Hagen/Essen. . Halise Deregoglu aus Hagen ist kurz davor, zum ersten Mal Mutter zu werden. Dann reißt ihr die Hauptschlagader - akute Lebensgefahr für Mutter und das ungeborene Kind. Mit dem Rettungswagen geht es ins Uniklinikum nach Essen. Für das Ärzteteam beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.
Sie streichelt den rechten Arm ihres Mannes. Immer wieder treffen sich ihre Blicke. Ihre Augen strahlen. Halise und Hasan Deregoglu aus Hagen könnten die ganze Welt umarmen: „Wir sind glücklich und unendlich dankbar.“
Die 37-jährige Rechtsanwaltsfachangestellte liegt auf Station Herz 3 im Essener Uniklinikum. Sie hat überlebt. Und ihr Sohn Hamza, „unser erstes Kind“, ist gesund und munter.
Zwei Wochen ist der Säugling alt. Er schaut hellwach in die Runde, räkelt sich, gähnt gelangweilt. Jahre später wird der Junge die Geschichte seiner Geburt wieder und wieder hören. Ein Drama.
Heißes Gefühl im Brustkorb
Einen Tag nach dem errechneten Geburtstermin fühlt sich die werdende Mutter nicht wohl. Es ist Donnerstag, der 24. September. „Ich hatte so ein heißes Gefühl im Brustkorb und habe an Wehen gedacht.“ Sie geht auf den Balkon, genießt die frische Luft. Ihr Ehemann: „Ich wollte sie ins Krankenhaus bringen, sie wollte nicht.“ Um 3.30 Uhr schläft sie ein, er bekommt kein Auge zu.
1000 Geburten in diesem Jahr
In der Frauenklinik des Essener Universitätsklinikums ist am vergangenen Mittwoch in diesem Jahr das 1000. Kind auf die Welt gekommen.
Hamza heißt übersetzt der Löwe. Das passt. Vater Hasan Deregoglu lacht nicht ohne Stolz: „Er macht den Mund auch jetzt schon ganz schön weit auf.“
Am Freitag, 25. September, geht das Paar morgens zur Gynäkologin. Dem Kind geht es gut. Sein Herz schlägt unaufgeregt. Das sagt das CTG. Die Ärztin schickt sie weiter zur Hausärztin. Sicher ist sicher. Und ihr gefällt die Patientin gar nicht. Halise Deregoglu: „Sie hat gesagt, ich habe zu wenig Sauerstoff im Blut.“
Lebensgefahr für Mutter und Kind
Kalkweiß im Gesicht, mit leicht blauen Lippen liegt sie im Rettungswagen Richtung Allgemeines Krankenhaus in Hagen. „Ich durfte nicht mehr aufstehen.“ Hier in der Kardiologie stellen die Ärzte beim Ultraschall einen Riss der Hauptschlagader fest. Die Hochschwangere leidet unter dem Marfan-Syndrom, einer Bindegewebeschwäche. Es besteht Lebensgefahr für Mutter und Kind.
Mit dem Rettungswagen geht es nach Essen. Blaulicht und Sirene sorgen für freie Bahn. Sie bekommt eine erste Beruhigungsspritze. Hasan Deregoglu: „In 30 Minuten waren wir da.“ Im Herzzentrum des Uniklinikums wird der Notfall erwartet. Ärzte und Schwestern aus der Frauenklinik eilen zur Hilfe in den Herz-OP. Bei der in Hagen geborenen türkischstämmigen Frau wird die Narkose eingeleitet. Ihr Kind darf aber nichts abbekommen. „Während die Narkose den Körper flutet“, sagt Prof. Dr. Heinz Günther Jakob, Direktor des Herzzentrums, „muss der Säugling mit einem Kaiserschnitt geholt werden.“ Das gelingt. Keine Minute später macht der Junge seinen ersten Schrei auf dieser Welt.
Wettlauf mit der Zeit
„Ja“, sagt Frauenärztin Dr. Antonella Iannaccone, „es war ein tolles Gefühl. Für alle. Der Knabe war schwer und groß.“ 3850 Gramm, 55 Zentimeter. Die 30-Jährige und ihre Kollegin Dr. Antonia Schulze-Hagen (29) geben zu, „eine Träne verdrückt zu haben. Es war bewegend und bleibt unvergessen.“
Für Jakob und seine Ärztemannschaft beginnt jetzt der Wettlauf mit der Zeit. „Wenn die Aorta platzt, ist der Patient in 30 Sekunden tot.“ Der 60-Jährige hat keine Zeit, einen Gedanken über die erste Geburt im Herz-OP zu verschwenden. Sechs Stunden lang wird Halise Deregoglu operiert. Ihre rechte Herzklappe muss rekonstruiert werden, ihr wird ein Kunststoffrohr eingesetzt. Jakob: „Ein Eingriff, den wir etwa 200 Mal im Jahr vornehmen.“ Es geht gut.
Mutter kann ihr Glück kaum fassen
Drei Tage später bekommt die junge Mutter ihren Sohn zum ersten Mal zu Gesicht. Sie kann ihr Glück kaum fasssen. „Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre wenn . . .“ Es sei alles anders gekommen als geplant. „Ich habe mit meinem Mann Schwangerschaftskurse besucht und habe viel zur Geburt gelesen. Und jetzt verlässt mein Sohn vor mir die Klinik.
Der stolze Vater fühlt sich der Aufgabe zuhause gewachsen. Ja? „Ja, die Schwester und die Mutter meiner Frau helfen mir“, sagt der 45-Jährige. „Außerdem ist eine Hebamme organisiert worden. Seine Frau soll in gut einer Woche entlassen werden. Alles gut. Das meint auch Chef-Kardiologe Jakob: „Das ist ja was fürs Herz.“ Buchstäblich.