Hagen. Magnus Heier lehnt die AfD ab - und profitiert doch vom Gespräch am AfD-Stand. Warum unser Gehirn solche Auseinandersetzungen braucht.

Er ist Neurologe, Buchautor und Wissenschaftsjournalist: Dr. Magnus Heier nimmt Menschen gerne mit auf eine Reise in das menschliche Gehirn, erklärt, wie das komplexe Organ funktioniert, wie es uns steuert und wie es beeinflusst wird. Im Gespräch plädiert der Mediziner aus Castrop-Rauxel, die Debatte mit Menschen, die anderer Meinung sind, zu suchen. „Streitet Euch!“, lautet sein Appell.

Belastet es unser Gehirn, wenn wir uns mit Menschen auseinandersetzen, deren Positionen wir nicht unbedingt teilen?

Nein, ganz im Gegenteil. Unser menschliches Gehirn ist so angelegt, dass wir in großen Gruppen agieren und kommunizieren. Isolation ist ein unnatürlicher Zustand für uns Menschen. Er passt nicht zu uns.

Aber isoliert bin ich ja auch nicht, wenn ich nur mit Menschen spreche, die meiner eigenen Meinung sind.

Dann bekomme ich aber nur einen Teil von Informationen. Man muss sich das Gehirn wie eine Großbaustelle vorstellen. Hier wird etwas aufgebaut, dort etwas abgerissen. Wenn wir die Kommunikation einstellen, wenn wir uns nicht mit verschiedenen Informationen versorgen, die diese Großbaustelle auch immer wieder fordern, dann baut das Gehirn ab.

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Wir wollen reden. Und zwar mit Ihnen. Wir wollen Ihnen zuhören. Wir wollen Sie ausreden lassen. Wir wollen wissen, was Sie bewegt, welche Themen für Sie wichtig sind. Uns interessiert auch die Frage: Sind Sie der Meinung, dass man heute nicht mehr alles öffentlich sagen kann, was man möchte oder für wichtig erachtet? Und: Wir wollen auch gerne wissen, was Sie von uns halten, wie Sie unsere Arbeit als Medium sehen.

Kurzum: Wir wollen uns gerne bei Ihnen einladen! Nicht zu Kaffee und Kuchen, sondern zum Gespräch. Weil wir der festen Überzeugung sind, dass in Zeiten, in denen sich die Gesellschaft zu polarisieren scheint, in der ganze Gruppen nicht mehr miteinander kommunizieren, der Dialog wichtiger denn je wird.

Sie sind eine Nachbarschaft, ein Freundeskreis, Arbeitskollegen, ein Verein, eine Familie oder sonst jede erdenkliche Gruppe von Menschen, die sonst nicht in den Medien zu Gehör kommt – dann würde wir dies gerne ändern und zu Ihnen kommen. Eine feste Tagesordnung soll es von unserer Seite bewusst nicht geben. Sie setzen die Themen: Wir wollen zuhören und uns mit Ihren Anliegen und Meinungen beschäftigen und auseinandersetzen.

Schreiben Sie uns per Mail an region-westfalenpost@funkemedien.de mit einigen Informationen, warum wir Sie besuchen sollten, wer daran von Ihrer Seite teilnehmen wird und wo dies stattfinden könnte.

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen!

Eine Debatte kann aber sehr anstrengend sein. Eine ganze Gesellschaft scheint derzeit gestresst zu sein: Können wir unser Gehirn auch überfordern?

Nein, man kann das Gehirn nicht überfordern, nur unterfordern. Unser Gehirn ist nicht so angelegt, dass es seine Ruhe haben will, im Gegenteil: Es sucht sich Informationen.

Mehr zur Aktion „Zuhören und ausreden lassen“

Wie halten Sie es selbst: Suchen Sie das Gespräch mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind?

Ich erzähle Ihnen eine ein paar Tage alte Begebenheit. Ich habe ja keinerlei Sympathie für die AfD. Ich war in Castrop-Rauxel unterwegs und habe einen AfD-Wahlkampfstand gesehen. Ich habe noch scherzhaft gesagt: Den mische ich jetzt ein bisschen auf. Dann bin ich aber mit einer Frau an dem Wahlkampfstand ins Gespräch gekommen. Sie hat mir von ihrer Impfgegnerschaft erzählt. Ich habe sie dann gefragt, ob die Ablehnung von Impfungen auch im AfD-Wahlprogramm stünde. Da haben wir dann nichts gefunden. Unterm Strich muss ich sagen: Es war sehr kontrovers, aber letztlich ein ganz gutes Gespräch.

Hat sie Sie überzeugt, auch gegen Impfungen zu sein?

Nein, ich bin ein entschiedener Befürworter von Impfungen. Und daran hat sich auch nichts geändert. Ich war es auch immer in der Corona-Pandemie. Aber das direkte Gespräch mit einer Impfgegnerin ermöglicht es mir doch, diese Position zu verstehen. Wir haben nicht darüber gestritten, ob man AfD wählen kann oder nicht. Ich meine: Nein! Aber es ist doch wichtig, von den Menschen zu erfahren, warum sie die AfD wählen wollen. Ich kenne genug Leute, die solche Gespräche nicht führen würden oder wollen. Aber ich denke, das ist falsch.

Das kann dann aber auch in einem richtigen Disput münden...

Ja, aber das ist gut. Wenn ich für unser Gespräch eine Überschrift finden sollte, dann wäre es der Aufruf: Streitet euch! Das heißt doch, dass man ins Gespräch kommt. Der Diskurs, die Debatte ist übrigens auch eine hervorragende Demenzprophylaxe. Menschen, die sich nicht mit anderen Menschen, mit anderen Meinungen beschäftigen, laufen Gefahr, viel früher an Demenz zu erkranken, weil sie das Gehirn nicht fordern.

Aber wird heute nicht mehr kommuniziert und gestritten denn je? Über die sozialen Medien werden millionenfach Meinungen in die Welt geschickt und diskutiert.

Aber eben nur über die! Das sehe ich mit einiger Sorge. Wenn ich mit Ihnen persönlich spreche, dann kommen doch viel mehr Informationen an als in einer WhatsApp. Mein Gesichtsausdruck, meine Gestik, meine Mimik. Ich kann direkt interagieren, reagieren. Ein Gehirn, dass solch eine Art der Kommunikation nicht mehr so oft erfährt, das verändert sich einfach, das verkümmert. Wir brauchen den direkten Austausch außerhalb des Internets. Hier habe ich durchaus Bedenken, dass die junge Generation diese Art der Kommunikation zu wenig kennt. Ein schneller rechter Daumen, mit dem man auf dem Smartphone tippen kann, scheint wichtiger zu sein als ein direktes Gespräch.

Besteht die Gefahr, dass mein Gehirn mich austrickst? Dass ich Überzeugungen über Bord werfe, wenn ich mich zu sehr mit Positionen beschäftige, die ich eigentlich ablehne?

Nein, in Ihrem Gehirn sind die Erfahrungen Ihres gesamten Lebens gespeichert. An die erinnern Sie sich ständig, aus denen entwickeln sich auch Ihre Grundüberzeugung. Die überprüfen Sie nur immer wieder in Gespräch mit Leuten, die nicht der gleichen Meinung sind wie Sie.