Berlin. Zur Fußball-EM ist wieder Expertise gefragt. Ob unter Freunden oder im Job – Tippspiele boomen. Wie Sie am meisten Punkte sammeln.

  • Die Fußball-EM in Deutschland hat begonnen
  • Kicktipp und Co. – viele Menschen machen bei privaten Tippspielen mit
  • Ein Statistik-Experte sagt, welche Strategien zum Erfolg führen

Ab Freitag (14. Juni) rollt der Ball bei der Fußball-EM im eigenen Land. Das DFB-Team trifft als Gastgeber zum Auftakt in München auf Schottland. Pünktlich zum EM-Start wollen auch Millionen Fans wieder Instinkt und Fachwissen unter Beweis stellen: bei Fußball-Tippspielen!

Ob Freundeskreis, Kollegenrunde oder online – jeder hat den Ehrgeiz, möglichst genau Ergebnisse, Platzierungen, Torschützen und den Europameister vorherzusagen – und nach dem Finale am 14. Juli vorne zu liegen. Alles pures Glück? Nein, sagt Statistik-Experte Bernd Giezek von der FOM Hochschule Frankfurt. Mithilfe von nackten Zahlen und der richtigen Strategie kann jeder seine Chancen auf den Tippspiel-Sieg erhöhen – selbst ohne viel Fußballwissen.

Herr Giezek, am Freitag geht die Heim-EM los. An wie vielen Tippspielen nehmen Sie denn vor diesem Turnier teil?

Bernd Giezek: Am EM-Tippspiel unserer Uni nehme ich auf alle Fälle teil. Ansonsten wird sich auch noch eine private Runde finden, wo ich mittippen werde.

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Wie fällt Ihre persönliche Bilanz als Mathe-Experte bei solchen Tippspielen aus?

Giezek: Meine Bilanz hat sich mittlerweile deutlich verbessert. Das erste Mal habe ich zur EM 1996 mit einem richtigen Tippspiel begonnen. Das war aber nicht sonderlich erfolgreich, ich landete im Mittelfeld. Damals habe ich mich gefragt: Wie kann ich meine Chancen verbessern? Bei der EM 2000 habe ich dann angefangen, mir tatsächlich mal die Daten aus statistischer Sicht anzuschauen. Dabei habe ich einige Auffälligkeiten gefunden. Die nutze ich jetzt bei meinen Tipps – und tatsächlich funktioniert das.

Prof. Dr. Bernd Giezek ist leidenschaftlicher Fußballtipper und Statistik-Experte – als Hochschullehrer für „quantitative Methoden“ an der FOM Hochschule in Frankfurt.
Prof. Dr. Bernd Giezek ist leidenschaftlicher Fußballtipper und Statistik-Experte – als Hochschullehrer für „quantitative Methoden“ an der FOM Hochschule in Frankfurt. © Stephanie Giezek | Stephanie Giezek

Gefühlt gewinnen bei Tipprunden am Ende meistens Glückspilze, die mit Fußball überhaupt nichts am Hut haben und eher nach Sympathie oder Trikotfarbe tippen. Ist da etwas dran?

Giezek: Ja. Ich hatte mal eine Tipprunde in einer Steuerfachschule. Die erfolgreichste Tipperin war damals die dortige Sekretärin, die wenig Wissen über Fußball hatte und einfach intuitiv getippt hat. Diese intuitiven Tipper nehmen häufig Ergebnisse, die ihnen relativ nah sind. Erstaunlicherweise sind solche Ergebnisse – wie zum Beispiel ein 2:1 oder 2:0 – auch sehr häufige Resultate. Und sie tippen sehr häufig auf Deutschland. Damit kommen sie in solchen Tipprunden oft sehr weit.

Tippspiel-Experte: „Die langweiligen Ergebnisse machen einen erfolgreich“

Fußballfans glauben sich oft im Vorteil, wenn sie sich aus Interesse mit den Teams und Spielern gut auskennen oder sich vor dem Turnier einiges anlesen. Ein fataler Irrtum?

Giezek: Wenn ich jetzt sagen würde, das spielt gar keine Rolle, dann mache ich viele Berufsgruppen arbeitslos (lacht). Ich denke schon, dass die Form der Mannschaft, die Erfolgsquote eines Trainers und andere fußballerische Dinge sehr wichtig sind und natürlich auch einen Einfluss auf das Ergebnis der Mannschaft haben. Aber die meisten müssen, wie ich, ihre Tipps bis Freitag abgeben. Bis dahin wird es schwierig, sich noch schnell irgendwelches Wissen anzueignen. Deswegen würde ich dann eher auf statistische Tipps vertrauen.

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Kann ich meine Siegchancen bei Fußball-Tippspielen erhöhen, indem ich strategisch herangehe?

Giezek: Für mich als Statistiker sind Fußballspiele ein Zufallsexperiment. Darunter verstehen wir wiederholbare Versuche mit ungewissem Ausgang. Genau das liegt bei Fußballtipps vor. Ich habe vor 24 Jahren aus eigener Motivation angefangen mir anzuschauen, was sind denn typische Ergebnisse, die bei solchen Turnieren immer wieder vorkommen. Ich kann nur empfehlen, dass man in diesen Bereichen tippt.

Fußballfans vor dem Spiel Deutschland – Schottland im Stadion.
Fußballfans vor dem Spiel Deutschland – Schottland im Stadion. © DPA Images | Tom Weller

Werden wir konkret: Was sind denn Ergebnisse, mit denen ich meistens richtig liege?

Giezek: Der Klassiker bei einer Fußball-EM ist das 1:0. Dieses Ergebnis hatten wir achtmal beim letzten Turnier im Jahr 2021, sogar zehnmal 2016 und sechsmal 2012. Das heißt, in der Vorrunde ist 1:0 ein sehr gutes Ergebnis zum Tippen. Nur 2008 und 2004 waren ein 2:0 und 2:1 häufiger. Davon abweichen kann man mal, wenn ein vermeintlicher Favorit gegen einen vermeintlichen Underdog spielt. Dann kann man auch mal ein 2:0 oder 3:0 tippen, um das entsprechend zu gewichten. Aber es sind die langweiligen Ergebnisse, die einen in solchen Wettrunden erfolgreich machen.

Ist es statistisch ein Unterschied, ob wir für die Vorrunde tippen oder für die K.o.-Spiele ab Achtelfinale?

Giezek: Das ist tatsächlich so. In den Finalrunden haben Sie zumindest in der regulären Spielzeit oft ein 0:0. Einfach, weil beide Mannschaften sehr vorsichtig agieren und erstmal versuchen, kein Tor zu bekommen. Deswegen tauchen Unentschieden in Finalrunden häufiger auf. In der Vorrunde sind Siege noch wahrscheinlicher.

Welche Rolle für meine Tipps spielt so ein Heimvorteil, den das DFB-Team in diesem Jahr hat?

Giezek: Vieles hängt davon ab, wie das erste Deutschland-Spiel am Freitag gegen Schottland läuft. Wenn wir einen guten Start haben, kann es dieses Sommermärchen Teil zwei geben. Ich glaube, der Heimbonus ist groß. Wobei ich gelesen habe, dass die Schotten mit bis zu 200.000 Menschen in München anrücken würden. Wollen wir mal schauen, wie groß der Heimvorteil dann noch ist.

EM-Tippspiele: Auf dieses Überraschungsteam setzt Statistikprofi Giezek

Was halten Sie von Tipps auf Außenseiter? Empfehlenswert oder Finger weg davon?

Giezek: Ehrlich gesagt würde ich die Finger davon lassen. Das kann wirklich riskant sein. Natürlich kann es immer mal wieder sein, dass ein Außenseiter erfolgreich ist. Die Isländer waren zuletzt so ein Beispiel beim internationalen Turnier, wo dann plötzlich eine Euphoriewelle losschwappte. Natürlich kann man mal spaßeshalber auf einen Außenseiter tippen, der bei sommerlichen Temperaturen über seinem Zenit spielen könnte. Aber aus statistischer Sicht ist das sehr problematisch.

Welche Faktoren haben noch Einfluss auf die Ergebnistipps?

Giezek: Wenn wir uns langfristige Daten anschauen, ist es natürlich der Marktwert der Mannschaft, sprich: Wie viele gute Spieler sind in einer Mannschaft. Dann natürlich auch das UEFA-Ranking, das längerfristig Nationalmannschaften bewertet. Kurzfristig würde ich mir die Ergebnisse in den letzten Vorbereitungsspielen anschauen. Und natürlich gibt es dann unglückliche Zufälle wie kurzfristige Verletzungen. Es gibt diesmal wieder einige Mannschaften, die mit Verletzungspech kämpfen. Und einige Teams, die momentan mit der einen oder anderen Formkrise kämpfen, zum Beispiel unser DFB-Team auf der Torwartposition.

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Sportwetten-Anbieter veröffentlichen vor allen Partien genaue Quoten. Sollten sich Laien auch daran orientieren?

Giezek: Es kann generell ein guter Impulsgeber sein, einfach mal zu schauen, wie die Quoten bei professionellen Wettanbietern sind. Weil die nichts anderes machen, als sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Letztendlich sollte man aber auch dem eigenen Bauchgefühl vertrauen. Nur von anderen abzuschauen, macht in einer Tipprunde nicht so viel Spaß.

Was bei keinem Tippspiel fehlen darf, ist die Wette auf den Europameister. Wie würden Sie als Statistiker bei diesem Tipp vorgehen?

Giezek: Ich würde mir vor dem Turnier mal anschauen, welche Mannschaften relativ häufig in Endrunden weit gekommen sind. Da gibt es schon Auffälligkeiten. Was viele vermutlich gar nicht wissen: Portugal ist da extrem erfolgreich. Außerdem sind Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich die Mannschaften, die in den letzten Turnieren fast drei Viertel der Halbfinalisten gestellt haben. Von daher tauchen die natürlich auch immer wieder in Favoritenrollen auf. Nach wie vor würde ich glauben, dass die sich letztendlich durchsetzen. Das Griechenland-„Wunder“ von 2004 ist eben tatsächlich ein Wunder gewesen und lange her.

Wie lautet Ihr Titel-Tipp?

Giezek: Mit Blick auf den EM-Titel habe ich natürlich ein deutsches Trikot an und tippe auf Deutschland. Aber ich glaube, es bleibt in diesem Kreis der Mannschaften, die ich aufgezählt habe. Daneben gibt es diesen ewigen Favoritentipp Belgien, der jedes Mal durch die Sportarena getrieben wird.

Wer wird das Überraschungsteam der EM?

Giezek: Die Österreicher können in diesem Turnier sehr erfolgreich sein. Die scheinen im Augenblick zwar Verletzungspech zu haben. Sie könnten aber, vielleicht auch ein bisschen wegen der Nähe zu Gastgeber Deutschland, eine der Überraschungsmannschaften werden.

Zur Person

Prof. Dr. Bernd Giezek lehrt „quantitative Methoden“ an der FOM Hochschule in Frankfurt und ist Geschäftsführer des Unternehmens SpeedRepeat in Gießen. Ehrenamtlich arbeitet Giezek als Fanbetreuter beim Basketballklub Jobstairs Giessen 46ers und macht unter seinem Künstlernamen Roberto Bates auch Popmusik. 

Statistik, etwas Fußballwissen und eine Prise Glück: Damit sind Tippspieler gewappnet, wenn zum EM-Start der Ball rollt.
Statistik, etwas Fußballwissen und eine Prise Glück: Damit sind Tippspieler gewappnet, wenn zum EM-Start der Ball rollt. © Getty Images/iStockphoto | FotografieLink

Die 5 besten EM-Tipps von Statistik-Experte Bernd Giezek

  • Typische Ergebnisse in der Gruppenphase tippen: Fast jedes vierte Spiel in der Gruppenphase der EM 2020 endete mit 1:0. Rechnet man noch ein 2:0 oder ein 1:1 als Ergebnis hinzu, dann sind es fast 50 Prozent aller Spiele mit diesen drei Ergebnissen. Das bestätigen auch die vorherigen Turniere, deren Ergebnisse Giezek seit der EM 2000 auswertet und in Häufigkeitstabellen aufarbeitet. Berücksichtigt ist auch er der Moduswechsel von 16 auf 24 Teams seit der EM 2016.
  • Typische Ergebnisse auch in der Finalrunde: In der K.o.-Runde enden rund 60 Prozent der Spiele nach der regulären Spielzeit mit einem 1:1, einem 2:0 oder einem 2:1. Das 1:0 ist in der Runde eher ein seltenes Ergebnis. Bei der EM 2020 gab es nur einmal dieses Ergebnis bei insgesamt 15 Finalspielen.
  • Auf die Favoriten setzen: Überraschungen sind die Ausnahme. Auf das frühe Aus „großer“ Teams sollten Tipper eher nicht wetten. Portugal, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und Niederlande stellten seit der EM 2000 über 70 Prozent der Halbfinalisten. Und wenn solche Favoriten gegen Underdogs spielen, ist das 3:0 ein häufiges Ergebnis – Niederlagen sind eher selten.
  • Deutschland wird „sicher“ Europameister: Bei den großen Wettanbietern sind England und Frankreich die Favoriten vor Deutschland oder Italien. Das Team von Julian Nagelsmann ist auch nach den Berechnungen von Giezek ein Kandidat für das Halbfinale. Nur Portugal war bei den EM-Turnieren in diesem Jahrtausend häufiger in einem Halbfinale als Deutschland, das sich diesen zweiten Platz mit Italien und Spanien teilt. Nimmt man noch den Heimvorteil dazu, stehen die Chancen bei diesem Turnier sehr gut.
  • Fußball ist keine Mathematik: Am wichtigsten ist der Spaß am Spiel und am Tippen. Aus statistischer Sicht sind besonders Fußballinteressierte in Tipprunden nicht unbedingt signifikant besser.