Hagen. Volker Ruff, Geschäftsführer der Hagen-Agentur, verlässt die Stadt. Im Interview zieht er eine Bilanz und blickt auf „Hagen Horizonte 2035“.

Vor einem halben Jahr hat der Rat der Stadt Hagen das Wachstumskonzept „Hagen Horizonte 2035“ auf den Weg gebracht. Maßgeblich entwickelt hat es Volker Ruff, Noch-Geschäftsführer der Hagen-Agentur, der Hagen im September den Rücken kehrt. Mit ihm sprach unsere Zeitung über seine Entscheidung und den Stand der Dinge von „Hagen Horizonte 2035“.

Jetzt mal ehrlich – nach zwei Jahren haben Sie einfach genug von Hagen – oder?

Volker Ruff: Nein. Auf keinen Fall. Ich habe den Oberbürgermeister um die Auflösung meines Vertrages gebeten. Aber das hat überhaupt nichts mit der Stadt, dem Standort oder meiner bisherigen Arbeit zu tun.

Das heißt, Sie scheitern nicht an Widerständen?

Wir wollen ja, dass das Konzept breit diskutiert wird. Wir haben ganz bewusst auch Menschen mit ins Boot genommen, die sich auch sehr kritisch mit der Stadt und dem Standort auseinandersetzen. Letztlich hat der Rat der Stadt mit breiter Mehrheit „Hagen Horizonte 2035“ und die „Hagen Wirtschaftsentwicklung“ auf den Weg gebracht. Wir haben sehr viel positive Resonanz bekommen. Von einem Scheitern an Widerständen kann also nicht die Rede sein.

Warum gehen Sie dann?

Ich habe eine Chance erhalten, die nicht so oft wieder kommt. Ein Angebot, das perfekt in meine private und berufliche Zukunftsperspektive passt. Ich weiß nicht, ob sich eine solche Chance noch einmal auftut. Ich bin hin- und hergerissen, habe mir die Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht. Wichtig ist mir: Ich habe mich nicht gegen Hagen, sondern für die neue Stelle entschieden.

Aber der Zeitpunkt ist doch arg ungünstig...

Für solch einen Schritt gibt es keinen günstigen Zeitpunkt. Wenn ich in drei Jahren den Entschluss gefasst hätte, hätte es auch jene gegeben, die mit vorgeworfen hätten, ich würde mitten in der Umsetzungsphase gehen. Wir haben hier in den letzten Monaten gemeinsam etwas auf die Beine gestellt, worauf man aufbauen kann. Wir haben viele Hindernisse aus dem Weg geräumt, geben diesem Wirtschaftsstandort eine Perspektive und bauen die notwendigen Strukturen auf. Alles in kürzester Zeit. Darauf bin ich stolz.

Hand auf’s Herz – „Hagen Horizonte 2035“… Das klingt doch erstmal sehr schwer verdaulich, sehr abstrakt...

Wohl wahr. Das ist ja gar nicht böse gemeint: Aber den gesamten Prozess muss auch nicht jeder Bürger sofort verstehen. Das ist auch gar nicht so gedacht. Sie sollen vielmehr sehen, wenn sich konkrete Projekte entwickeln oder wenn sonstwo etwas Neues entsteht. Oder wenn es in der Fußgängerzone plötzlich sauberer wird. Der Bürger und die Unternehmen müssen die Veränderungen selbst sehen. Und zwar bald!

Wo steht das Projekt denn aktuell?

Eigentlich sind wir gerade in einer Phase, in der wir sehr stark arbeiten, in der wir aber kaum an die Öffentlichkeit treten. Am sichtbarsten ist mit Sicherheit unsere Hagen-Restart-2021-Initiative. Dabei können wir zum Beispiel etwas für den Handel tun und gleichzeitig aber auch zeigen, was wir mit dem Horizonte-Projekt vorhaben. Wir wollen den Bürgern aber auch der Politik und Unternehmen Gelegenheit geben, bei Hagen-Restart mitzumachen, einzusteigen. Die Kommunikation ist fertig, die Produkte sind fertig, die Internetplattform „Hagenliefert.de“ ist überarbeitet. Nächste oder übernächste Woche gehen wir damit raus.

Warum ist es so wichtig, Unternehmen zusammenzubringen?

Die Vernetzung von Unternehmen untereinander – das fehlt sehr in Hagen. Es macht den Anschein, als hätten viele nur auf eine solche Initiative gewartet. Wir brauchen mehr gute Orte und Gelegenheiten, um über Herausforderungen und Ideen zu reden. Für den Standort und für die Unternehmen. Obwohl wir sehr kurzfristig eingeladen haben, hat es kaum Absagen gegeben. Aus vielen Unternehmen hat sich die Geschäftsführungsebene beteiligt. Viele absolute Topleute. Und dabei ging es allen darum: Was ist gut für unsere Stadt. Davon wiederum profitieren am Ende auch die Unternehmen. Aber: „Hagen Horizonte 2035“ ist eine große Aufgabe, die der Stadt eine echte Standortperspektive geben soll

Was ist bislang geschehen?

Unser Dienstleister, die Prognos AG, hat zunächst Schlüsselinterviews mit 13 Experten geführt. Mit Menschen, die vom Standort kommen, die dem Standort zugewandt sind, aber die nicht alles völlig unkritisch sehen. Die Ergebnisse dieser Gespräche wurden zusammengefasst. Daraus haben sich für uns noch einmal viele gute Hinweise ergeben.

Worum ging es dabei?

Ganz grob: Bildung, Standortprofilierung, Industrie, Flächen und Digitalisierung. Das sind die Themen, bei denen wir nicht nur Nachholbedarf haben, sondern auch Chancen am Standort sehen. Daneben haben wir eine vertiefte Standortanalyse gelegt. Manches ist da deckungsgleich. Man muss auch sagen – vieles, was wir herausgefunden haben, bestätigt ein Bauchgefühl, das es schon vorher gab. Aber es ist gut, dass von anderen bestätigt zu wissen.

Bauchgefühl, Interviews, Analyse – was ist daraus geworden?

Aus all dem sind dann Expertenrunden erwachsen. Wir haben sieben Arbeitsgruppen gebildet mit bis zu 15 Teilnehmern. Die Rückmeldungen waren eigentlich durchweg positiv. Auch, weil man mal in neuer Konstellation und neuer Umgebung über Themen gesprochen hat. Die Idee war, nicht nur unsere Ergebnisse vorzustellen, sondern daraus Ideen und Projekte zu entwickeln.

Wie geht’s weiter?

Der nächste Schritt Ende Juni ist es, in einer neuen Runde, wie wir in den Themenfeldern jeweils Hebelprojekte ausmachen.

Werden Sie doch mal konkreter...

Also nur ein Beispiel: Thema Gründung. Wenn da herauskommt: Wir brauchen Co-Working-Spaces oder einen Gründungswettbewerb, dann wäre es unsere Aufgabe, das in größere Zusammenhänge zu packen und daraus ein Hebelprojekt zu entwickeln. Was müssen wir also tun, damit all diese neuen und auch bestehenden Initiativen aus Hagen eine echte Gründerstadt machen? Wenn wir dann beispielsweise die West-Side entwickeln, dann müssen wir diese Ziele, die wir mit den Hebelprojekten ins Auge genommen haben, auch in den Blick nehmen durch zum Beispiel in diesem Fall einen Gründercampus.

Was ist denn das Neue an diesem Ansatz?

Bislang war das immer so: Da gibt es plötzlich Geld für ein Gründungszentrum – nehmen wir. Es gibt Geld für ein Gesundheitszentrum – her damit. Künftig aber gucken wir bei allem, ob sich das an den Zielen orientiert. Wir müssen viel systematisieren. Sonst kriegen wir kein Profil in diese Stadt. Wir wollen also eine Grundidee für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Stadt entwickeln – und alle Ziele müssen dann darauf einzahlen. Das kann und muss dann durchgehalten werden.

Wer legt denn die Ziele wann fest?

Spätestens nach den Sommerferien wollen wir diese Ziele, für die Hagen dann steht, in unserem Lenkungskreis vereinbaren. In diesem Gremium sind ja nicht nur die Stadt und die Hagen-Agentur. Die SIHK spielt da eine Rolle, die Fernuniversität zum Beispiel – aber auch noch viele andere. Wir wollen uns dann auf gemeinsame Ziele verständigen. Und egal, was wir angehen, schauen wir fortan: Es muss sich an den vereinbarten Zielen messen lassen. Das genau ist „Hagen Horizonte 2035“ – nicht mehr und nicht weniger.

Wie offen sind denn die Türen, die Sie damit in der Stadtgesellschaft einrennen?

Die Workshops wurden äußerst positiv angenommen. Die Beteiligten fanden gut, dass die Runden nicht zu groß waren, dass sie sich einbringen konnten. Dazu haben wir für jedes Themenfeld einen Paten gewinnen können.

Also alles auf Anfang? Alles neu?

Nein. Es gibt ja schon gute Ideen – wie zum Beispiel das Technikzentrum Südwestfalen, das gerade an den Elbershallen entsteht. Das ist wirklich super. Solche Sachen müssen wir zum Leuchten bringen. Daran kann man ganz viele Sachen anknüpfen. Wir müssen ja nicht immer alles neu erfinden.
Ich habe das Gefühl, dass die Beteiligten verstanden haben, dass wir keine Strategie, sondern eine Initiative wollen – das ist ein Unterschied. Und dabei kommen greifbare Produkte heraus.

Mit wie viel Energie geht denn die Hagen-Agentur dieses Projekt an?

„Hagen Horizonte 2035“ ist eigentlich die die Grundlage für eine neue Hagener Wirtschaftsentwicklung, die Ende September gegründet werden soll. Die Beschlüsse haben wir schon in der Tasche. Von daher: Im Grunde sind bei der Hagen-Agentur derzeit alle damit beschäftigt.