Berlin. Beim Fußball geht die Leidenschaft oft weit auseinander. Eine Paartherapeutin gibt Tipps, um die EM ohne Beziehungskrise zu überstehen.

Deutschland ist im Fußballfieber. Bei der EM werden die Spiele dicht getaktet übertragen – teils werden gleich mehrere Partien an einem Tag statt. Das kann für Beziehungen zur Belastungsprobe werden – insbesondere, wenn einer der beiden Partner ein deutlich größerer Fußballfan ist als der andere.

Die Berliner Paartherapeutin und Buchautorin Anna Wilitzki kennt dafür zahlreiche Beispiele aus ihrem Praxisalltag. Für betroffene Paare hat sie durch ihre Erfahrung nützliche Tipps, harmonisch durch die restliche EM-Zeit zu kommen.

Beziehungskiller „Fußball-EM“ – Marta ist gereizt

Da wäre beispielsweise das eine Paar, nennen wir sie Marta und Viktor. Im Gegensatz zu ihr ist Viktor großer Fußballfan, verabredet sich auch sonst regelmäßig mit Freunden zum gemeinsamen Schauen von Spielen. Damit hat sich Marta arrangiert. Auch dass das während der EM häufiger passieren würde, war klar. Am Freitag hatte sie Viktor fürs Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland extra zu Freunden begleitet. Aber dass seither der Fernseher dauernd läuft und Viktor auch das restliche Wochenende abends immer weg war, damit hatte sie nicht gerechnet.

Das sagt sie Viktor auch: „Ich hätte gedacht, du schaust tatsächlich nur die Deutschland-Spiele und hängst nicht ständig am Fernseher oder bist unterwegs.“ Viktor spürt, wie gereizt Marta ist, fühlt sich angegriffen und geht in den Verteidigungsmodus: „Das war auch ganz spontan, dass wir uns jeden Abend getroffen haben. Gemeinsam macht das Schauen einfach viel mehr Spaß und EM ist ja auch nur alle vier Jahre und außerdem nur für wenige Wochen.“

Das Problem – Die Partner reden aneinander vorbei

Ein typisches Kommunikationsmuster, erklärt Anna Wilitzki, dass das Paar leider nicht weiterbringen wird. Während Viktor auf der Sachebene kommuniziert, hört Marta in seiner Antwort: Das Hobby ist wichtiger als ich, Fußball ist dir wichtiger als ich, deine Freunde sind eine bessere Gesellschaft als die Familie.

Denn was Marta Viktor ursprünglich eigentlich sagen wollte, war etwas ganz anderes, so die Paartherapeutin: „Marta denkt sich, es könne doch nicht Viktors Ernst sein, sie nun mit allem komplett allein zu lassen. Sie hatte ohnehin bereits das Gefühl, in der Familie viel mehr Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen. Zudem hat sie Angst, dass Viktor und sie nun gar keine Zeit mehr als Paar haben.“ In Marta kommen alle Konflikte hoch, die es ohnehin bereits in der Beziehung gab. Die EM an sich ist am Ende nicht das Problem, sondern nur ein Wirkverstärker.

Zeitgleich spürt Viktor nur die negative Stimmung seiner Frau. Was Marta wirklich bewegt, hat sie nicht kommuniziert. Er soll es erahnen. „Aber das ist Viktor gegenüber unfair“, so die Therapeutin. Viktor geht in die Verteidigung, zieht sich womöglich noch mehr zurück. „Er ist ohnehin bereits gerne etwas länger nach Fußballspielen bei seinen Freunden geblieben, da er wusste, dass er daheim ohnehin meist angemeckert wird, egal wie spät er nach Hause kommt.“

Paartherapeutin Anna Wilitzki ermutigt Paare, offen zu hinterfragen, was hinter dem Gefühl steckt, dass das Hobby dem anderen wichtiger ist als man selbst.
Paartherapeutin Anna Wilitzki ermutigt Paare, offen zu hinterfragen, was hinter dem Gefühl steckt, dass das Hobby dem anderen wichtiger ist als man selbst. © Nathalie Sundl

Die Lösung – Partner müssen in der Beziehung beide Seiten anerkennen

Wichtig ist es, beide Seiten und Sichtweisen anzuerkennen – also auch den Mehrwert, den das EM-Schauen für Viktor hat. Für ihn ist Fußball viel mehr als ein rollender Ball. „Er kann dabei Gefühle rauslassen, die sonst vielleicht keinen Platz haben, kann Stress abbauen, sich ablenken, sein Körper wird von Adrenalin und Endorphinen durchströmt, er ist in Gesellschaft“, nennt Wilitzki positive Seiten des Hobbys. Marta rät sie, das zu respektieren und gleichzeitig ihre Gefühle in sogenannten Ich- und Wir-Botschaften klar zu benennen und Angebote für einen Austausch auf Augenhöhe zu machen.

Der konkrete Kommunikationsvorschlag der Paartherapeutin für Marta

„Ich weiß, du freust dich bereit ein halbes Jahr auf die EM und willst die Spiele mit deinen Jungs angucken. Und ich freue mich zu sehen, dass dir das so viel Freude bereitet und wie du dabei aufblühst. Gleichzeitig habe ich gerade aber auch etwas Angst. Ich merke, dass ich das Gefühl habe, dass wir uns durch den Stress, den wir beide haben, in den letzten Monaten voneinander entfernt haben. Und befürchte, dass wir uns nun noch weniger sehen und dass uns das nicht guttut.

Ich merke, wie bei mir der Druck und der Stress steigt, weil ich vieles allein schaffen muss. Ich würde mir daher von dir wünschen, dass du mir irgendwie signalisierst, dass ich und dass wir dir neben der EM auch noch wichtig sind. Ich weiß selbst noch nicht genau, was ich dafür brauche, aber ich würde gerne mal gucken, ob wir dafür nicht gemeinsam eine Lösung finden können. Was denkst du?“

Der konkrete Kommunikationsvorschlag der Paartherapeutin für Viktor

„Danke, dass du deine Gefühle und Sorgen mit mir teilst. Und schön zu spüren, dass du siehst, wie wichtig es mir ist, die Spiele zu schauen. Ich weiß gerade selber noch nicht, wie ich dir die Angst nehmen kann, aber dass ich gerade im EM-Fieber bin, bedeutet nicht, dass du mir und dass ihr mir als Familie nicht wichtig seid.

Ich schaue sehr gerne, auf welche Spiele ich verzichten kann, und dann lass uns diese Zeit doch gemeinsam für etwas nutzen, das dir Freude bereitet. Oder ich halte dir in dieser Zeit den Rücken frei, damit du etwas für dich tun kannst, genau wie du es sonst während der Spiele für mich machst. Was hältst du von diesem Vorschlag?“

In einem Streit sollte nie allein ein Partner für einen Konflikt verantwortlich gemacht werden.
In einem Streit sollte nie allein ein Partner für einen Konflikt verantwortlich gemacht werden. © Shutterstock | Prostock-studio

Wichtig für die Konfliktlösung bei Beziehungsproblemen

Neben den Ich- und Wir-Botschaften sei es wichtig, dass beide Partner am Ende hinter den gefundenen Kompromissen stehen und diese auch gerne für den anderen eingehen, betont Paartherapeutin Anna Wilitzki. „Es geht nicht nur darum, die Bereitschaft zu zeigen, der anderen Person entgegenzukommen, sondern dies auch ehrlich zu wollen.“

Es gehe um die Anerkennung der Gefühle und Bedürfnisse des Partners und der Partnerin. „Dass das Hobby in dem Moment wichtiger ist als Beziehung, bedeutet nämlich nicht zeitgleich, dass die Beziehung unwichtig ist“, so die Expertin. „Das wäre ein Fehlschluss.“

Red Flags: Warnsignale für die Beziehung

„Eine gesunde Beziehung kann Ausnahmesituationen wie etwa exzessives Fußballschauen während der EM ohne Weiteres aushalten“, sagt Wilitzki. Aber auch wenn sich der Stress dadurch verstärkt, bedeute das nicht automatisch, dass eine Beziehung zum Scheitern verurteilt sei. Wenn Marta jedoch ihre Gefühle angemessen kommuniziert und von Viktor dennoch abgewertet werde, sei das ein Warnsignal, so die Expertin.

Als Beispiele nennt sie Antworten wie „Stell dich nicht so an“ oder „Such dir doch einfach ein eigenes Hobby“. Kommt es zu keiner Kompromissfindung, sondern das Problem wird nur Marta zugeschoben, diese gar noch abwertet und Viktor mache einfach weiter sein Ding, und das auch in anderen Situationen, ist die Expertin mit Blick auf die Zukunft der Beziehung skeptisch: „Dann sollte man sich ganz klar die Frage stellen, ob das die richtige Beziehung ist.“