München. Lamine Yamal bringt Spanien gegen Frankreich auf den Weg Richtung EM-Finale. Das Team beweist, dass es dem Tiki-Taka entwachsen ist.
Nach Spielschluss konnte Lamine Yamal endlich seine Freude herausschreien. Schon seit vielen Minuten hatte er den Schlusspfiff ersehnt, berichtete er später, denn plötzlich habe es ihn während der Partie durchfahren: „Wow, wir können ins EM-Finale einziehen“. Dann dachte er daran zurück, wie er frühere Länderturniere mit seinen Kumpels in einem Shopping-Center der katalanischen Stadt Mataró verfolgte, und gleichzeitig musste er noch den knappen 2:1-Vorsprung gegen Frankreich mitverteidigen helfen. Viel auf einmal, aber junge Leute sind ja geübt im Multitasking.
Lamine Yamal, jüngster EM-Finalteilnehmer aller Zeiten
16 Jahre ist Lamine Yamal alt, bis zum Samstag noch, dann wird er 17, und am Tag danach wird er als jüngster Spieler in der Geschichte internationaler Turniere ein Finale bestreiten. So wie er bei diesem Turnier bereits zum jüngsten Teilnehmer avancierte, zum jüngsten Vorlagengeber – drei Assists hat er insgesamt – und gegen Frankreich auch zum jüngsten Torschützen. Seinen kunstvollen Fernschuss an den linken Innenpfosten als epochal zu bezeichnen, greift dabei nicht zu kurz. Es war nicht nur das wohl schönste Tor bisher bei dieser EM, sondern angesichts des bedrohlichen 0:1-Rückstands der Spanier in diesem Moment auch das wichtigste.
„Genialität eines Genies“
In der Münchner Arena staunte das Publikum mit Ah und Ohs bei jeder Zeitlupenwiederholung über die „Genialität eines Genies“ (Spaniens Nationaltrainer Luis de la Fuente), in der englischen BBC verabschiedete Gary Lineker seine Zuschauer zu Yamals Ehren auf Spanisch, und in den Katakomben des Stadions gab sich der Teenager mit Zahnspange nach Mitternacht selbst noch die Ehre. Wie er sich fühle, als neue Ikone? „Ich versuche, mich auf den Platz zu konzentrieren“.
Erbitterte Pfiffe von deutschen Fans gegen Marc Cucurella
Dort wird Spanien am Sonntag vor einer verliebten Weltöffentlichkeit um seine vorläufige Krönung spielen. Zwar musste Linksverteidiger Marc Cucurella in München bei jedem Ballkontakt die Pfiffe von einheimischen Besuchern erdulden, die ihm in grandioser Unkenntnis von Sport und Sportlichkeit ernsthaft anlasten, dass der Schiedsrichter sein Handspiel im Viertelfinale beider Teams nicht mit einem Elfmeter ahndete. „Ich bin mir sicher, dass diese Leute nicht die deutsche Gesellschaft repräsentieren“, konnte de la Fuente das Thema jedoch schnell abmoderieren – zu sehr durften ihn umgekehrt die Elogen über das Spiel seiner Mannschaft erfreuen.
Wiederholt wurde er gefragt, ob ein Titel Spaniens bei einer EM der Spielverderber wie Frankreich oder England nicht ein Sieg für den Fußball an sich wäre. Der Trainer, der eingangs des Turniers noch mit kessen Superlativen verblüffte („Ich habe die beste Mannschaft und die besten Spieler der Welt“), war klug genug, nicht triumphalistisch zu werden. Er beließ es beim Lob an seine eigenen Spieler, die „individuell fanstatisch“ seien und sich dennoch einem „gemeinschaftlichen Werk“ unterordneten.
Neue Mittel für das einstige Tiki-Taka-Land Spanien
De la Fuente selbst scheint ein Widerspruch in sich – er ist bereits 63 Jahre alt, hatte aber vor der Nationalelf nie ein großes Team trainiert, sondern jahrelang im Juniorenbereich des Verbandes gearbeitet. Umgang mit den Medien musste er daher noch lernen, doch seines Vorzugs war er sich immer bewusst. „Ich kenne alle Fußballer hier seit Jahren, und deshalb weiß ich, was sie mir geben können.“
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De la Fuente begründet mit diesen Kenntnissen die verschiedenen Register, die er dem einstigen Tiki-Taka-Land verpasst hat. Spiele nicht nur durch Ballbesitz und Kombinationsfußball gewinnen zu können, sondern auch mal durch so brillante Einzelaktionen wie von Yamal oder beim Solo von Dani Olmo auf engem Raum zum 2:1 – das ist die große Errungenschaft seiner anderthalbjährigen Amtszeit.
Frankreich wieder einmal bieder
Von den Franzosen ließ man sich die Führung nicht mehr nehmen, zu bieder agierte letztlich die Elf von Deschamps, der nach zwölf meist erfolgreichen Amtsjahren nun zunehmend in die Kritik gerät. Nach einer EM mit nur einem eigenen Tor aus dem Spiel heraus – dem 1:0 gegen Spanien – fragt sich das Land, warum „Les Bleus“ nicht auch mal so furios spielen können wie „La Roja“. Deschamps lehnte nach dem Abpfiff jedoch schon den Gedanken an einen möglichen Rücktritt unter Hinweis auf seinen Vertrag bis 2026 ab. „Ein bisschen Respekt vor Leuten in Verantwortung“, forderte er.
Die Spanier können derweil bisher nicht mal von den seltsamsten Zwischenfällen gestoppt werden. In den Siegesfeiern nach Schlusspfiff wurde Kapitän Álvaro Morata von einem Steward verletzt, der sich auf der Jagd nach einem Flitzer befand. „Gelbe Karte!“ forderte Morata tags darauf. Sein Finaleinsatz soll nicht gefährdet sein.
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