Hagen. 26 Prozent – die Zahl der Straftaten in Hagen ist 2022 drastisch gestiegen. Und das hat nicht nur mit Corona zu tun. Was die Polizei dazu sagt.

Er bringt es auf den Punkt: „Die Zahlen sind alles andere als gut“, sagt Kriminaldirektor Guido Liedke. Und da hilft es auch nur wenig, dass die Anzahl der Straftaten im Jahr 2022 auch im Land ebenso drastisch gestiegen ist. Hagen liegt noch über dem Landesschnitt. Daher sagt Liedke auch diesen Satz: „26 Prozent – das ist schon eine Wucht.“

So sieht die „Wucht“ konkret aus: 18.224 Straftaten sind auf dem Gebiet der Stadt Hagen im Jahr 2022 verübt worden. Das sind nicht nur 3766 mehr als ein Jahr zuvor, als die Corona-Pandemie noch einen großen Einfluss auf den Alltag und das Verhalten der Menschen hatte. Das ist auch die höchste Fallzahl in den letzten zehn Jahren. Was nahe legt, dass mit dem Auslaufen der Pandemie ein Teil des Anstiegs zu erklären sein mag, aber gewiss nicht der komplette.

Die Erfolge

Immerhin: Es gibt auch positive Nachrichten. Zum Beispiel diese hier: Die Aufklärungsquote in Hagen ist unverändert hoch. Unter den Präsidien in NRW liegt Hagen auf Rang eins, unter allen Behörden immerhin auf Platz 5.

Einen Anteil daran hat die Ermittlungskommission EK „Gang“. Sie war tätig bei einer Serie von Raubüberfällen, die Jugendliche und Heranwachsende in unterschiedlichen Konstellationen verübt haben. Ihre Opfer: vorzugsweise Besucher einer Disco, die sich nachts auf den Weg durch die Innenstadt im Richtung Bahnhof aufgemacht hatten. „Die Täter sind mit einer erschreckenden Brutalität vorgegangen“, sagt Guido Liedke.

Polizeipräsidentin Ursula Tomahogh blickt mit Sorge auf die gestiegenen Fallzahlen in Hagen.
Polizeipräsidentin Ursula Tomahogh blickt mit Sorge auf die gestiegenen Fallzahlen in Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

19 Tatverdächtige konnte die Polizei Hagen in diesem Zusammenhang ermitteln. Drei von ihnen sind bereits verurteilt – zu fünf Jahren bzw. zu zwei Jahren und zehn Monaten, einer zu einer Bewährungsstrafe.

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Allerdings, da macht sich Liedke keine Illusionen, werde die hohe Aufklärungsquote in Hagen kaum dafür sorgen, dass potenzielle Täter generell abgeschreckt werden: „Wenn sich wie im Fall der EK ,Gang’ herumspricht, dass es uns gelungen ist, einzelne Beteiligte in Untersuchungshaft zu nehmen, kann das schon einen Einfluss haben.“

Die Ursachen

Das Auslaufen der Pandemie ist eine Ursache für die höheren Zahlen in Hagen: „Menschen verlassen wieder ihre Wohnungen, gehen raus“, sagt Polizeipräsidentin Ursula Tomahogh, „die Kollegen haben auch festgestellt, dass Alkohol wieder exzessiver konsumiert wurde.“ – „Die Menschen auf der Straße sind enthemmter, schlagen mehr über die Stränge“, so Liedke.

Die einzelnen Bereiche

„Wir haben es mit einem Sammelsurium zu tun“, fügt er hinzu. Womit gleichzeitig klar ist, dass es der Polizei schwer fällt, Schwerpunkte zu setzen. Es fehlt an Polizisten, die Personaldecke ist dünn. Die, die man in eine Ermittlungs- oder Mordkommission abzieht, fehlten anderswo.

Der Bereich der Gewaltkriminalität sticht aus der schlechten Statistik noch einmal heraus. 765 Fälle sind erfasst. Ein Jahr zuvor waren es nur 492. Im Bereich gefährlicher und schwerer Körperverletzung liegt der Anstieg bei 58 Prozent, im Bereich Raub sogar bei 60 Prozent.

Guido Liedke ist stellvertretender Behördenleiter und Leiter Direktion Kriminalität.
Guido Liedke ist stellvertretender Behördenleiter und Leiter Direktion Kriminalität. © WP | Michael Kleinrensing

Bei der Straßenkriminalität (u.a. Taschendiebstähle, Kfz-Sachbeschädigungen) sind die Fälle um 26 Prozent auf jetzt 3578 gestiegen. Zugenommen hat dabei auch die Gewalt gegen Polizisten. „Das zeugt von mangelndem Respekt“, sagt Ursula Tomahogh.

Die Tötungen

Mit sieben Tötungsdelikten hat sich die Polizei in Hagen 2022 befasst – vier weniger als 2021. Nur in einem der Fälle ist tatsächlich ein Mensch ums Leben gekommen. Ein schwerbehindertes Kind, gerade einmal zwei Jahre alt, war zur Behandlung nach Deutschland gebracht worden. Die Großeltern hatten es schwer unterernährt und extrem geschwächt in eine Klinik gebracht. Jede Hilfe kam zu spät. Ein Fall fahrlässiger Tötung.

In einem Einfamilienhaus in Delstern hat eine Mutter auf ihr Kind eingestochen. Die Polizei untersucht den Tatort.
In einem Einfamilienhaus in Delstern hat eine Mutter auf ihr Kind eingestochen. Die Polizei untersucht den Tatort. © Alex Talash | Alex Talash

Auch im Rockermilieu hatte es noch eine versuchte Tötung gegeben. Drei Fälle haben sich im Familienumfeld zugetragen. Darunter auch jenes Drama in Delstern, bei dem eine Mutter, die an Wahnvorstellungen litt, auf ihr Kind eingestochen hatte. Weil der Vater eingriff, konnte Schlimmeres verhindert werden.

Häusliche Gewalt

Das ist besonders in Hagen: Häusliche Gewalt wird von der Polizei im Gegensatz zu anderen Städten statistisch erfasst. Um 39 Prozent haben die Fälle zugenommen. „Wir hatten die Hoffnung, dass mit einem Nachlassen der Pandemie die Fallzahlen sinken“, so Liedke, „die hat sich leider nicht erfüllt.“

Vergewaltigungen

38 Fälle – sieben mehr als im Vorjahr. „Häufig kannten sich Opfer und Täter zumindest flüchtig“, so Liedke, „häufig auch erst seit kurzer Zeit über das Internet.“ Eine „überfallartige“ Vergewaltigung habe es nicht gegeben.

Wie die Polizei reagiert

„Schon im Jahr 2022 haben wir die Zahlen sehr genau analysiert“, sagt Ursula Tomahogh, „wir prüfen permanent, ob es Sinn macht, Strukturen und Personal anzupassen.“ So habe man beispielsweise in Wehringhausen, Altenhagen und um den Hauptbahnhof auf „Präsenzkonzepte“ gesetzt. Aber es blieben letztlich auch abseits der Pandemie Faktoren, auf die die Polizei keinen Einfluss habe: Integrationsprobleme, Arbeitslosigkeit, fehlende Bleibeperspektiven.

Doch setzt die Polizei wieder verstärkt auf Prävention. „Nach der Pandemie können wir auch unsere umfassende Beratung intensivieren“, wirbt die Präsidentin für die Angebote. Letztlich appelliert sie an die Hagener, genau hinzusehen und nicht zu zögern, die Nummer 110 zu wählen. „Wir brauchen Bürger, die hinschauen.“

Am Ende bleibt neben dem Zahlenwerk auch das subjektive Sicherheitsgefühl. „Wir wollen darüber mit den Menschen ins Gespräch kommen“, sagt Ursula Tomahogh, „beispielsweise durch unsere Jucops oder durch unsere Bezirksbeamten.“