Brilon. 18 junge Menschen mit Behinderung und ihre Begleiter finden eine neue Heimat Dank der Caritas Brilon. Tagelang harrten sie in einem Bunker aus.

Sonntagabend, 18.45 Uhr, Parkplatz Firma Egger in Brilon: Nach zehnstündiger Fahrt steigen insgesamt 110 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer geistigen Behinderung und ihre Begleitpersonen aus zwei Reisebussen aus. Sie mussten flüchten: aus ihrer Heimatstadt Kiew ins sichere Nachbarland Polen, weiter nach Deutschland, auch ins Sauerland. In Brilonteilt sich die große Gruppe Flüchtlinge auf. Kleinere Gruppen fahren weiter in Einrichtungen nach Essen, Hannover, Metten, Dortmund und Warburg. 18 Menschen mit Behinderungen und ihre fünf Begleiterinnen bleiben am Sonntagabend in Brilon. Für sie hat die Caritas Brilon binnen zwei Wochen in einer Ad-hoc-Aktion im Altbau des Seniorenzentrum St. Engelbert eine Wohngruppe eingerichtet.

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St. Michael heißt die neue Gruppe. St. Michael ist der Stadtpatron von Kiew. In Kiew beginnt die Geschichte. Die 86 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung, ihre 16 Betreuenden sowie acht Familienangehörige kommen aus einem Waisenhaus in Kyiv, wie Kiew auf Ukrainischheißt. Als ihre Heimatstadt bombardiert wird, leben sie für fünf Tage und Nächte in einem Bunker.

Caritas Brilon folgt Hilferuf

Zeitgleich läuft die Koordination der Evakuierung zwischen dem ukrainischen Einrichtungsträger, der Caritas Polen, dem Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) mit Sitz in Berlin an. Die erste Station der Flucht wird ein Kurheim im polnischen Opole. Kurz nach Ankunft startet der CBP am 6. März einen Aufruf: Gesucht werden Träger und Einrichtungen der Behindertenhilfe in Deutschland, die die Flüchtlinge aufnehmen können. Dringend benötigt wird neben Wohnraum und Verpflegung auch die Expertise in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen. „Das zählt zu unseren Kernkompetenzen“, sagt Heinz-Georg Eirund, Vorstand Caritasverband Brilon. Die Caritas Brilon folgt dem Hilferuf und meldet nach Sichtung des leerstehenden Altbaus des Seniorenzentrums St. Engelbert am 8. März 24 Plätze für Flüchtlinge mit Behinderungen.

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Es muss schnell gehen; zugleich professionell. Die Steuerungsgruppe „Ukraine-Flüchtlinge“ wird ebenfalls am 8. März bei der Caritas Brilon einberufen. Der Hausmeisterservice beginnt sofort mit dem Werk: Binnen einer guten Woche richtet Uwe Gödde, Leitung Hausmeisterservice, eine Raumfolge im St. Engelbert-Altbau her. Die Etage wird seit dem Engelbert-Neubau in 2014 nicht mehr genutzt. Heizung und Wasser werden wieder funktionsfähig gemacht, Mobiliar nebst Ausstattung wie Bettwäsche und Geschirr organisiert. Die IT-Abteilung schaltet die Notruf-Anlage wieder scharf und sorgt auch für WLAN, damit der Kontakt zu Familie und Freunden im Kriegsgebiet möglichst hält.

Betreuung und Begleitung der Flüchtlinge aus der Ukraine geplant

Ein weiteres Team aus dem Seniorenzentrum St. Engelbert organisiert die Logistik in Sachen Verpflegung und Wäsche. Neben den Themen Wohnen und Versorgung wird parallel die Betreuung und Begleitung der Gruppe geplant. „Von der Größenordnung ist es vergleichbar mit einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderungen“, sagt Daniel Schlüter, Leitung besondere Wohnformen bei der Caritas Brilon.

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Die 18 jungen Frauen mit Behinderungen im Alter von 17 bis 35 Jahren, die jetzt in Brilon leben, werden von fünf Personen begleitet. Das sind zwei Betreuerinnen mit ihren Kindern, die gemeinsam mit ihrer Gruppe geflüchtet sind. „Mit den Betreuerinnen sprechen wir ab, welche Bedarfe an Betreuungsangeboten und Hilfen notwendig sind“, erklärt Daniel Schlüter. Die Menschen mit Behinderungen brauchen eine professionelle Begleitung und auch Orte, an denen sie als Gruppe zusammenbleiben können, weil sie in der Ukraine bereits jahrelang zusammengelebt haben. „Ähnlich wie in einem Familienverbund, in Art von SOS-Kinderdörfern“, erklärt Vorstand Eirund.

Ukraine-Hilfe

Der Caritasverband Brilon hat ein Spendenkonto für die Ukraine-Hilfe eingerichtet. Die Spenden werden im Verbandsgebiet, den Dekanaten Hochsauerland-Ost und Waldeck eingesetzt, um den Kriegsflüchtlingen zu helfen.

Von Sachspenden bittet die Caritas Brilon abzusehen. Spendenkonto: Volksbank DE 88 4726 1603 000 3903 604; Sparkasse HSK DE 54 4165 1770 000 0004 929 – Verwendungszweck: Ukrainehilfe vor Ort des CV Brilon.

Aktuell haben die Geflüchteten Anspruch auf Mittel aus dem Asylbewerberleistungsgesetz – so wie alle Flüchtlinge aus der Ukraine. „Das Geld reicht natürlich nicht aus, um den Flüchtlingen mit Behinderungen ein professionelles Setting mit Betreuung, Pflege und auch Teilhabe am Leben zu ermöglichen“, betont Eirund. Strukturell müssen auch Kostenträger der Eingliederungshilfe erkennen, dass aufgrund des Krieges in der Ukraine auch hier bei uns in Deutschland die Wohn- und Leistungsangebote in der Behindertenhilfe ausgeweitet und finanziert werden müssen.“

Neuer Alltag für Ankömmlinge

Zurück zu den Neuankömmlingen in der Wohngruppe St. Michael: Dort wurden nach Ankunft und einem Abendessen bei der Firma Egger die Zimmer samt Betten zugeteilt. Schlafen, zur Ruhe kommen, Kraft schöpfen, neuen Halt und auch Hoffnung finden. „Wir sind da, wenn die Menschen uns brauchen“, sagt Eva Stratmann, Leitung der Wohnhäuser des Caritasverbandes Brilon, eigentlich im Ruhestand. Sie ist kurz entschlossen zurückgekehrt, um die Leitung der Wohngruppe St. Michael zu übernehmen. Gemeinsam mit Ludmilla N., die als Leiterin mit ihrer Gruppe geflüchtet ist, bereitet sie den Weg für eine Art neuen Alltag in Deutschland, in Brilon, in St. Michael. Nach dem Ausruhen und Kraft schöpfen wurden erste Spaziergänge in die Stadt gemacht. „Wir sind sehr erschöpft. Aber wir sind auch glücklich jetzt einen festen Ort für uns gefunden zu haben“, sagt Ludmilla N.