Willingen. Russenmützen, Thermojacken, Ohrenwärmer, Wollschals tief im Gesicht. Viele dick vermummte Gestalten beim Weltcup-Skispringen in Willingen sehen aus wie ein Spion, der aus der Kälte kam. Es herrschen Temperaturen von minus 15 Grad, aber die Party-Stimmung ist heiß.

Die hartgesottenen Wintersport-Freaks trinken, tanzen und schunkeln sich in Willingen warm. 13 255 Zuschauer heizen sich ein, feiern am Samstag beim Teamspringen eine coole Party im sibirischen Klima an der Mühlenkopfschanze. Sie sind in 50 Bussen und 1 600 Autos aus allen Himmelsrichtungen angereist. Der Rest kam mit dem Taxi oder der Bahn.

Skihasen, Feierbiester und Kegelbrüder aus Bremen, Berlin, Düsseldorf, Krefeld, Frankfurt, Essen, Hagen, Münster, Ibbenbüren, Oberhof. Oder für einen Tag mal schnell von nebenan aus der Provinz in Hessen oder dem Sauer- und Siegerland.

DSV-Adler werden lautstark angefeuert

Dabei sein und mitfiebern ist alles, wenn die deutschen Adler angefeuert von kollektiven Ziiieh-Rufen über den Backen segeln. Skispringen ist Kult im Upland und selbst in Eiszeiten immer Anlass für eine heiße Party. Erstaunlich diese Beharrlichkeit bei den Fetengängern unterschiedlicher Generationen.

Schöner Erinnerung für die Skihasen: Ein Foto mit Gregor Schlierenzauer (Österreich). Foto: Hartwig Sellmann
Schöner Erinnerung für die Skihasen: Ein Foto mit Gregor Schlierenzauer (Österreich). Foto: Hartwig Sellmann © WNM

Vorne am Auslauf stehen zumeist die heißblütigen Teenager, bewaffnet mit Kuli und Autogramm-Album. Es könnte ja noch ein neuer Liebling aus der genauso jungen Springer-Garde vorbeikommen und seinen Namenszug verewigen. Wer Glück hat, ergattert eine Unterschrift oder sogar ein Foto von und mit Severin (Freund), Andy (Wank) oder Richi (Freund). Doch so richtig Lust auf eine Zugabe haben die frierenden DSV-Jungs diesmal nicht.

Weltcup-Helden nach Sprüngen gut verpackt

Nach jedem Durchgang beim Teamspringen streifen sie ihre dünne Kluft vom Leib. Kein Skiflieger darf sich unterkühlen. Schnell werden die Weltcup-Helden von Physiotherapeuten und Trainer wieder verpackt in Funktionswäsche und Kuscheldecken. „Im Winter sollte man ja generell dick angezogen sein“, verrät der österreichische Star Andy Kofler. Vor ihm schwenken zwei Mädels die rot-weiße Nationalflagge. Jede Handbewegung hält warm.

DSV-Adler fliegen in Willingen hinterher

Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Richard Freitag beim Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Richard Freitag beim Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Richard Freitag beim Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Richard Freitag beim Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 000 Zuschauern. © Thomas Nitsche/WP
Die deutschen Fans feierten, obwohl das DSV-Team enttäuscht hat.
Die deutschen Fans feierten, obwohl das DSV-Team enttäuscht hat. © Thomas Nitsche/WP
Jedes Jahr dabei sind die Mädels aus Hörstel.
Jedes Jahr dabei sind die Mädels aus Hörstel. © Thomas Nitsche/WP
Anders Bardal aus Norwegen gewinnt das Einzelspringen in Willingen.
Anders Bardal aus Norwegen gewinnt das Einzelspringen in Willingen. © Thomas Nitsche/WP
Anders Bardal aus Norwegen gewinnt das Einzelspringen in Willingen.
Anders Bardal aus Norwegen gewinnt das Einzelspringen in Willingen. © Thomas Nitsche/WP
Einzelspringen in Willingen vor über 11 00 Fans.
Einzelspringen in Willingen vor über 11 00 Fans. © Thomas Nitsche/WP
1/15

Oder es hilft sich „warme Gedanken“ zu machen. Der Standardspruch beim sicher frostigsten Springen in der Geschichte des Skiclubs Willingen. Das Publikum habe unglaubliches Durchhaltevermögen, lobt Thomas Behle, einst Pressesprecher des SC und heute einer von vielen Helfern, die bei der FIS-Team-Tour um den Weltcup-Standort Willingen kämpfen.

Organisation läuft in eisiger Kälte reibungslos

Reibungslos wie eh und je läuft die Organisation. „Eisige Kälte ist uns lieber“, sagt Behle nach einem Veranstaltungstag in herrlichem Sonnenschein. „Da haben wir festen Schnee bei der Arbeit unter den Füßen.“ Oft war der in vergangenen Jahren gar nicht vorhanden oder ist im strömenden Regen wieder dahin geschmolzen. Beste Bedingungen seien es diesmal. Thomas Behle greift beim Auf- und Abbau des Siegerpodests mit unter die Arme. Was um ihn herum passiert, hat er nur flüchtig im Blick.

Warsteiner vom Faß läuft nur in VIP-Zelten 

Die Tätigkeiten am Rande sind in Willingen präzise delegiert. Besondere Kälteschutzmaßnamen wurden nicht getroffen. Außer im Catering-Gewerbe. Das Warsteiner Weltcup-Bier gibt es 2012 nur aus Dosen an den Theken. Pils vom Faß fließt lediglich in den VIP-Zelten. Dazu müssen diese gut beheizt sein. Auch das ist im eisigen Strycktal schwierig. Die Heizstrahler haben keine flächendeckende Wirkung.

Draußen gab's in Willingen nur Dosenbier. Warme Getränke erhielten den Vorzug beim Weltcup. Foto: Hartwig Sellmann
Draußen gab's in Willingen nur Dosenbier. Warme Getränke erhielten den Vorzug beim Weltcup. Foto: Hartwig Sellmann © WNM

„Wir halten das Bier in den Leitungen am Laufen“, schmunzelt Thomas Behle. Dafür sorgt das durstige, vorrangig männliche Partyvolk. Aber draußen am Tresen können nur die Dosen auf Betriebstemperaturen in bewärmten Hinterstübchen gehalten werden. Keine Chance für Faßbier. Das würde auf dem Weg zum Zapfhahn erfrieren. Denn nachts, wenn es gelagert werden muss, sinkt in Willingen das Thermometer auf minus 22 Grad. Kaffee, Tee und Glühwein mit Schuss sind eh die bevorzugten Getränke im Stadionrund.

3,25 Millionen sehen ARD-Übertragung am Fernseher

Am Ende des klirrendkalten Tages erwärmen Deutschlands Könige der Lüfte ihre Fans mit dem Sprung auf Rang drei. 3,25 Millionen sehen nach ARD-Angaben das spektakuläre Finale in heimeliger Stube vor dem Fernseher. So gut haben es die fleißigen Hilfskräfte vom SC Willingen nicht. Nach dem Event treten sie von hinter den Kulissen hervor, sammeln Abfälle wie Becher, Büchsen und Pappschalen vor den Verkaufsbuden ein.

3,25 Millionen Zuschauer sahen das Weltcup-Spektakel bei der ARD. Skispringen in Willingen ist Kult. Foto: Sellmann
3,25 Millionen Zuschauer sahen das Weltcup-Spektakel bei der ARD. Skispringen in Willingen ist Kult. Foto: Sellmann © WNM

Andere Supporter sitzen schon in geselliger Runde am Bratwurstgrill, wo der letzte Rest Holzkohle verfeuert wird, nur um Füße und Finger aufzutauen. Lagerfeuer-Atmosphäre pur. 3500 Feuerwehrleute aus Hessen und NRW sorgen am Sonntag in ihren Uniformen für ein buntes Bild an der Schanze. Im vergangenen Winter war diese Aktion mit 2000 Brandschützern bereits eine Attraktion.

60 Sanitäter vom DRK Korbach-Arolsen im Einsatz

Mehr Stress haben dagegen die 60 Sanitäter vom DRK Korbach-Arolsen am Rande des Weltcups. Eisbeine kriegen sie nicht. Beim Apres-Ski häufen sich ihre Einsätze. Schnapsleichen müssen verarztet werden. Wieder ist einem Party-Hengst der Alkohol zu Kopf gestiegen. Ein Betrunkener, der sich vor den Augen der entsetzten Besucher selbst befriedigte, konnte schnell festgenommen werden. Er kam in eine Ausnüchterungszelle. Den Mann erwartet ein Strafverfahren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse für die Polizei. Zwei kleinere Schlägereien vor und im Festzelt werden schnell geschlichtet. Einige Schwarzhändler, die falsche Eintrittskarten anboten, gehen den Beamten ins Netz. Und DRK-Mitarbeiter Sven Eichweber bilanziert: „Wir hatten sechs Transporte ins Krankenhaus. Ganz normal für so einen Tag.“ Kälte-Patienten in der Kühltruhe am Mühlenkopf habe es keine gegeben. Aber Deutsches Rotes Kreuz und Bergwacht leisten 20 Mal Erste Hilfe nach Stürzen auf dem Eisboden.