuerst wollten die Studenten nicht. Mittlerweile melden sie sich freiwillig.“
Die Lebenswissenschaftliche Fakultät (LWF) ist so etwas wie die Schaltzentrale, der Verknüpfungspunkt, über den die beteiligten Partner miteinander verbunden sind, so Labenz. Hier sind alle Akteure des Medizinstudiums eingebunden – und hier wird der zentrale Forschungsaspekt angesiedelt: Die Versorgungsforschung, auch in Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten.
„Die Medizin wird sich wandeln“, sagt Liese, „dank der Informationstechnologie wird künftig vielleicht nicht immer ein Arzt in jedem Ort sein müssen.“ Digitale Anwendungen schaffen Möglichkeiten, dass Arzt und Patient für eine gute Diagnostik nicht mehr am gleichen Ort sein müssen. Die Uni hat über ihr Institut für medizinische Informatik hier bereits einiges an Vorerfahrung. Solche Aufgaben werden künftig in der neuen Fakultät gebündelt. Und die LWF kann die Vorstufe zu einer medizinischen Vollfakultät sein – wenn das Konzept Erfolg hat und nach fünf Jahren evaluiert wird.
Die Zukunft
Möglich ist in Siegen vieles, auch vor dem Ziel, ab 2023 möglicherweise medizinische Vollfakultät zu werden. Geprüft wird etwa, ob junge Menschen aus der Region bei entsprechendem Interesse auch ohne den eigentlich erforderlichen Numerus Clausus fürs Medizinstudium zugelassen werden – wenn sie sich verpflichten, später auf dem Land zu praktizieren. Oder ein duales Studium zum sogenannten „Physical Assistant“, eine Art Zwischenstufe zwischen Pfleger und Arzt, der an bestimmten Stellen für den Mediziner die Verantwortung übernehmen kann.
Wichtig, da sind sich Klock und Labenz einig, sei vor allem die Qualität der Ausbildung, dann werde die Gesundheitsregion Südwestfalen auch als Studienstandort attraktiver. Alle Beteiligten müssten zudem daran arbeiten, dass die Region insgesamt als attraktives Lebensumfeld punkten könne – und dazu vor allem danach fragen, was potenzielle Studenten von der Region erwarten.
>>>>INFO: Ein erster Studiengang steht bereits fest
Quer durch die Parteien unterstützen Land, Bund und Europa das Vorhaben. Derzeit wird in Berlin und Brüssel geprüft, welche Förderprogramme für die Finanzierung von „Medizin neu denken“ angezapft werden können.
Zusätzlich zu den Studenten aus Bonn und Mainz, die bereits Vorerfahrung haben, werden Studenten des Europäischen Masters, der zusammen mit der Uni Rotterdam angeboten wird, nach Siegen kommen.
Der Abschluss soll dem medizinischen Examen gleichgestellt sein, der Schwerpunkt soll in der digitalen Medizinerausbildung liegen. Diese Studenten werden ab dem ersten Semester in Siegen sein.
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