Brilon. Psychologin Dr. Elisabeth Weinrich aus Brilon über psychische Folgen für Kinder. Sie gibt Tipps für Lehrer und Eltern, um dem Nachwuchs zu helfen

Für die einen ist es ein Tag voller Freude. Stolz wird den Eltern das Blatt Papier gezeigt auf dem lauter „gut“ und „sehr gut“ zu lesen sind. Vielleicht geht mit den Leistungen sogar eine Belohnung einher. Für andere Kinder ist der Tag eine Qual. Der Weg nach Hause wird möglichst in die Länge gezogen, Tränen fließen. Daheim wird es nicht so rosig aussehen, wenn „ausreichend“, „mangelhaft“, oder gar ein „ungenügend“ auf dem Zeugnis stehen. Manche Schülerinnen und Schüler schaffen wegen der Leistungen die Versetzung in die nächste Klasse nicht. Psychologin Dr. Elisabeth Weinrich erklärt, was schlechte Noten und eine Versetzungsgefährdung mit Kindern machen und wie Eltern und Lehrer darauf reagieren sollten.

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Die Expertin erklärt, dass Kinder ganz unterschiedlich reagieren, weil sie eben auch unterschiedliche Persönlichkeiten sind. „Da gibt es die selbstbewussten Kinder, die stolz sind auf sich, die sich schon auf dem Nachhauseweg über das Lob der Eltern, das sie bekommen werden, freuen, die vielleicht auch die ein oder andere befriedigende oder ausreichende Note haben, die aber keine schwerwiegende Bedeutung für sie haben, weil sie sich auf das Positive konzentrieren können.“

Misserfolg in der Schule prägt Kinder

Tränen könne es auch bei den selbstbewussten Kindern geben, weil sie mit den eigenen Leistungsansprüchen oder -erwartungen nicht im Reinen sind. Der Fokus liegt auf dem vermeintlichen Misserfolg. „Und die, die gar nicht nach Hause wollen, haben Angst vor der Bestrafung der Eltern. Sie wollen sich der Situation am liebsten nicht stellen, um negative Konsequenzen zu vermeiden.“

Dr. Elisabeth Weinrich ist Psychologin in Brilon und spricht über die Folgen von schlechten Noten und gefährdeter Versetzung von Kindern in der Schule.  
Dr. Elisabeth Weinrich ist Psychologin in Brilon und spricht über die Folgen von schlechten Noten und gefährdeter Versetzung von Kindern in der Schule.   © wp | Ulrich Landgraf

Eltern sollten sich ihrer Meinung nach bewusst machen, dass es Gründe gibt, warum die Leistungsanforderungen nicht erfüllt wurden. Diese gelte es herauszufinden mit Hilfe eines Gesprächs. Geduld sei dann wichtig und nicht mit Enttäuschung oder Wut reagieren. Das sorge für Widerstand beim Kind mit Streit, Vorwürfen und Verletzungen, die für Eskalation sorgen. „Sie sollten dem Kind helfen, sein Selbstbild weiter positiv aufrechtzuerhalten. Die Eltern können dem Kind vermitteln, dass eine Zensur nichts über den Wert eines Menschen aussagt, dass in 20 Jahren keiner mehr danach fragt, wie viel Jahre man auf der Schule war.“

Gefährdete Versetzung löst Druck und Stress aus

Wenn die Leistungen in der Schule die künftige Versetzung gefährden, werden die Eltern mit den „blauen Briefen“ im Vorfeld darüber informiert. Aus einem vagen Gefühl wird dann ein reales Problem. Das hat auch psychische Folgen für die Schüler. Dr. Weinrich erklärt, dass Druck entsteht und Stress ausgelöst wird. Jedes Kind erlebe damit eine Kränkung, das Selbstbild des Kindes würde negativ beeinflusst. Zweifel entstehen und die Einschätzung, man selbst sei nicht gut genug. Das sei gefährlich, denn der Nachwuchs denke nicht, dass eine Aufgabe nicht geschafft wurde, sondern wertet direkt sich selbst in der eigenen Persönlichkeit als Ganzes ab. Das könne Auswirkungen auf das zukünftige Leben haben. „Diese Abwertungen lösen in der Situation des nicht-versetzt-werdens ein starkes Unbehagen aus, mit dem das Kind fertig werden muss. Angst, Scham, Wut und Ärger sind je nach Sensibilität und Empfindsamkeit des Kindes die Folge.“

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Deswegen sei es wichtig, Strategien zu entwickeln, um aus diesem Unbehagen herauszukommen. Kurzzeitige Entlastung kann entstehen, wenn die Schuld bei anderen gesehen wird. Lehrer, Schule, Fächer etc. Langfristig bringe das nichts. Die Motivation fehle, um zu lernen, weitere Lücken entstünden dann, das Kind wird in den Glaubenssätzen bestätigt. Auch das Gegenteil kann eintreffen. Übereifrig wird oft und viel gelernt. Die Folge: Stress. Das stört laut Dr. Weinrich den normalen Lernprozess, weil Stress sich auf Konzentration, Gedächtnis und die Verknüpfung von Informationen auswirkt. Fortschritte würden auch so ausbleiben ebenso wie Erfolgserlebnisse.

Das Sozialgefüge der Schüler zerbricht beim Sitzenbleiben

Klappte die Versetzung nicht, ändert sich für das Kind einiges. Plötzlich ist es Teil einer neuen Klasse, die Freunde sind auf dem Schulhof zu sehen, aber nicht mehr stundenlang während des Unterrichts. Die gewohnte Gruppe ist nicht mehr da, Freundschaften zerbrechen vermutlich. Je nachdem wie das Kind in der Gruppe integriert war, wiegt das Problem laut der Psychologin schwerer oder leichter. Der neue Schüler könnte zum Außenseiter werden.

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Auch das könnte Auswirkungen auf das Selbstbild haben. Je nach Persönlichkeit würde das Problem unterschiedlich gelöst: „Die einen werden ganz still, möchten im Mauseloch verschwinden, gehen gar keine Verbindung mehr zu anderen ein, um sich vor weiteren Enttäuschungen zu schützen.“ Alternativ gibt es die Rolle der Klassenclowns, die Aufmerksamkeit von den Mitschülern bekommen und sicherstellen, dass sie dazugehören. Eine weitere Möglichkeit sei Auffallen durch aggressives, einschüchterndes Verhalten, um zu zeigen, der das Sagen hat.

Eltern und Lehrer müssen Schülern helfen

Das Kind sollte bei der Integration in die neue Klasse auf Unterstützung bauen können. Dr. Weinrich erklärt, dass es wichtig ist, die starken Anteile des Schülers zu sehen und zu fördern. Was kann er anderen Mitschülern anbieten, wie kann er helfen, nützliche Aufgaben übernehmen? Das stärke das Selbstbewusstsein, fördere die Motivation und Erfolgserlebnisse stellen sich ein.

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„Und im übrigen könnte man auch mal über unsere ‘Fehlerkultur’ nachdenken, merkt die Psychologin an und zieht einen Vergleich zum Improvisationstheater, wo bei Fehlern und Blockaden mit Jubel und Applaus reagiert würde. So soll die Laune am Üben nicht verloren gehen. „Man stelle sich das einmal vor, wenn in unseren Schulen die Fehler nicht rot markiert in den Heften ins Auge springen, sondern der Lehrer daneben schreibt: Großartig, jetzt fängt dein Lernen an, ich bin neugierig, was du alles entdecken wirst!“