Herzogenaurach. Robert Andrich steht im EM-Viertelfinale gegen Spanien vor dem Spiel seines Lebens. Der DFB-Star überrascht vor dem Spiel mit seiner Frisur.

Auf dem Weg zum Interview-Termin mit dieser Redaktion läuft Robert Andrich vorbei am Social-Media-Team des DFB. „Stadt, Land, Fluss schon online? Geht schon viral?“, fragt der Sechser der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der am Freitagabend (18 Uhr/ARD und Magenta TV) im EM-Viertelfinale in Stuttgart auf Spanien trifft. In dem Video erfährt man, dass Andrich Mehlwürmer liebt und ein Libellenhaus für einen schlechten Ort für das erste Date hält. „Manchmal muss man kreativ sein“, sagt Andrich, lacht und lässt sich in einen Stuhl fallen. Der 29-Jährige ist ein besonderer Typ mit einer besonderen Geschichte. Zum Interview erscheint er noch mit weißen Haaren, beim Abschlusstraining in Herzogenaurach sind diese dann plötzlich pink gefärbt.

Herr Andrich, nach dem Schottland-Spiel haben wir geschrieben: „Andrich spielte schottischer als alle Schotten. Sollte er mit seiner Spielweise ohne Gelbsperre durchs Turnier kommen, wäre das sein persönliches Sommermärchen.“ Jetzt können Sie kontern.

Robert Andrich: Der Konter käme zu früh. Noch muss ich ja eine Partie ohne Gelbe überstehen (lacht). Grundsätzlich war ich durch die Anfangseuphorie etwas übermotiviert. Ich denke, das ist normal, wenn man sein erstes Turnier bestreitet - selbst wenn man wie ich schon 29 Jahre alt ist. Anschließend musste ich cleverer agieren, was mir, wie ich finde, auch gut gelungen ist. Auch wenn ich vielleicht deshalb etwas früher ausgewechselt worden bin, zumindest das Ungarn-Spiel würde ich so deuten.

Stichwort Sommermärchen: Fühlt sich die EM schon danach an?

Es ist erst ein Anfangsmärchen. Die EM steht und fällt mit dem Resultat. Ich glaube aber fest daran, dass es eins wird. Wir sind auf einem guten Weg.

Plötzlich pink: Robert Andrich färbte sich vor dem Abschlusstraining am Donnerstag die Haare. Die Trikots sind am Freitag aber wieder Weiß.
Plötzlich pink: Robert Andrich färbte sich vor dem Abschlusstraining am Donnerstag die Haare. Die Trikots sind am Freitag aber wieder Weiß. © DPA Images | Federico Gambarini

Auch Ihre Geschichte von der Dritten Liga zum EM-Spieler klingt märchenhaft. Was sagt eigentlich Ihr Vater Lutz dazu? Er hat Sie früher täglich zum Training gefahren.

Er hat mich nicht nur gefahren, sondern hat auch neben den normalen Einheiten im Verein mit mir trainiert. Er ist extrem stolz und bekommt immer mehr mit, was für ein Hype in Deutschland um die Mannschaft und auch mich als Spieler als Teil dessen entstanden ist.

Sie sind jetzt selbst zweifacher Vater. Hat Ihre Tochter Malia schon ein Lieblingsmärchen?

Sie hat früher gerne Vaiana geschaut, einen Disney-Film über ein Mädchen, das auf einer Südsee-Insel lebt. Kein Märchen, aber ein schöner Film. Den kann man sich auch als Erwachsener anschauen – kann ich empfehlen (lächelt).

Deutschland gegen Spanien: Andrich kündigt Aggressivität an

Im April kam der kleine Matteo dazu. Durfte er schon mit ins Teamquartier?

Ja, zweimal schon. Meine Frau hat heute noch zu mir gesagt, dass es krass sei, wie schnell die Zeit vergeht. Er ist nun schon zehn Wochen alt, davon habe ich ihn sechs nicht gesehen. Ich glaube, er wird es mir verzeihen, wenn ich ihm später mal erzähle, was ich in der Zwischenzeit zu tun hatte.

Der DFB Reporter

weitere Videos

    Auf dem Platz sind Sie ein Abräumer im Mittelfeld. Wie sind sie als Papa?

    Ich wäre kein guter Papa, wenn ich da auch so zur Sache gehen würde (lacht). Spaß beiseite: Ich bin privat ein sehr ruhiger Typ und versuche, jede Minute mit der Familie zu genießen. Es ist schon verrückt, dass man nun plötzlich selbst emotional wird, wenn man im Fernsehen beispielsweise eine Doku über Kinder schaut. Ich bin ein absoluter Familienmensch.

    Die Deutschen kennen vor allem Ihre Spielweise auf dem Fußballplatz. Die lebt von Ihrer Aggressivität. Müssen Sie sich zurücknehmen ob der drohenden Gelbsperre?

    Nein, das nicht. Aber man versucht ständig sein Spiel zu hinterfragen, wie man vielleicht anders in die Zweikämpfe gehen und cleverer agieren kann. Das ist allgemein ein wichtiger Prozess, nicht nur in Zweikämpfen.

    Leverkusen-Star Robert Andrich will Spaniens Flügelzange stoppen.
    Leverkusen-Star Robert Andrich will Spaniens Flügelzange stoppen. © Christian Woop | Christian Woop

    Wie entscheidend wird die richtige Aggressivität gegen Spanien sein?

    Ich werde ich mich auf jeden Fall nicht zurückhalten, wenn es am Ende der Mannschaft hilft. Wir haben aber noch neun andere Feldspieler, die gut gegen den Ball arbeiten können.

    Stellen Sie sich auf eine prominentere Rolle im Spiel mit dem Ball ein? Spanien wird vermutlich hoch pressen und versuchen, Kroos unter Druck setzen.

    Grundsätzlich ist die Aufgabenverteilung zwischen Toni und mir klar. Im eigenen Ballbesitz spielt er die Hauptrolle. Das liegt auch daran, dass ich sehr wichtig bin für das, was wir nach Ballverlusten tun. Die Spanier sollen mir aber gerne mehr Freiraum geben. Ich glaube, dass ich damit auch ein bisschen was anfangen kann. Darüber hinaus haben wir noch eine Menge anderer Spieler, die die Spanier stoppen müssen. Wir werden auf jeden Fall Lösungen finden.

    Spanien und Deutschland wollen beide den Ball haben. Können Sie uns schon den Matchplan verraten? 

    Das werden Sie am Freitagabend sehen. Grundsätzlich wird es wichtig sein, über den gesamten Platz ein gutes Zweikampfverhalten an den Tag zu legen, die Spanier in den entscheidenden Duellen zu doppeln. Lamine Yamal und Nico Williams ziehen gerne nach innen, da muss ich als Sechser zur Stelle sein.

    Deutschland - Spanien: Robert Andrich trifft auf Rodri

    Sie haben die zwei spanischen Ausnahmespieler angesprochen. Was denken Sie über die beiden?

    Nico Williams ist medial ja gerade in aller Munde. Dass er so gut ist, war auch mir vorher gar nicht so bewusst. Lamine Yamal ist ein Ausnahmetalent. Wir haben auch zwei junge Spieler dabei, die früh in ihren Karrieren extrem wichtig für ihre Mannschaften waren. Er ist erst 16. Wenn man in diesem Alter Stammspieler in Barcelona ist, muss man etwas draufhaben. Das war mir vorher auch nicht so bewusst.

    DFB-Team: Die aktuellsten News zur deutschen Nationalmannschaft

    Wo waren Sie mit 16?

    In der B-Jugend und insgesamt noch sehr weit weg vom Profifußball.

    Bei Spanien werden Sie Rodri begegnen, für viele der beste Sechser der Welt. Sehen Sie das auch so?

    Das würde ich so grundsätzlich nie sagen, da würde ich immer einen unserer Jungs nennen. Aber klar, Rodri ist ein unfassbar guter Spieler, der bei Manchester City fast jede Partie absolviert. Er kann das Tempo eines Spiels bestimmen, sein Zweikampfverhalten ist sehr intelligent. Er ist einer von vielen Spaniern, gegen die wir uns wehren müssen.

    Welche Sechser haben Sie in Ihrer Karriere beeinflusst?

    Es gibt eine Menge Spieler, von denen ich mir etwas abgeschaut habe. Mein Vorbild war immer Bastian Schweinsteiger, aufgrund seiner Entwicklung als Spieler und Person. Anfangs wirkte er sehr jugendlich und hat auf den Außen gespielt. Er ist dann extrem gereift und hat als Sechser immer mehr Führungsverantwortung in der Nationalmannschaft und im Verein übernommen. Wenn wir über Sechser sprechen, fällt mir Andrea Pirlo ein, der sich so geschickt zwischen den Räumen bewegen konnte und nie viel Tempo benötigte, um in eine gute Position zu kommen. Ich versuche, von allen etwas mitzunehmen.

    Man könnte auch Parallelen zu Stefan Effenberg feststellen.

    Vielleicht von der Aggressivität her (lacht). Leider bin ich etwas zu jung, um ihn in der Hochphase seiner Karriere gesehen zu haben. Er war sehr variabel und ist häufig auch in der Box in Erscheinung getreten, soviel weiß ich.

    Robert Andrich: Xabi Alonso für Deutschland?

    Ihr Vereinstrainer Xabi Alonso war ebenso ein Sechser von Weltformat. Er hat Sie offensichtlich weiterentwickelt. Wie hat er das gemacht?

    Er hat in Leverkusen in der gesamten Mannschaft die Positionierung angepasst, so dass wir in vielen Situationen einfach besser stehen. Für mich als Sechser ist das sehr wichtig. Und er hat mich darin bestärkt, die Ruhe zu bewahren, nicht zu überdrehen, mich nicht von allen Emotionen leiten zu lassen. Gerade in schwierigen Phasen kommt es auf Geduld und sauberes Verteidigen an. Ich merke ganz persönlich, dass ich mich weniger von äußeren Einflüssen leiten lasse. Das hat er schon extrem verbessert.

    Nach dem Pokalfinale hat Alonso gesagt, er sei jetzt auch Deutschland-Fan. Glauben Sie, das gilt auch am Freitag?

    Ich habe ihn diese Woche gefragt und er meinte, für ihn sei das eine Win-Win-Situation. Er meldet sich regelmäßig, schreibt kurze Nachrichten. Nach der Gruppenphase oder dem Achtelfinale hat er das gemacht. Vor der EM haben wir Späße darüber gemacht, wie es wohl wäre, wenn Deutschland und Spanien gegeneinander spielen würden. Ich glaube, insgeheim ist er für uns. Das können die Spanier auch gerne lesen (lacht).

    Sie sind auch für den Spaß zuständig. Toni Kroos hat gesagt, die Stimmung im Team sei sogar besser als 2014.

    Es ist natürlich schön, wenn man Spaß hat. Die vielen Aktionen, die auch in den sozialen Medien auftauchen, sind toll und alle freuen sich darüber. Aber wir wissen schon, worum es hier eigentlich geht. Im Training und bei Besprechungen sind wir voll fokussiert. Eine gute Stimmung ist immer auch abhängig vom sportlichen Erfolg. Für den tun wir alles. Wir stehen im Viertelfinale und sind damit im Soll.

    DFB-Star Robert Andrich (Mitte) im deutschen EM-Quartier mit den Funke-Reportern Christian Woop (l.) und Henrik Jacobs.
    DFB-Star Robert Andrich (Mitte) im deutschen EM-Quartier mit den Funke-Reportern Christian Woop (l.) und Henrik Jacobs. © Christian Woop | Christian Woop

    Wie kam es dazu, dass Sie sich so gut mit Toni Kroos verstehen, hatte da sein Bruder Felix Anteil?

    Ich bin mit Felix gut befreundet, aber Toni habe ich hier erst bei der EM so richtig kennengelernt. Vorher gab es dazu noch keine Möglichkeit. Wir mussten also beide erstmal schauen, wie das so klappt. Dass wir uns jetzt so gut verstehen, konnte man nicht erahnen.

    Robert Andrich war im Champions-League-Finale für Real Madrid

    War Kroos der Grund, warum Sie im Champions-League-Finale für Real Madrid waren und nicht für Dortmund?

    Ich finde Real Madrid grundsätzlich sympathisch. Ein großartiger Verein. Das hatte also nicht nur mit Toni zu tun.

    Eine Märchenfrage zum Schluss: Sie haben zusammen mit Wirtz den DFB-Pokal in Berlin gewonnen. Was würde Ihnen ein EM-Endspiel an selber Stelle bedeuten?

    Das wäre natürlich extrem krass. Bei einem Heim-Turnier mit der deutschen Nationalmannschaft im Finale zu stehen, wäre heftig. Dazu noch in Berlin. Wenn es dazu kommen sollte, will ich natürlich auch das zweite Endspiel im Olympiastadion gewinnen.

    DFB-Team: Lesenswerte Stücke zur Nationalmannschaft