Hochsauerlandkreis. Eine Jugendamtsmitarbeiterin ist wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Wird das Urteil bestätigt, könnte es bundesweit Auswirkungen haben.

Der HSK geht davon aus, dass der Fall der Jugendamtsmitarbeiterin, die am Dienstag durch das Landgericht Arnsberg wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verurteilt worden ist, deutschlandweite Signalwirkung haben könnte, wenn sich das Urteil auch in der Revision bestätigen sollte.

Rechtlicher Klärungsbedarf

Das Landgericht sieht eine Mitschuld der 31-jährigen Sozialarbeiterin am Hungertod eines zweijährigen Jungen in Winterberg, dessen Familie sie betreut hatte. In einer Stellungnahme des HSK heißt es dazu: „Sollte das Urteil des Landesgerichts bei der angekündigten Revision beim Oberlandesgericht Hamm bestätigt werden, hätte es zur Folge, dass sich die Arbeit der Jugendhilfe deutschlandweit verändert. Der Hochsauerlandkreis wertet dieses Urteil deshalb als Präzedenzfall für die künftige Arbeit der Jugendhilfe in ganz Deutschland.“

Außerdem verweist der HSK darauf, dass die Arbeit der Jugendhilfe im Sozialgesetzbuch VIII geregelt sei und sie finde im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten helfend und unterstützend statt, so lange dies vertretbar sei. Weiter erklärt der Kreis: „Die neue Situation würde eine vertrauensvolle Zusammenarbeit deutlich erschweren und einen hohen bürokratischen Aufwand auslösen.“

Liegt eine Pflichtverletzung vor?

In diese Richtung hatten auch die beiden Rechtsanwälte der 31-Jährigen argumentiert. Ein Jugendamt sei keine Ermittlungsbehörde und ihre Mandantin habe gar keine Handhabe gehabt, da es durch die zuständige Clearing-Stelle des Jugendamtes auch keine Einschätzung auf Kindeswohlgefährdung gegeben habe. Gericht und Staatsanwaltschaft sahen dagegen durchaus Pflichtverletzungen der Angeklagten.

Rechtlich geht es dabei vor allem um die Frage, ob die Jugendamtsmitarbeiterin eine sogenannte „Garantenstellung“ hatte. Das werde in der Urteilsbegründung „grundsätzlich bejaht“, hatte dazu die stellvertretende Gerichtssprecherin Leonie Maaß erklärt. Das bedeute, dass jemand verpflichtet sei zu handeln.

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Urteil: 3500 Euro Geldstrafe

Die Jugendamtsmitarbeitern ist durch das Landgericht nicht nur zu einer Geldstrafe in Höhe von 3500 Euro verurteilt worden, sondern sie muss auch 50 Prozent der Prozesskosten tragen. Nicht aufkommen muss die 31-jährige Sozialarbeiterin allerdings für die Kosten der Nebenklage. Zu den Verfahrenskosten gehören auch die Kosten der erstinstanzlichen Verhandlung vor dem Medebacher Amtsgericht, so Leonie Maaß, Sprecherin des Landgerichts Arnsberg, In die Kosten fließen außerdem die eigenen Anwaltskosten und beispielsweise auch Kosten für Zeugenentschädigung (Fahrtkosten/Ausfallkosten). Auf Anfrage der WP teilte Kreissprecher Martin Reuther allerdings mit, dass die Mitarbeiterin über eine Rechtsschutzversicherung des HSK in dem Verfahren begleitet werde.

Stellungnahmen

Mit dem Urteil im Berufungsverfahren habe das Landgericht trotz des milde anmutenden Strafmaßes ein wichtiges Zeichen gesetzt, betonte die Deutsche Kinderhilfe. Es dokumentiere, dass die Mitarbeiterin falsch gehandelt und Schuld auf sich geladen habe, sagte der Vorsitzende Rainer Becker am Mittwoch auf Anfrage. Angesichts der strukturellen Defizite in den Jugendämtern - zu wenig Personal, geringes Gehalt und hohe Verantwortung schon für junge Mitarbeiter - habe er Verständnis dafür, dass „nur“ eine Geldstrafe verhängt worden sei.

Karl Materla von der Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD) sagte der dpa: „Der Kollegin ist fachlich kein Vorwurf zu machen.“ Die Mutter habe den Jungen stets so präsentiert, dass es keinen Grund zu der Annahme gegeben habe, er könne unterernährt sein. Die Kollegin habe die Familie „zweimal oder dreimal“ aufgesucht. Der ASD-Vorsitzende bemängelte: Es gebe keine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, ab wann genau Mitarbeiter eingreifen müssten, etwa die Polizei oder das Familiengericht einschalten sollten.

HSK steht hinter Mitarbeiterin

Die Rechtsanwälte der Jugendamtsmitarbeiterin haben direkt nach der Urteilsverkündigung erklärt, dass sie in Revision gehen werden. Leonie Maaß erklärte, dass in einem Revisionsverfahren überprüft werde, ob in dem Berufungsverfahren Rechtsfehler vorgelegen haben. Eine Beweisaufnahme finde nicht erneut statt. Daher sei im Fall einer Revision auch nicht mit einer mündlichen Verhandlung zu rechnen.

Der Hochsauerlandkreis teilte auf Anfrage mit, dass er nun zunächst die Urteilsgründe abwarten möchte, die bislang noch nicht schriftlich vorliegen. Der Kreis werde seine Mitarbeiterin bei der von der Verteidigung angekündigten Revision unterstützen und stehe nach wie vor hinter ihr.