Winterberg/Arnsberg. Eine zehnfache Mutter, die eines ihrer Kinder verhungern ließ, soll für dreieinhalb Jahre in Haft. Bundesgerichtshof hat die Revision verworfen.

Dreieinhalb Jahre soll sie in Haft. Im Sommer 2018 hat das Schwurgericht in Arnsberg die zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg nach einem Prozess-Marathon von 22 Tagen wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall und Körperverletzung durch Unterlassen verurteilt. Zwischen Februar 2013 und Februar 2014 soll die heute 41-jährige Frau zwei ihrer Kinder nicht ausreichend mit Nahrung versorgt haben. Der zweijährige Junge starb, seine kleinere Schwester konnte noch gerettet werden. Gegen das Urteil hat die Frau Revision eingelegt. Der Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) liegt jetzt vor: Die Revision wurde als unbegründet verworfen.


„Falls nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie zum Haftantritt geladen werden“

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„Falls nicht noch ein Wunder geschieht, wird meine Mandantin in den nächsten Monaten zum Haftantritt geladen werden“, meint der Verteidiger der zehnfachen Mutter, Rechtsanwalt Stephan Lucas aus München in einer ersten Stellungnahme. Die Revisions-Ablehnung sage lediglich, dass das Urteil des Landgerichts keine rechtlichen Fehler aufweist. „Nach meiner Überzeugung war es trotzdem falsch, meine Mandantin nicht ausschließlich wegen fahrlässiger Tötung, sondern - mit dem viel höheren Strafrahmen - wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch Unterlassen mit fahrlässiger Tötung zu verurteilen. Da das Gericht auf meinen Antrag hin bei beiden Kindern von minderschweren Fällen ausgegangen war, hätte es problemlos die von mir beantragte zweijährige Bewährungsstrafe verhängen können.“ Beim BGH ein niedrigeres Strafmaß einzufordern, sei jedoch mit Blick auf die sogenannte richterliche Unabhängigkeit immer chancenlos.

Strafanzeigen gegen den Ex gestellt

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Noch vor dem Beschluss des BGH hatte sich in dem Fall einiges ereignet. Über ihren Anwalt Stephan Lucas aus München hatte die zehnfache Mutter versucht, zwei Verfahren gegen ihren Ex-Lebensgefährten einzuleiten: Falschaussage und Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen: Bereits im Prozess-Verlauf hatte der Verteidiger dem Ex und Vater von neun Kindern immer wieder eine Mitschuld am Tod des Jungen vorgeworfen. „Ich kann nach wie vor nicht verstehen, warum alle mit dem Finger auf meine Mandantin zeigen, der Mann aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden soll“, sagt Anwalt Lucas auch heute noch. In dem jetzt angestrebten Verfahren gegen den Ex hatte sich Lucas u.a. auf die Aussage des Mannes (wenige Tage vor dem Tod des Jungen) berufen, das Kind sei so dünn, dass er befürchtet habe, es könne zerbrechen.

Lucas: „Auch Vater hätte reagieren müssen“

Lucas: „Wenn er den schlechten Zustand seines Sohnes so erlebt hat und im Nachhinein beschreiben kann, dann hätte auch er reagieren müssen.“ Die Entschuldigung, er habe geglaubt, seine Frau werde es schon richten und sich kümmern, könne er nicht gelten lassen. Der Verteidiger weiter: „Die Frage, warum der Vater der Kinder nicht zumindest ebenfalls wegen Körperverletzung durch Unterlassen angeklagt wurde, drängt sich nach dem BGH-Beschluss umso mehr auf.“

Die Staatsanwaltschaft in Arnsberg hat hingegen beide Verfahren eingestellt. Das Verfahren wegen des Vorwurfs der Falschaussage wurde nach Paragraf 154 fallengelassen, weil ohnehin noch ein Prozess gegen den Mann vor dem Briloner Schöffengericht aussteht. Dabei geht es um den Vorwurf der Vergewaltigung. Dieses Verfahren und das mögliche Strafmaß rücken eine mutmaßliche Falschaussage in den Hintergrund. Dass sich die Staatsanwaltschaft aber auch den zweiten Vorwurf nicht einlassen möchte, grenzt für Verteidiger Lucas an „tendenziösen Schutz“.

Mandantin will Beschwerde einlegen

Urteil mit Signalwirkung

Das zu erwartende Urteil im Berufungsverfahren gegen die Jugendamtsmitarbeiterin wird Signalwirkung haben. Sie wurde wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Ihr Verteidiger und der Staatsanwalt hatten Berufung eingelegt – dem einen war das Strafmaß zu hoch, dem anderen zu niedrig.

Nach dem Prozess in Arnsberg hatte Verteidiger Stephan Lucas bzw. seine Mandantin übrigens ein Verfahren gegen den Anwalt des Nebenklägers beantragt. Er hatte ihm Interessenskollision bzw. Parteiverrat vorgeworfen. Das Verfahren wurde gegen Auflage eingestellt. Der Anwalt hatte im Schwurgerichts-Prozess den Ex der Frau als Nebenkläger vertreten, aber auch lange vor dem Prozess kurz das Mandat der Frau inne gehabt.

Die Einstellung des zweiten Verfahrens will die zehnfache Mutter nicht auf sich beruhen lassen. Über ihren Anwalt will sie dagegen Beschwerde einlegen; sollte auch das nicht helfen, so Lucas, werde man schlussendlich ein „Klage-Erzwingungsverfahren“ erwägen.

Zu den Ablehnungsgründen verweist Staatsanwalt Neulken auf Anfrage unserer Zeitung auf das Ergebnis der Hauptverhandlung: Für ihn sei klar, dass die Mutter das Kind habe verhungern lassen. Ihr damaliger Lebensgefährte habe die Frau auf den Gesundheitszustand des Jungen hingewiesen und sie habe einen zeitnahen Arztbesuch in Aussicht gestellt. Darauf habe er sich verlassen. Darüber hinaus hat der Staatsanwalt aber von sich aus ein Verfahren wegen des Missbrauchs von Schutzbefohlen eingeleitet. Ein Kind hatte sehr deutlich massive Übergriffe durch den Vater geschildert.

Berufungsverfahren gegen Jugendamtsmitarbeiterin

Lucas: „Unfassbar wie von aller Welt allein gelassen meine Mandantin war. Sie glaubte, sie schaffe das alles auch alleine! Warum hat der Vater, warum haben die Ämter so tatenlos zugesehen?“, so Lucas. Damit verweist er indirekt auf das noch ausstehende Berufungsverfahren gegen eine Jugendamtsmitarbeiterin, der vorgeworfen wird, ihren Pflichten nicht ausreichend nachgekommen zu sein.

„Es bliebe nun einzig die Möglichkeit, bei der Staatsanwaltschaft ein Gnadengesuch zu stellen und / oder beim Landtag eine Petition einzureichen. Im Falle des Erfolgs könnte so die Inhaftierung abgewendet werden. Beide Möglichkeiten werde ich in den nächsten Tagen prüfen und mit meiner Mandantin besprechen.“

Die Tatvorwürfe in dem Prozess beziehen sich auf Anfang 2014. Seit fünf Jahren hat die zehnfache Mutter regelmäßigen Besuchskontakt zu den Kinder, die ihr weggenommen wurden. Sie leben in Kinderheimen und bei den Pflegeeltern. Zwei Kinder wohnen auf deren ausdrücklichen Wunsch mittlerweile wieder bei ihr. Lucas: „Die drohende Inhaftierung ist für diese eine Katastrophe. Es geht bei alledem ausschließlich um deren Wohl, nicht etwa um das der Mutter.“

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