Hagen-Mitte.. Eine gewaltige Feuersbrunst war die Stunde null dieser Stadt, die ein Flecken mit wenigen Häusern war. Und zwar genau hier. Eine Nacherzählung.
Schuhe Stief ist eines der wenigen traditionsreichen Einzelhandelsgeschäfte, die aus längst vergangener Zeit in Hagen noch da sind. Die Adresse ist heute Märkischer Ring. Im 18. Jahrhundert lag das Haus allerdings an der Marktstraße. Hausnummer: fünf. Heute hängt an diesem Haus eine Schriftplatte. Denn hier wohnte einst der pensionierte 86-jährige Waldförster der Graftschaft Mark, Nicolaus Dähnert.
Genau hier brach am 6. September 1724 ein Schornsteinbrand aus. Das Feuer griff sofort das gesamte Haus an und ging dann auf die Nachbarhäuser über. Es war sehr windig und der Funkenflug trieb das Feuer über die Luft hinüber auf die andere Straßenseite. 78 der erst 131 Häuser, aus denen Hagen damals bestand, verbrannten. Der Tag ging als Hagener Stadtbrand in die Geschichte ein und war die Stunde null dieser Stadt. Eine Erzählung darüber, wie Hagen entstand.
Als die Flammen bekämpft und das Feuer erloschen war, beauftragte die damals zuständige Krieg- und Domänenkammer zu Kleve den Unnaer Architekten Johann Michael Moser einen Situationsplan zu fertigen und einen Wiederaufbauplan vorzulegen für das, was damals Hagen war. Räumlich war die Stadt nämlich nur das Gebiet zwischen dem heutigen Graf-von-Galen-Ring und der Tucht-Tankstelle an der Eilper Straße. Dahinter lag die Landgemeinde Eilpe. Ein fremder Ort. Alles, was das Feuer übrig gelassen hatte, war ein Gotteshaus, das die Menschen in seiner heutigen Form als Johanniskirche kennen und dasim Mittelalter den Heiligen Gerwasius und Protarius gewidmet war. Wir sind zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre vor Verleihung der Stadtrechte.
Keimzelle auf dem Johanniskirchplatz
Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff steht an einem regnerischen Tag vor der heutigen Johanniskirche. Er klammert bei seiner Erzählung die Betrachtung des historischen Hagens aus. Gerichtsbezirke, Kirchspiele, Zuständigkeiten von Bistümern und Grafen, Erzbischöfen und Stiften. Es soll hier nur um den Raum gehen. Wo ist diese Stadt entstanden? Wo ist ihre Keimzelle? „Und da sind wir hier eben genau richtig“, sagt Michael Eckhoff.
Eine Kirche wird hier schon um 1100 erwähnt. Zwischen 1682 und 1895 befand sich neben der Johanniskirche eine reformierte Kirche, die für die angesiedelten Eilper Klingenschmiede erbaut wurde. An der heutigen Johanniskirche, die erst 1889 ihren Namen erhält, gibt es immer wieder kleinere Brände und Umbauten. „Die Johanniskirche und die umliegenden Gebäude sind das historische Zentrum dieser Stadt“, sagt Michael Eckhoff.
„Hagen war vor dem großen Brand 1724 nicht mehr als ein Flecken zwischen der Tankstelle Tucht und dem heutige Graf-von-Galen-Ring.“
Jene Stadt, die damals noch keine ist, besteht aus knapp mehr als 100 Häusern. Wie beschrieben brannte ein Großteil ab. Die Neuentwicklung der Stadt muss beginnen. Die Regierung fördert den Wiederaufbau auch dadurch, dass sie die noch kleine Bevölkerung von der Verbrauchs- und Verkehrssteuer für zwei Jahre befreit.
Eine erste Skizze
Der erwähnte Baumeister Moser erstellt derweil die Schadenskarte und den Wiederaufbauplan - die erste Skizze, die man heute von Hagen kennt. Sie zeigen das Gebiet rund um die heutige Johanniskirche entlang der Volme und der alten Fernstraße zwischen Westfalen und der Reichsstadt Frankfurt am Main. Deswegen heißt die Straße auch heute Frankfurter Straße.
In diesem Zusammenhang ist der Bereich wichtig zu erwähnen, an dem sich heute ein Anwohnerparkplatz befindet und der vor dem Imbiss Alexandros, am Erotikshop Orion und neben dem Haupteingang des Cinestars liegt. Die beiden Straßenarme heißen heute Mühlenstraße. „Hier stand die alte Kornmühle, die zu der ersten Siedlung gehört, die wir als Hagen beschreiben können“, sagt Michael Eckhoff.
In der Straße an der Springe, die von der Johanniskirche zu den Elbershallen führt, verlief, in seiner Kontur heute noch sichtbar, der alte Mühlengraben. Für Ackerbau und Viehzucht war die Gegend völlig ungeeignet, weil der Boden das nicht hergab. „Aber die Wasserkraftnutzung wurde natürlich zum Thema wegen der Flussnähe.“ Spätere entstehen, auch durch die Familie Funcke, hier mächtige Fabriken, die Hagen zu zwischenzeitigem industriellen Glanz führen werden.
Die Springe gab es noch nicht
Die Springe war das, was man heute Retentionsfläche nennen könnte. Eine Wiesenfläche, auf die gelegentlich die Volme übertrat. Erst als man erkennt, dass man einen Veranstaltungsplatz benötigt, wird das gesamte Areal aufwendig angeschüttet und der Platz vor dem heutigen Kino entsteht. Da ist es schon 1905 und die Volme wird in der gesamten Stadt eingehaust. Wohl auch, damit die wichtigen Fabriken entlang des Ufers vor Überschwemmung geschützt werden. Was damals vonnöten war, ist heute aus stadtentwicklungstechnischer Perspektive eine Bausünde.
Hagen ist damals das, was Historiker einen Flecken nennen. Eine nicht sehr große, aber lokal bedeutende Siedlung. Ein „Hag“ ist zu jener Zeit ein meist von einer Hecke umgebenes Gelände, wovon der Flecken gleich mehrere hat. Die Mehrzahl ist: Hagen. Zum 3. September 1746 wurde eine Änderung im Steuerrecht verfügt. Historiker werten das als Verleihung der Stadtrechte. Ein exaktes Datum gibt es nicht. 1817 wird Hagen dann Kreis. 1848 Anschluss an die Märkische Eisenbahn, zahlreiche Eingemeindungen folgen und das Stadtgebiet erhält seine heutige Größe. Mitte des 19. Jahrhunderts blüht der ehemaligen Flecken, ist eine Wirtschaftsmacht in der Region.
Volkspark verhinderte alles
Dass niemals diese Keimzelle ordentlich mit dem heutigen Bahnhofsbereich verbunden werden konnte, hat viel mit der alten Funcke-Villa zu tun, die einst dort stand, wo sich heute der Volkspark befindet - der ehemalige Garten der Funckes. Die planerische Idee, hier den Hagen-Hof mit Wegverbindungen zur Johanniskirche und zum Bahnhof entstehen zu lassen, machte die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre zunichte. Die Nazis machten die Funcke-Villa zum Wehrbezirkskommando und die Grünanlage dahinter als „Volkspark“ der Öffentlichkeit zugänglich.