Hagen-Mitte. Bevor die Bahnhofshinterfahrung am Freitag eröffnet, ist die Stadtredaktion ein letztes Mal über den verstopften Graf-von-Galen-Ring gefahren.
Dieser Stau bringt zwei Typen von Autofahrern hervor: den Hinnehmer und den Choleriker. Der Hinnehmer erlebt das hier jeden Tag. Er blickt stoisch durch die Windschutzscheibe, völlig gleichmütig und leer. Der Choleriker haut mit der Hand aufs Lenkrad, flucht und versucht sinnfreie Spurwechsel. Eine letzte Fahrt über den Graf-von-Galen-Ring vor Eröffnung der Hinterfahrung. Einfach nur nervig.
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Verkehrswende, Verkehrswende, pah! Jede Wette, dass ich die nicht mehr erlebe. Das hier sieht nicht annähernd danach aus, als wenn irgendein Hagener bald mal auf ein anderes Verkehrsmittel als das Auto setzt. Hunderte Fahrer versuchen, sich im Feierabendverkehr von der Villa Post über den Ring entlang am Hauptbahnhof Richtung Arbeitsamtsrampe oder Eckeseyer Straße zu pumpen. Wie durch einen verstopften Schlauch. Für mich als Schaltwagen-Fahrer heißt das: Kupplung kommen lassen, bremsen, Kupplung kommen lassen bremsen. Im Radio läuft der tausendste Corona-Beitrag. Ein Bus der Hagener Straßenbahn steht neben mir. Nur genervte Gesichter hinter den Scheiben. Ist dieser ständige Stau eigentlich im Fahrplan eingetaktet? Der Bahnhof ist vielleicht 800 Meter entfernt. Es wird über 20 Minuten dauern, bis ich da bin. Verschenkte Lebenszeit.
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Ampelphasen als Nervtöter
Durch eine Mauer entlang der Bahngleise kann man Richtung neue Bahnhofshinterfahrung blicken. Ab heute kann man dort entlang fahren und sich das zähflüssige Gegurke über den Graf-von-Galen-Ring (theoretisch) sparen. Sie ist einspurig gebaut worden und ich stecke hier zweispurig im Stau. Wird das wirklich eine Entlastung? Die Fachleute sagen: ja. Jetzt gerade, um 16.30 Uhr, blicke ich durch genervte, müde Augen und glaube denen kein Wort. Ich fluche auf jene, die sich die Ampelschaltungen ausgedacht haben. Bin wohl eher der Choleriker. Im Radio weiter: Corona, Corona. Neben mir der Straßenbahn-Bus. Vor mir ein fetter Laster, der eigentlich gar nicht durch die City und ab heute über die Hinterfahrung rollen soll.
Es ist mal gefühlt länger als drei Sekunden grün. Schwenke, Galea-Club, ein paar Wettbüros, rot. Fußgänger-Ampel am Bahnhof. Knapp 50 Leute von rechts, knapp 50 von links. Locker die Hälfte starrt aufs Smartphone. Es ist wieder rot für sie, aber sie gehen ohne Hast wie Roboter weiter. Hinter mir hupt es. Ah, Choleriker-Kollege! Locker bleiben, mein Freund.
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Im Radio lief soeben „In the air tonight“ von Phil Collins, jetzt redet die Moderatorin schon wieder über Corona. Ob ich das wohl schon habe? Diese ständige Beschallung damit suggeriert mir das langsam.
Ich huste. Egal.
Ich rolle weiter Richtung Linksabbiegerspur nach Eckesey. Besonders abwechslungsreich: ich schaffe es in den zweiten Gang. Zack, rot! Ich stelle mir meine Route gerade von oben vor. Wie ein Kaugummi, das man mit den Zähnen festhält und langsam daran zieht. Einem Laster-Fahrer aus Pusemuckel ist noch eingefallen, dass er nicht nach Eckesey, sondern auf die Körnerstraße will. Wunderbarer Querstand vor der Ampel. Junge, wo willst du mit dem Brummi hin!?
Ich starre auf die Hochbrücke in Altenhagen. Mein Gott, ist die hässlich und irgendwie doch viertelprägend. Die bricht doch auch mal irgendwann ohne Ankündigungsverhalten ein, oder? Ich habe den Überblick verloren angesichts der vielen kaputten Brücken und Rampen in Hagen. Über 20 Minuten sind vergangen seit der Villa Post. Klassiker für mich selbst: die Tanklampe geht an. Ich lerne es nicht.
Das wär’s jetzt noch. Karre aus vor der Pizzeria Mazzola. Naja, wenigstens was zu essen in Reichweite. Ich war schon 100 Jahre nicht mehr da drin. Zuletzt, als es das „Alpenrausch“ noch gab. Da gab es auch noch keine Smartphones, von Verkehrswende hat kein Mensch gefaselt und Greta Thunberg war noch nicht geboren.
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Wird ab Freitag wirklich alles besser im Hagener City-Verkehr
So, jetzt der Durchbruch. Grün vor der Arbeitsagentur, grün unter der Hochbrücke Altenhagen. Ich rolle nicht, ich fahre! Komme mir vor wie Lucky Luke, der dem Sonnenuntergang entgegen reitet, ehe mich eine Bake aus diesem Traum reißt. Einspurig einordnen, verengter Verkehr. Links blicke ich von der Brücke auf die fertige Bahnhofshinterfahrung. Gelobtes Land. Ab heute wird alles besser.
Glaube ich das eigentlich selbst? Nun ja, ich bin Hagener: Ich glaube erstmal viele Dinge, um dann doch enttäuscht zu werden. Die Hinterfahrung, so hoffe ich, ist der Wendepunkt in diesem Gedanken-Strudel.