Hochsauerlandkreis. Im Hochsauerlandkreis gab es im vergangenen Jahr eine Rekordzahl bei den Sexualdelikten. Grund ist unter anderem der Missbrauchsfall aus Lügde.

Die Polizei im Hochsauerlandkreis verzeichnet mehr Sexualdelikte, insbesondere Kinder sind die Opfer. Das geht aus der Kriminalstatistik für das Jahr 2021 hervor. Für diesen Anstieg gibt es zwei Gründe.

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383 Sexualstraftaten sind im Hochsauerland ein neuer Rekord - zum Vergleich: Ein Jahr zuvor waren es 226. Die Polizei führt 29 Vergewaltigungen an, im Jahr 2020 waren es 21. Vier sexuelle Nötigungen sowie 65 Mal sexueller Missbrauch von Kindern sind in der Statistik vermerkt. 2020 waren es noch 42 Fälle. 128 Mal kam es laut der Statistik zur Verbreitung von Kinderpornografie. Auch hier zeichnet sich eine deutliche Steigerung von plus 69.

„Die Verbreitung von Kinderpornografie ist ein Grund, der die Gesamtzahl der Sexualdelikte so stark ansteigen lässt. In dem Bereich ist auch mehr Personal tätig. Ein Fund führt in der Regel zum nächsten und nächsten. Das ist wie bei Betäubungsmitteln, wo ein Domino-Effekt entsteht“, erklärt Sebastian Held, Pressesprecher der Polizei im Hochsauerlandkreis. Oft werden Datenträger sichergestellt, die wieder weitere Informationen enthalten.

Fall Lügde verändert Anzeigenverhalten im HSK

Der weiterer Grund für diese Entwicklung: Die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornografie sind seit den Missbrauchsfällen von Lügde im Jahr 2019 ein Schwerpunkt in NRW. „Die Polizei hat ihre Aktivitäten auch im HSK seitdem stark erhöht. Durch umfangreiche Ermittlungsarbeit werden mehr Taten aufgedeckt, was zu einer Steigerung der Fallzahlen führt“, heißt es in dem Bericht.

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Das Thema Beleidigung auf sexueller Basis macht laut Sebastian Held auch einen Anteil aus in der Statistik. „Wir erleben durch den Fall Lügde auch ein völlig anderes Anzeigeverhalten. Es gibt eine andere Sensibilität für das Thema, die noch dazukommt. Wo früher vielleicht nichts gemacht wurde, entscheidet man sich jetzt für eine Anzeige“, so Held weiter.

Kontaktaufnahme mit Minderjährigen im Internet

Was noch hinzukommt: Grooming. Mit diesem englischen Fachbegriff wird die gezielte Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen beschrieben, die sich Vertrauen erschleichen und eine Missbrauchsabsicht haben. Dieses Vorgehen gilt nach einer Gesetzesänderung mittlerweile ebenfalls als sexueller Missbrauch von Kindern und ist als solcher strafbar. Schon der Versuch, sich in einem Chat ebenfalls als Kind auszugeben, um sich mit Opfern treffen zu wollen, wird verfolgt. Auch dafür sensibilisiert die Polizei. Das Thema Grooming wird aber nicht einzeln in der Statistik erfasst, da sich daraus in der Folge konkretere Vergehen ergeben. Zugleich hat die Polizei in der IT aufgerüstet und kann solche Fälle inzwischen intensiver verfolgen als es früher möglich war.

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Um Opfern von Sexualdelikten auch später noch die Möglichkeit zur Strafverfolgung zu geben, gibt es die Anonyme Spurensicherung. Sie ist eine Chance für Opfer von Sexualstraftaten. Im HSK bieten das Karolinen-Hospital Hüsten und das Maria-Hilf in Brilon diese Unterstützung seit 2015 an. Aber bislang wird das Angebot kaum genutzt: Ein Fall binnen zwei Jahren in Brilon, zwei im vergangenen Jahr in Arnsberg. Dabei ist jede Sexual-Straftat ein medizinischer Notfall.

Anonyme Spurensicherung im HSK

„Das Verfahren der anonymen Spurensicherung (ASS) wird im Klinikum Hochsauerland schon seit vielen Jahren angeboten. Erfahrungen von Frauenhilfeeinrichtungen belegen, dass Opfern sexualisierter Gewalt die Entscheidung für oder gegen eine Strafanzeige schwer fällt. Besonders die Tatsache, dass die Entscheidung aufgrund der zeitnahen Spurensicherung unmittelbar getroffen werden muss, überfordert die betroffenen Frauen in einer Situation, in der sie oftmals unter Schock stehen“, erklärt Dr. med. Norbert Peters, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde im Klinikum Hochsauerland.

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Ohne Strafanzeige würden Tatspuren im Regelfall allerdings nicht gesichert und stünden damit bei einem zukünftigen Strafverfahren nicht als Beweismittel zur Verfügung. Allein die mündliche Aussage der Opferzeugin sei manchmal mangels weiterer Beweismittel für eine Anklage oft nicht ausreichend. Viele Verfahren würden daher aus Mangel an Beweisen eingestellt. „Um dies zu verhindern, ist es wichtig, die Spuren der Gewalthandlung zeitnah sicherzustellen und gerichtsfest zu dokumentieren. Die Möglichkeit der anonymen Spurensicherung bietet Betroffenen von sexualisierter Gewalt die Chance, sich ohne Druck für und gegen eine Strafanzeige zu entscheiden“, so der Mediziner weiter.

Spuren von Sexualverbrechen werden zehn Jahre aufbewahrt

Durch die Kooperation der Frauenklinik mit der Rechtsmedizin in Düsseldorf werden die Spuren für einen möglichen Gerichtsprozess 10 Jahre aufbewahrt. Die Tat kann so auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zur Strafanzeige gebracht werden. Aufgrund der Empfindlichkeit der Spurennachweise ist eine möglichst rasche Vorstellung in der Klinik sinnvoll. So sind die gefürchteten „K.o.-Tropfen“ maximal 8 Stunden nach Einnahme beziehungsweise Verabreichung nachweisbar.

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„Unser dringender Rat ist daher: Kommen Sie so rasch wie möglich und möglichst in Originalkleidung in die Klinik. Ein Termin benötigen Sie natürlich nicht.“ Das Verfahren wird im Klinikum bisher sehr selten in Anspruch genommen. Etwa ein bis zwei Mal pro Jahr, schätzt Dr. Peters. Auch wenn Männer nur sehr selten Opfer sexueller Gewalt werden, können auch für sie jederzeit Spuren gesichert werden.