Marsberg/Essentho. Massenentlassung: Rund 20 Prozent der Belegschaft muss den insolventen Glashersteller Ritzenhoff verlassen. Wie es dort nun weitergehen kann.

Jetzt ist klar: 89 Mitarbeitende müssen gehen. Der Glashersteller Ritzenhoff aus Marsberg ist aktuell im Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung und um für einen Investor ein sinnvolles Übernahmeangebot machen zu können, muss die Belegschaft kleiner werden. So erklärt es Andreas Bier von der IGBCE am Montagabend gegenüber der Westfalenpost. Bei einer Belegschaftsversammlung am selben Tag waren die rund 430 Mitarbeiter von Ritzenhoff über diesen Schritt informiert, die Kündigungsschreiben waren noch am selben Abend den 89 Mitarbeitenden ausgehändigt worden, denn: Es wird eine Transfergesellschaft geben, in die die Mitarbeiter wechseln können. Über diese Möglichkeit wurden die Entlassenen direkt im Anschluss in einer zweiten Versammlung ausführlich informiert. Der Betriebsratsvorsitzende Axel Ballez hatte sich am selben Abend nicht mehr äußern können, am Dienstagmorgen bezieht er im Gespräch gegenüber der Westfalenpost allerdings Stellung zu den Entlassungen und auch die Ritzenhoff AG äußert sich, wenn auch nur in einem schriftlichen Statement.

Ritzenhoff AG äußert sich zu den Entlassungen

Produktion bei Ritzenhoff (Archivfoto): Das Unternehmen ist in der Krise. Nun kam für viele Mitarbeiter der Schock: Sie verlieren ihre Jobs. Die Ritzenhoff AG und der Betriebsrat nehmen nun Stellung.
Produktion bei Ritzenhoff (Archivfoto): Das Unternehmen ist in der Krise. Nun kam für viele Mitarbeiter der Schock: Sie verlieren ihre Jobs. Die Ritzenhoff AG und der Betriebsrat nehmen nun Stellung. © Annette Dülme | Annette Dülme

Die Ritzenhoff AG hat der WP auf Nachfrage eine Stellungnahme zukommen lassen. „Die Ritzenhoff AG befindet sich in ihrer umfassenden Sanierung auf einem guten und zielgerichteten Weg. Das Sanierungskonzept wird bereits umgesetzt. Die Gespräche mit potenziellen Investoren sind auf der Zielgeraden. Der neue Investor kann vorbehaltlich der Zustimmung des Gläubigerausschusses Anfang April genannt werden“, heißt es.

Ritzenhoff: Betriebsratsvorsitzender schildert Wut unter den Mitarbeitern

Axel Ballez wird im persönlichen Gespräch mit der WP indes emotional: „Wir sind sehr sprachlos. Das tut in der Seele weh, wenn nun langjährige Mitarbeiter nicht mehr dabei sind. Das ist sehr sehr schwierig und ein Schock für jeden einzelnen“, sagt Ballez. „Da ist aber auch viel Wut und die Frage: ‚Warum ich und nicht die anderen?` Das ist eine normale und rationale Reaktion, die ich absolut nachvollziehen kann.“ Die Versammlungen am Montag, die erste mit den 430 Mitarbeitern und die zweite mit den 89 entlassenen Arbeitnehmern, sei sehr intensiv gewesen, wie der Betriebsratsvorsitzende schildert.

Transfergesellschaft für Ritzenhoff-Mitarbeiter wird durch Ballez positiv bewertet

Die Transfergesellschaft, die nun eingesetzt wird, bewertet Ballez als positiv. Die 89 Mitarbeitenden können bis Freitag entscheiden, ob sie in die Transfergesellschaft wechseln. Das bedeutet, ihre Kündigungsfrist verdoppelt sich auf bis zu sechs Monate und das Arbeitslosengeld wird aufgestockt. Gleichzeitig wird es Maßnahmen geben, die Mitarbeitenden auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, beispielsweise spezielle Schulungen oder Weiterbildungen. „Das ist ein Sprungbrett für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, damit diese nicht sofort in ein tiefes Loch oder direkt in die Arbeitslosigkeit fallen. Das ist ein vernünftiges Instrument, wenn es dann auch vernünftig mit Geld ausgestattet wird.“ Wie viel der Arbeitgeber aufstocken wird, ist laut Bier noch nicht klar gewesen und werde noch verhandelt. Ballez: „Aber das ist besser, als auf sich allein gestellt zu sein, allein auf dem Arbeitsmarkt zu suchen.“ Sechs erfahrene Betriebsratsmitglieder, beispielsweise ehemalige von Villeroy&Boch, würden sich den Mitarbeitern dann annehmen. „Ja, das ist eine Tragödie, aber die Transfergesellschaft ist eine gute Alternative.“

Ritzenhoff in Essentho bei Marsberg: Der Schock sitzt tief.
Ritzenhoff in Essentho bei Marsberg: Der Schock sitzt tief. © WP | Boris Schopper

Dies möchte auch Ritzenhoff so betonen. In der schriftlichen Stellungnahme des Unternehmenssprechers heißt es: „Darüber hinaus hat die Ritzenhoff AG 89 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Angebot unterbreitet, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Der Personalabbau trägt wesentlich dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen .Nach dem Einstieg eines Investors sieht sich die Ritzenhoff AG gerüstet, die Herausforderungen der Zukunft aktiv zu gestalten.“

Wir sind sehr sprachlos. Das tut in der Seele weh, wenn nun langjährige Mitarbeiter nicht mehr dabei sind. Das ist sehr sehr schwierig und ein Schock für jeden einzelnen.
Axel Ballez - Betriebsratsvorsitzender von Ritzenhoff

Detaillierte Angaben zur Fortführung des Unternehmens und zu den Investoren, die sich für das Unternehmen interessieren, macht Ritzenhoff nicht und auch Ballez darf sich nicht weiter äußern. Schon der Gewerkschaftler Andreas Bier hatte angedeutet, dass es mehrere Investoren gebe, aber bisher noch keine Entscheidung über einen Sanierungstarifvertrag. Während Ritzenhoff also von der Bekanntmachung des Investors und einem guten Weg spricht, äußert sich Axel Ballez nüchterner. Er verweist auf den Gläubigerausschuss, der in der nächsten Woche noch vor Ostern stattfinden soll. „Wie es weitergehen wird, mit wem und ob überhaupt, das ist alles noch unklar. Es besteht nüchtern betrachtet noch immer die Möglichkeit, dass die Investoren abspringen. Erst wenn ein Investor unterschrieben hat, geht es weiter.“ Klar ist nur: Rund um Ostern wird eine Entscheidung fallen. Allerdings will Axel Ballez optimistisch bleiben. „Ja, ich blicke nur nach vorne, vor allem für die Belegschaft, aber auch für das Unternehmen. Ich hoffe, es wird vernünftig und gut weitergehen. Das wird es aber nur, wenn alle - von der Geschäftsleitung bis hin zu den Arbeitern - ihre Hausaufgaben machen.“

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