Siegen. . Projekt „Medizin neu denken“ und damit verbundene Neuausrichtung der Ärzteausbildung – ambitioniertes Vorhaben für die Uni Siegen und die Region.
Das Projekt „Medizin neu denken“ der Uni Siegen, die Ärzteausbildung in Siegen und die damit verknüpfte Versorgung von Patienten im ländlichen Raum ist ein ebenso ambitioniertes wie komplexes Vorhaben. Bei der Hochschulkonferenz (wir berichteten) wurden dazu neben Details zu den Studiengängen, dem Verbund der Siegener Kliniken und der Verzahnung medizinischer und technischer Bereiche weitere Aspekte vorgestellt.
Gesamtstrategie
Die Uni sieht sich in einer Rolle mit Verantwortung für die Region. Und hat langfristig mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen: Demografische Entwicklung, Fachkräftemangel, begrenztes Grundbudget. Die Hochschule stieß die Türen auf, die Zahl der Studenten erhöhte sich massiv auf fast 20 000. „Das spülte viel Geld ins System“, sagt Rektor Prof. Holger Burckhart – „aber auf Zeit.“ Denn die Zahlen sinken wieder. Parallel dazu arbeitete das Rektorat daran, die Forschung international zu profilieren, um als Volluni auch dann attraktiv zu sein, wenn weniger Studenten kommen, Zusatzgelder spärlicher fließen. „Volluni heißt Ausbau bei sinkenden Ressourcen – also müssen Ressourcen über weitere Felder erschlossen werden“, so der Rektor. Die Medizin macht die Uni ein Stück zukunftsfester.
Finanzierung
„Wir vertrauen darauf, dass für gute Ideen Geld da ist“, sagt Kanzler Ulf Richter. Benötigt werden Finanzmittel für die neuen, medizinnahen Studiengänge, für das Projekt selbst und für die nötige Infrastruktur, Gebäude und Ausrüstung. Für Medizinstudenten zahlt das Land deutlich mehr als etwa für einen Geisteswissenschaftler. Für zusätzliche Studienplätze kommt also zusätzliches Geld aus Düsseldorf – das sich Siegen allerdings mit dem Kooperationspartner Uni Bonn teilen muss. Details dazu regelt der in Kürze zu unterzeichnende Vertrag.
Das Grundbudget der Uni werde bislang verteilt auf die vier bisherigen Siegener Fakultäten, so Richter, abhängig von der Auslastung in Forschung, Lehre und Betreuung. Mit einer zusätzlichen Fakultät steige das Grundbudget – Richter möchte an dieser Stelle ein möglichst großes Plus aushandeln. „Wir spüren politischen Rückenwind“, bekräftigt Kanzler Richter, das Projekt werde nicht an den Ressourcen scheitern.
Ärzteausbildung
Nicht nur die Note soll bei der Medizinstudienplatzvergabe zählen, so Dr. Thomas Grünewald, Mitautor des Masterplans Medizin 2020. Kommunikative und soziale Kompetenzen sollen berücksichtigt werden, Erfahrungen im medizinischen Bereich etwa durch eine Ausbildung. „Patienten handeln immer autonomer, sie sind besser informiert und wollen mitentscheiden“, sagt Prof. Jaap Verweij, Gründungsdekan der Lebenswissenschaftlichen Fakultät (LWF). Dem – und dem Umgang mit den digitalen Instrumenten sowie fachübergreifendem technischem oder betriebswirtschaftlichem Wissen – müsse das Studium Rechnung tragen. „Wir entrümpeln Inhalte und schaffen Platz für die Dinge, die ein Mediziner heute wissen muss“, so Prof. Veit Braun, Prodekan für Lehre der LWF.
Image
„Das Siegener Modell ist eine einmalige Chance und ein wichtiger Baustein für die Attraktivität von Stadt und Region“, so Siegens Bürgermeister Steffen Mues. Synergieeffekte, Kooperationen, Wissenstransfers berührten beispielsweise auch Firmen, die sich in der Region ansiedeln. „Schon jetzt ist Siegen ein medizinisches Oberzentrum von überregionaler Bedeutung“, so Mues – Medizinerausbildung in Siegen sei ein entscheidender Vorteil für einen Gesundheitsstandort mit neuer Strahlkraft. Der AStA fordert in diesem Zusammenhang, auch die nötige Infrastruktur besonders auf dem Wohnungsmarkt zu gewährleisten. Mues sieht die Stadt hier auf einem guten Weg.
Versorgung in der Praxis
Da die ländliche Dorfgemeinschaft nicht nur Patientengruppe sondern auch Forschungsobjekt der Lebenswissenschaftlichen Fakultät ist, kann die Versorgung vor Ort auch außerhalb bestehender Strukturen weiterentwickelt werden, so Prof. Rainer Brück, Prodekan für Forschung der LWF: Neben mobilen Ambulanzen, die in den Landkreisen unterwegs sind, könnten etwa Ersthelfer vor Ort ausgebildet werden, die in Notlagen die Versorgung übernehmen, bis die Profis da sind.
Ziel sei es, dass die Menschen so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben könnten, so Brück. Das Forschungsprojekt „Cognitive Village“ der Uni forscht bereits dazu im Bereich Sensorik, datengestützter Medizintechnologie und mobiler Technik. So gebe es etwa Armbänder, die über den Körper gestreift werden und einfache bildgebende Verfahren ermöglichen, so Brück. „Es wird eine neue digitale Medizin geben, die sich an den Menschen in einer Umgebung wendet, in der er bislang schlecht versorgt wird.“
Datenschutz
Ein sensibles Thema: Wenn große Teile der Diagnostik technisch unterstützt werden, muss sichergestellt sein, dass die Infrastruktur entsprechend gesichert ist. „Technik kann und soll den Arzt nicht ersetzen“, betont Prof. Veit Braun, „der Patient bleibt Herr über seine Daten“, es werde gewährleistet, dass kein Unbefugter an die Patientendaten herankommen könne.
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