Hagen. . Das Projekt „Kurve kriegen“ soll in Hagen straffälligen Kindern helfen will, nicht weiter in die Kriminalität abzugleiten. Motorsport ist dabei nicht eine reine Spaßmaßnahme, sagen Polizei und Sozialarbeiter. Trialfahren zum Beispiel kann die soziale Kompetenz der Jugendlichen stärken.

Wer dem 13 Jahre alte Sandro* ins Gesicht sieht, mag kaum glauben, dass der Junge schon eine kleine kriminelle Karriere hinter sich hat. Mit seinen wuscheligen braunen Haaren, den dunklen Augen, aus denen er etwas unsicher dreinblickt, und dem pausbackigen Gesicht könnte Sandro Großmutters Liebling sein. Der goldige Junge, der gute Noten nach Hause bringt, artig Hausaufgaben erledigt und ab und zu fünf Euro in die Hand gedrückt bekommt, weil er ein so manierlicher Enkel ist.

Doch Sandro war bislang alles andere als untadelig. Mit einer Clique zog er durch Altenhagen und erpresste Jugendliche. Abgezockt wurden sie, wie es die Jungs nennen. Und wer nichts geben wollte, der bekam auch schon mal eine aufs Maul.

Projekt wird vom Innenministerium finanziert

Mit 13 Jahren ist Sandro noch nicht strafmündig. Der Staat hatte bislang kaum eine Möglichkeit, Kinder wie Sandro einzufangen. Erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr drohen Jugendlichen Strafen oder soziale Maßnahmen. Dann sind viele Heranwachsende aber schon seit Jahren im Strudel von Gewalt und Kriminalität gefangen. Im Rahmen eines Modellprojektes sollen in Hagen Kinder davor bewahrt werden, tiefer in die Straffälligkeit abzugleiten. Das Präventionsprojekt „Kurve kriegen“ wird zunächst zwei Jahre lang vom NRW-Innenministerium finanziert.

Es setzt bei Kindern zwischen 8 und 15 Jahren an, die alle schon eine dicke Strafakte haben. 2010 gab es stadtweit 239 Intensivstraftäter – Kriminelle also, die innerhalb eines Jahres mindestens fünf Straftaten begangen haben. 34 Prozent davon waren Jugendliche. 24 Jugendliche werden derzeit in Hagen im Projekt „Kurve kriegen“ betreut. „Obwohl diese Jugendlichen massiv auftreten“, sagt Sozialpädagoge Uwe Grohmann, „haben sie ein geringes Selbstwertgefühl.“

Freiwillige Teilnahme aller Beteiligten

Grohmann hat vor ein paar Monaten ein Büro am Polizeipräsidium bezogen und arbeitet beim Projekt „Kurve kriegen“ mit der Behörde zusammen. Besonders eng ist die Kooperation mit Kriminalhauptkommissar Peter Passehl, der Akten von straffällig gewordenen Kindern sichtet und Probanden herausfiltert, die gefährdet sind, Intensivtäter zu werden. Sie werden in das Projekt aufgenommen, sofern die Eltern zustimmen. Das Projekt setzt auf freiwillige Teilnahme aller Beteiligten. Einmal, weil die nicht strafmündigen Kinder nicht mit einem richterlichen Urteil zur Teilnahme verpflichtet werden können.

Andererseits soll durch die Freiwilligkeit die Akzeptanz des Projektes gesteigert werden. Denn überwiegend wenden sich die Sozialarbeiter und Polizisten bei „Kurve kriegen“ an eine Klientel, die immer wieder mit dem Gesetz oder dem Jugendamt in Konflikt gerät. Die Skepsis gegenüber staatlichen Behörden ist dementsprechend groß. „Wir sind bislang nur einmal auf Ablehnung gestoßen“, erzählt Passehl, „und wurden regelrecht rausgeschmissen aus der Wohnung.“ Ansonsten sei die Zustimmung groß. „Die Familien sehen“, mutmaßt Passehl, „dass von der Polizei einmal etwas anderes kommt als Repressalien.“ Nämlich Hilfe für ihre Kinder, für die sie sich ja auch eine bessere Zukunft wünschen.

Konzentration und Körperbeherrschung lernen

Rollenspiele, Anti-Aggressions-Programme, Lernhilfen, Sprach- oder Sportkurse sollen die Jugendlichen positiv beeinflussen. Sie sollen lernen ,Nein’ zu sagen, über ihre Probleme zu reden, ihre Gefühlslage korrekt einzuordnen oder ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen. Ein Ziel ist auch, ihre soziale Kompetenz zu steigern. So wie beim Trial. Einem Motorsport, bei dem es vor allem auf Konzentration und Körperbeherrschung ankommt. „Diese Jugendlichen haben nie gelernt, akribisch auf ein Ziel hinzuarbeiten“, sagt Grohmann.

„Hier können sie scheitern und es wieder versuchen. In ihrem normalen Leben geben sie schnell auf. Hier nicht.“ Sie lernen auch, Verantwortung zu übernehmen, denn sie müssen ihre Maschinen säubern und sorgsam mit dem Gerät umgehen. „Man denkt nicht daran, irgendeinen Mist zu bauen, wenn man hier ist“, sagt Sandro in einer Pause beim Trial. In ihrem Umfeld erleben Kinder wie Sandro kaum die Vorzüge eines Vereinslebens oder haben vergleichbare prägende Erlebnisse. Die Clique ist ihr sozialer Partner – und wenn die kriminell ist, gleiten auch sie ab.

Das Land lässt sich das Projekt „Kurve kriegen“ einiges kosten. 4,5 Millionen Euro wurden pro Jahr im Haushalt veranschlagt – für alle acht Modellkommunen, zu denen auch Hagen zählt. Ein Aufwand, der sich lohnt, meint Hauptkommissar Passehl: „Wenn nur jedes zehnte Kind von der Kriminalität weg kommt, haben wir viel erreicht.“ Dann ist es ist ein Gewinn für ihren persönlichen Lebensweg und für die gesamte Gesellschaft.
* Name geändert