Hagen. Wie fühlt es sich an, eine Handball-EM zu gewinnen? Der Hagener Profi Niclas Pieczkowski (34) weiß es ganz genau. Und er hat es uns verraten:

Ganz Handball-Deutschland drückt derzeit der DHB-Sieben die Daumen. Und nach dem dritten Hauptrundenspieltag der Handball-EM sieht es für die deutsche Mannschaft ganz gut aus. Aber wie blickt jemand auf das ganze Geschehen, der das alles schon mal erlebt hat? Der Hagener Niclas Pieczkowski (34) ist 41-maliger Nationalspieler und war beim überraschenden EM-Erfolg von 2016 dabei. Im Interview mit unserer Zeitung schildert er, wie er die EM in Polen damals erlebt hat.

Er berichtet von Gänsehaut-Momenten nach dem Titelgewinn, von der anschließenden Siegesfeier - und wie er als EM-Gewinner plötzlich wieder im Abstiegskampf der 1. Handball-Bundesliga gefragt war. Außerdem ordnet er aber auch die Titelchancen der aktuellen DHB-Sieben ein:

Was geht einem durch den Kopf, wenn die Nationalhymne gespielt wird?

Niclas Pieczkowski: Jeder hat wahrscheinlich andere Gedanken, aber ich habe an meine Familie und Freunde gedacht. Dann so ein bisschen daran, wo man jetzt steht und was man alles erreicht hat. Es ist einfach eine außergewöhnliche Erfahrung und eigentlich war ich eher komplett im Tunnel und habe das alles wie im Rausch erlebt.

Niclas Pieczkowski hat die Handball Europameisterschaft 2016 gewonnen. Im Interview gibt er interessante Einblicke.
Niclas Pieczkowski hat die Handball Europameisterschaft 2016 gewonnen. Im Interview gibt er interessante Einblicke. © Hagen | Michael Kleinrensing

Spielt es eine Rolle, um welches EM-Spiel es sich handelt?

Nein, gar nicht. In dem Moment macht das keinen Unterschied. Dieser Ausnahmezustand war in jedem Spiel gleich. Es spielte keine Rolle, ob es sich um das Eröffnungsspiel handelte, oder um das Finale. Wenn die Hymne läuft, ist das schon sehr beeindruckend. Du willst im Prinzip alles aufsaugen und den Tag genießen, aber du kriegst überhaupt nicht alles mit. Rückblickend ist die EM 2016 für mich wie ein Film abgelaufen.

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Wie hat sich dann der Titelgewinn angefühlt?

Ich hatte im Turnierverlauf relativ wenig Spielzeit und wurde als Rückraumspieler auf Linksaußen eingesetzt. Als ich im Finale in den letzten fünf Minuten eingewechselt wurde, war das Spiel eigentlich schon durch. Insofern fühlte sich das vielleicht anders an, als für jemanden, der in jedem Spiel viel eingesetzt wurde. Aber mir ging es einfach darum, immer 100 Prozent zu geben und die Freude und Erleichterung war nach Abpfiff deshalb trotzdem sehr groß. Ich hatte Freunde und Familie dabei, wie viele andere Spieler auch. Als der Abpfiff kam, war das alles sehr emotional, sehr extrem, einfach wie im Film.

Ich kann mir vorstellen, dass das Handy nach Spielende nicht stillstand...

Ja, in den zwei Tage nach dem Turnier war das eine Fülle an Nachrichten, bei denen man sich gefragt hat, wann und wie soll ich das alles beantworten? Ich habe aber in der folgenden Woche einen ruhigen Moment gefunden, war alleine zu Hause und habe mir die Zeit genommen.

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Und die Party nach dem Titel ging wie lange?

Sehr lange (lacht). Ich habe nicht geschlafen und einfach durchgemacht. Erst habe ich meine Freunde und die Familie in einer Kneipe besucht - und dann habe ich mit der Mannschaft gefeiert. Als ich zurück ins Hotel kam, hätte ich aber ohnehin nicht mehr schlafen können.

Er macht jedes Team stärker: Für den Handball-Zweitligisten VfL Eintracht Hagen ist Niclas Pieczkowski (links) in vielerlei Hinsicht wertvoll: Der Rückraum-Routinier bringt viel Erfahrung mit, in der Abwehr ist er eine wichtige Stütze und Trainer Stefan Neff (links) kann auch neben dem Platz auf die Unterstützung des erfahrenen Handball-Profis bauen.
Er macht jedes Team stärker: Für den Handball-Zweitligisten VfL Eintracht Hagen ist Niclas Pieczkowski (links) in vielerlei Hinsicht wertvoll: Der Rückraum-Routinier bringt viel Erfahrung mit, in der Abwehr ist er eine wichtige Stütze und Trainer Stefan Neff (links) kann auch neben dem Platz auf die Unterstützung des erfahrenen Handball-Profis bauen. © Hagen | Michael Kleinrensing

Wie ging es nach der EM weiter?

Ich weiß noch, dass das Finale am Sonntag war und Montag waren wir dann wieder in Berlin, wo dann noch mal gefeiert wurde. Und am Dienstag ging es schon wieder zurück nach Lübbecke, weil meine Frau, die mich zur EM begleitet hatte, wieder arbeiten und ich am Mittwoch wieder ins Training einsteigen musste, also quasi drei Tage nach dem Titelgewinn - da war ich dann wieder im Abstiegskampf angekommen.

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Wie hat sich das angefühlt?

Ich habe den Titelgewinn zu diesem Zeitpunkt noch nicht verarbeitet. Da hatte ich einfach keine Zeit für. Du checkst das in dem Moment einfach nicht. Rückblickend betrachtet hätte ich gerne darum gebeten, einige Tage mehr Zeit zu bekommen, weil es einfach sehr viel zu verarbeiten gab.

Spannen wir den Bogen zur aktuellen EM: Haben Sie noch Kontakt zu Andreas Wolff und Co.?

Aus dem 2016er-Kader sind neben Wolff auch Kai Häfner, Rune Dahmke und Jannik Kohlbacher heute noch dabei. Ehrlich gesagt, haben wir keinen Kontakt mehr. Das verläuft sich einfach sehr schnell, weil jeder wieder für sich unterwegs ist. Dass richtige Freundschaften entstehen, würde ich sagen, ist eher selten der Fall. Du spielst zusammen, hast ein gemeinsames Hobby und es gibt auch Konkurrenz, weil jeder spielen will. Ich kann für mich sagen, dass ich mit allen gut klarkomme und habe immer eine gute Beziehung gepflegt, aber dass noch Kontakt darüber hinaus geblieben wäre, das war nicht der Fall.

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Ist dem aktuellen DHB-Team der Titel zuzutrauen?

Die direkten Titelfavoriten sind jedenfalls eher andere Nationen wie Frankreich, Dänemark und Spanien. Dahinter ist die Leistungsdichte aber auch sehr groß. Deutschland, Kroatien und andere skandinavische Länder wie Norwegen und weitere Teams sind sehr stark. Jetzt ist nach der Vorrunde Spanien raus und vielleicht auch Norwegen und andere Favoriten nach der Hauptrunde, aber auch dahinter gibt es Länder, die man nicht unterschätzen sollte. Aus der Schweiz spielen viele in der deutschen Bundesliga und auch Österreich und Ungarn sind nicht schlecht drauf. Es wird auf jeden Fall sehr schwer.

Wie lautet Ihre Prognose?

Man darf in der Hauptrunde auf jeden Fall so gut wie keine Fehler machen, sonst ist man schnell raus. Das letzte Vorrundenspiel gegen Frankreich war ja im Grunde schon das erste Hauptrundenspiel. Sagen wir mal so: Die Ausgangslage ist dadurch nicht besser geworden. Aber wenn sie das Halbfinale erreichen sollten, ist alles drin. In dieser Gruppe kann die deutsche Sieben jeden schlagen.