Hagen/Breckerfeld. . Es ist einer der letzten NS-Prozesse in Deutschland: Der Mann, dem ab Montag in Hagen der Prozess gemacht wird, soll 1944 einen wehrlosen Widerstandkämpfer erschossen haben. Bereits 1980 wurde er wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen Brüdern zu Haft verurteilt. Seither lebte er unbehelligt.

Vor dem Landgericht Hagen hat am Montag einer der letzten NS-Prozesse in Deutschland begonnen. Des Mordes angeklagt ist der 92 Jahre alte Siert B. aus Breckerfeld im Ennepe-Ruhr-Kreis. Der gebürtige Niederländer soll im September 1944 einen Widerstandskämpfer in seinem Heimatland erschossen haben.

„Mein Mandant wird im Gericht erscheinen“, bestätigt der Hagener Rechtsanwalt Klaus-Peter Kniffka vor Prozessbeginn. Den Gesundheitszustand des 92-Jährigen beschrieb er als „den Umständen entsprechend normal“. Nach Angaben seines Verteidigers will der 92-Jährige zunächst zu den Vorwürfen schweigen.

Der Hagener NS-Prozess findet internationale Aufmerksamkeit. Selbst ein Mitarbeiter der Londoner „Times“ hat sich für einen der 25 Presseplätze im Schwurgerichtssaal akkreditiert. Alle großen niederländischen Tageszeitungen und Fernsehanstalten entsenden Reporter nach Westfalen.

Zur Sache will sich der Angeklagte nicht äußern

Dass sie zum Auftakt des Prozesses Erhellendes von dem Angeklagten zum Tatvorwurf erfahren, ist unwahrscheinlich. „Mein Mandant wird sich erstmal nicht zur Sache äußern“, sagt Anwalt Kniffka.

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Die vom Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel verfasste Anklageschrift wirft Siert B. vor, dass er als Angehöriger des deutschen Grenz- und Sicherheitspolizeipostens im niederländischen Delfzijl in der Nacht vom 21. auf den 22. September 1944 den „arg-und wehrlosen“ Widerstandskämpfer Aldert Klaas Dijkema mit einem inzwischen verstorbenen Mittäter „hinterrücks“ erschossen habe. Vier Schüsse sollen gefallen sein, wirft Brendel, „Leiter der Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen“, dem Angeklagten vor.

Haftstrafe wurde bereits 1980 verhängt

Jahrzehntelang lebte Siert B. unbehelligt in Breckerfeld. Die Ermittlungen kamen nach einem Bericht im niederländischen TV und nach Recherchen des Politmagazins „Panorama“ ins Rollen.

Dass Siert B. jetzt der Prozess gemacht wird, hat mit einer veränderten Rechtsprechung zu tun. Das Landgericht Aachen hatte 2010 einen einstigen SS-Hauptscharführer wegen Mordes an drei Niederländern verurteilt.

Der Bundesgerichtshof hatte die Entscheidung bestätigt. Zuvor sahen die Gerichte die Erschießung von Zivilisten oder Widerstandskämpfern nicht als Mord an. In einem Prozess vor dem Landgericht Hagen 1980, in dem Siert B. wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen Brüdern eine siebenjährige Haftstrafe erhielt, war er nicht wegen der Tötung von Aldert Klaas Dijkema verurteilt worden. (we mit dpa)