Willingen. Beim Skisprung-Weltcup im Sauerland sorgt ein freiwilliger Fahrdienst für reibungslose Abläufe - und erlebt kuriose Geschichten.

Heute, sagt Uwe Donath-Görlich, „heute ist Großkampftag“. Der 60-Jährige, sonst Busfahrer im öffentlichen Dienst, sitzt am Donnerstagvormittag hinter einer schweren Metalltür in einem schmucklosen Raum an einer Tischreihe, zwei Bildschirme vor sich, das Festnetztelefon immer griffbereit, das Handy am Mann. Geht nicht anders, bei ihm laufen die Strippen in den kommenden Tagen zusammen, denn Donath-Görlich leitet „den wohl größten Fahrdienst im Skisprungzirkus auf Erden“. Die Einschränkung muss schon noch sein. Klingt trotzdem irgendwie aufregend.

An diesem Wochenende gastiert der Skisprung-Weltcup in Willingen und versetzt den Ort in den Ausnahmezustand: Die Stars der Branche reisen aus der ganzen Welt an, 50.000 Besucher werden an den drei Tagen erwartet in der 6000-Einwohner-Gemeinde, die als Ballermann des Sauerlandes Bekanntheit erlangte. Auch Skispringen ist dort Party. Zur Freude der Athleten, die den Kult-Weltcup lieben, weil sie vom Jubel der Leute ins Tal getragen werden.

Seit 1995 ist Willingen Weltcupstandort. Uwe Donath-Görlich ist von Anfang an dabei. Damals fuhr er noch selbst. Zum Beispiel die Größen Martin Schmitt und Sven Hannawald, die wie Rockstars gefeiert wurden. Sie fragten ihn, ob er ihnen nicht ein Auto überlassen könnte. Konnte er. „Damit sie vor Ort flexibel sind.“

Heute koordiniert Donath-Görlich die geplanten und ungeplanten Fahrten der bis zu 40 Busse. Soll jeder wissen, wo viele davon herkommen. „Kooperation mit dem Autohaus Schüppler in Volkmarsen“, sagt er. Klingt wie ein Ort, an dem Roberto Blanco zur Eröffnung Autogramme schreibt. Aber das ist Unsinn. Promis haben sie doch immer genug vor Ort, die muss man nicht extra einladen.

Uwe Donath-Görlich, Leiter des Fahrdienstes beim Skisprung-Weltcup in Willingen.
Uwe Donath-Görlich, Leiter des Fahrdienstes beim Skisprung-Weltcup in Willingen. © Zentrale | Daniel Berg

Das Handy schellt. Jemand muss noch die Akkreditierungen ins Pressezelt fahren. Wird gemacht. Das Festnetz schellt. Uwe Donath-Görlich hört zu und sagt. „Ich schicke einen Fahrer.“ Er legt auf. „An der Schanze ist schon Theater“, sagt er und lacht. Meint er nicht ernst. Aber der Lkw, der die Seilkamera fürs Fernsehen angeliefert hat, muss da weg. Auf dem Gelände der Fernsehschaffenden steht er den drei Übertragungswagen von ARD, n-tv und einem polnischen Sender im Weg. Ein Fahrer muss den Fahrer finden, hinbringen - und ihm zeigen, wo er parken darf.

Großkampftag also am Donnerstag, dem Tag, an dem die meisten Nationen anreisen. Alle zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Flughäfen: Frankfurt, Düsseldorf, Paderborn. Österreich um 11.45 Uhr, Kanada um 12 Uhr, Slowenien um 12.05 Uhr, Polen um 14.35 Uhr, Norwegen und die USA um 15.35 Uhr. Wenn sie denn pünktlich landen oder heute überhaupt ankommen. „Der Streik an den Flughäfen erschwert die Planung“, sagt Donath-Görlich.

Taschen so groß, dass ein Wildschein hinein passt

Die Norweger seien die wohl größte Gäste-Gruppe, dieses Mal insgesamt 16 Mann: Athleten, Trainer, Materialexperten. Vier Kleinbusse sind allein für sie eingeplant - zwei nur fürs Material. „Viele Teams kommen direkt von der Skiflug-WM in Österreich hierher und reisen von hier direkt weiter nach Lake Placid. Da braucht man schonmal zwei, drei Schlüpper mehr.“ Donath-Görlich lacht. „Wir stapeln bis unters Dach. In deren Taschen passt ein ausgewachsenes Wildschwein rein, sag ich immer.“

Manchmal taucht am Flughafen schon das erste Problem auf, wie am Montag bei den gerade gelandeten Japanern. Sechs waren angekündigt, sagt Donath-Görlich, nur fünf standen aber da. „Der Sechste war noch in Salzburg, der hatte aus welchen Gründen auch immer kein Ticket.“ Umdisponieren. Vier in den Kleinbus, der Fünfte mietete einen Wagen am Flughafen und wartete auf den Sechsten.

Das ist der Kultweltcup, von dem immer alle schwärmen. Wir sind jedes Mal stolz, dabei gewesen zu sein und Werbung für unsere Region gemacht zu haben.
Uwe Donath-Görlich, Leiter des Fahrdienstes beim Weltcup in Willingen

Donath-Görlich und seine Leute sind Problemlöser. Einmal, schon Jahre her, gab die Standseilbahn an der Schanze den Geist auf. Die Firma, die das Ersatzteil hat, sitzt in der Schweiz. Donath-Görlich setzt zwei seiner Männer ins Auto, die die Gerätschaft am Bodenseee entgegennehmen. 1400 Kilometer in 14 Stunden. Seilbahn repariert.

30 bis 40 Fahrer umfasst der Fahrdienst, 18 bis 72 Jahre alt, sagt Donath-Görlich: „Staatsanwalt, Autoschrauber, Elektriker-Meister - alles dabei.“ Rund um den Weltcup fahren sie 40.000 bis 60.000 Kilometer in einer Woche. Einmal um die Welt ab Willingen. Am Ende der Woche küren sie mit einem eigenen Pokal den Fahrer des Jahres. Das wird, wer am meisten gefahren ist - oder wer den lustigsten Zwischenfall oder Sonderauftrag hatte.

Krankheit? Kein Anzug? Springer verschwunden? Fahrdienst kümmert sich

Wird ein Springer krank - wie damals der Deutsche Michael Neumayer - und muss nach Hause nach Oberstdorf gebracht werden? „Das machen wir“, sagt Donath-Görlich. Braucht ein Athlet - wie damals der deutsche Vorzeigespringer Severin Freund - schnell einen neuen Sprunganzug von der Spezialfirma nahe Mannheim? „Dann schnappen wir uns den Burschen und brettern da runter.“ Wird der damalige österreichische Starspringer Andreas Goldberger an der Schanze vermisst, weil er gleich an der Reihe ist - sucht der Fahrdienst ihn. „Ich habe ihn im Wald gefunden, der war noch eine Runde joggen“, sagt Donath-Görlich.

Lesen Sie auch

Während des Weltcups arbeitet der Fahrdienst im Zweischichtsystem. Gegen 6.30 Uhr wird die Verpflegung für die Fahrer und das Personal an die Schanze gefahren. Ebenso alle Athleten - Männer wie Damen - vom Hotel zur Schanze und später wieder zurück.

Günther Jauch und sein Terminplaner

Zum Weltcup kommt auch oft die Prominenz: Die Formel-1-Stars Nikki Lauda, Gerhard Berger und Ralf Schumacher chauffierte der Fahrdienst, ebenso die deutschen Handball-Weltmeister von 2007, den Box-Weltmeister Henry Maske und Fernseh-Mann Günther Jauch. Der Moderator wartete mal zwei Stunden in Donath-Görlichs schmucklosem Büro auf seinen persönlichen Fahrer - und vergaß dann auch noch seinen Terminplaner. „Haben wir ihm per Post geschickt“, sagt der Fahrdienstleiter. Letzte Fahrt des Tages gegen 0.30 Uhr: diejenigen, die die Bewirtung im Festzelt übernommen haben, sitzen dann im Wagen. „Und die Kapelle aus Niedersfeld muss auch noch nach Hause.“

Im Haus des Gastes hat Donath-Görlich sein Büro eingerichtet. Seine Frau und seine Tochter helfen ihm in den kommenden Tagen, die Anrufe entgegen zu nehmen und die Anweisungen weiterzugeben. „Es ist viel Arbeit, es ist viel Stress“, sagt Donath-Görlich, „aber wir freuen uns jedes Mal auf den Weltcup.“ Der ganze Ort, so scheint es, tut das. 1500 freiwillige Helfer sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Keiner sieht einen Cent dafür. „Das ist eine riesige Veranstaltung, das ist der Kultweltcup, von dem immer alle schwärmen. Wir sind jedes Mal stolz, dabei gewesen zu sein und Werbung für unsere Region gemacht zu haben.“

Weltcup in Willingen

Willingens neueste Attraktion, der Skywalk direkt neben der Sprungschanze, ist für die Zeit des Weltcups komplett gesperrt. In Szene gesetztz wird er aber doch sehr prominent: Zum Start der Übertragung will die ARD mit dem Experten und früheren Skisprungstar Sven Hannawald von dort eine Anmoderation senden.

Zeitplan des Weltcups:

Freitag, 2. Februar 2024: Einlass ab 12 Uhr. Training Damen (12.15 Uhr) und Herren (14 Uhr) sowie Qualifikation Damen (18.15) und Herren (16.45). Anschließend Eröffnungsfeier

Samstag, 3. Februar 2024: Einlass ab 11 Uhr. 12:15 Uhr: 1. Wertungsdurchgang Damen anschl. Finaldurchgang.
16:00 Uhr: 1. Wertungsdurchgang Herren, anschließender Finaldurchgang. Anschließend: Siegerehrungen im Stadion.

Sonntag, 4. Februar 2024: Einlass ab 10 Uhr. 10:30 Uhr: Qualifikation Damen. 11:30 Uhr 1. Wertungsdurchgang Damen, anschließender Finaldurchgang und Siegerehrung. 14:30 Uhr: Qualifikation Herren. 16:10 Uhr: 1. Wertungsdurchgang Herren, anschließender Finaldurchgang und Siegerehrung.

Das kosten die Karten:

75 Euro je Karte zahlen Erwachsene, die drei Tage lang im Block D rund um den Auslauf die Sprung-Party feiern möchten. 85 Euro sind für die Stehtribüne A/B fällig. Auch Karten für einzelne Tagen sind zu erwerben. Während der Samstag schon so gut wie ausverkauft ist, gibt es für Freitag und Sonntag noch Karten. Die günstigsten Stehplatzkarten kosten für Erwachsene am Freitag 15 Euro, am Samstag 38 Euro und am Sonntag 30 Euro.